Ansprüche aus sexuellen Belästigungen und Diskriminierungen im Blick behalten

Von Dr. Tanja Schramm und Caroline Malo

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Die aus den USA kommende „#Me Too“-Bewegung hat in mehreren Ländern zu einer Zunahme von Vorwürfen und Ansprüchen im Zusammenhang mit sexueller Belästigung und einem gestiegenen Bewusstsein für geschlechtsspezifische Lohnunterschiede in allen Bereichen der Wirtschaft, der Medien und des politischen Lebens geführt. #Me Too ist ein Hashtag, das seit Mitte Oktober 2017 im Zusammenhang mit dem „Weinstein-Skandal“ in den sozialen Netzwerken verbreitet wird. Das Hashtag ist durch die Schauspielerin Alyssa Milano populär geworden, die betroffene Frauen ermutigte, durch dessen Verwendung auf sexuelle Belästigungen aufmerksam zu machen. Seitdem wird dieses Hashtag millionenfach verwendet.
Entschädigungsansprüche von Betroffenen können eine große Reichweite haben und auch zu Ansprüchen gegen Organmitglieder und Unternehmen führen, die das angebliche Fehlverhalten ermöglicht, vertuscht oder nicht verhindert haben. Besondere wirtschaftliche Risiken für Unternehmen, Organmitglieder und deren Versicherer bestehen in den Ländern, wo es die Möglichkeit der Erhebung von Sammelklagen gibt.

Aktuelle „#Me Too“-Fälle
In der kanadischen Provinz Quebec stieg die Zahl der Beschwerden bei der Polizei in den ersten drei Monaten nach Beginn der „#Me Too“-Bewegung um 61%. In den Vereinigten Staaten meldete ein großer Versicherer seit Oktober 2017 einen Anstieg der Ansprüche wegen sexuellen Fehlverhaltens um 50%.
Das Ausmaß von Fällen angeblicher sexueller Belästigung wird an den nachfolgend geschilderten aktuellen Fällen aus den USA und Großbritannien deutlich.
Nach Presseberichten soll der frühere Filmproduzent Harvey Weinstein im Mai 2019 eine vorläufige Einigung erzielt haben, um in den USA Gerichtsverfahren wegen sexueller Belästigung zahlreicher Frauen abzuwenden. Weinstein soll sich gegenüber mutmaßlichen Opfern zu Entschädigungen in Höhe von insgesamt 44 Millionen US-Dollar verpflichtet haben. Mit dem Weinstein-Skandal sollen auch mehrere Versicherer befasst (gewesen) sein.
Für Aufsehen hat zudem eine US-Klage von Aktionären gegen den Verwaltungsrat des Google-Mutterkonzerns Alphabet unter anderem wegen des Umgangs mit sexueller Belästigung im Unternehmen gesorgt. Dem Unternehmen wird eine „Kultur der Verheimlichung“ vorgeworfen. Es soll Führungskräfte geschützt haben, denen sexuelle Belästigung oder Nötigung vorgeworfen worden sei. Die Verwaltungsratsmitglieder werden beschuldigt, 2014 und 2016 eine direkte Rolle bei diesen Vertuschungen gespielt zu haben. Der Schaden liege unter anderem in Abfindungen in Millionenhöhe, die Managern gezahlt worden seien, denen sexuelle Belästigung von Mitarbeiterinnen vorgeworfen worden sei.
Ein weiterer spektakulärer Fall wurde im Jahr 2018 in den USA bekannt. Aktionäre des Unternehmens Nike haben im Anschluss an den Skandal um sexuelle Belästigungen eine Derivative-Action gegen Organmitglieder eingereicht. Die Aktionäre behaupten, die Organmitglieder seien für den Wertverlust der Aktien an dem Unternehmen durch Förderung einer Kultur der sexuellen Belästigung und Mobbing verantwortlich. Dieser Klage ging eine Klage von zwei ehemaligen Mitarbeiterinnen wegen Lohnungleichheit und Geschlechterdiskriminierung voraus. Die Klägerinnen beschwerten sich unter anderem über die Unternehmenskultur, die sie als erniedrigend empfanden. Nike wird ferner vorgeworfen, seit Jahren geschlechtsspezifische Lohnunterschiede aufrechtzuerhalten.
Mit der „#Me Too“-Bewegung im Zusammenhang steht ein weiterer pressewirksamer Fall in Großbritannien. Sir Philip Green, CEO der Arcadia Group, zu der die bekannten Modeketten Topshop und Miss Selfridge gehören, wird sexuelle Belästigung, Rassismus und Mobbing vorgeworfen. Nach einem Bericht der britischen Tageszeitung Guardian soll Green siebenstellige Summen für Schweigevereinbarungen gezahlt haben. In der Überschrift eines Artikels des Guardian heißt es: „Is it time to stop shopping at Green’s Topshop or Topman?”. Dieser Fall zeigt auch den potentiellen Reputationsschaden, der durch Fehlverhaltensvorwürfe verursacht werden kann.

Betroffene Versicherungssparten
Die vielfältigen Ansprüche im Zusammenhang mit Vorfällen sexueller Belästigung können verschiedene Versicherungsprodukte betreffen.

EPL-Deckungen
Regelmäßig getriggert kann die „Employment Practice Liability Insurance“ (EPL-Versicherung) sein. Eine EPL-Versicherung bietet grundsätzlich Versicherungsschutz für Schadensersatzansprüche ehemaliger, gegenwärtiger und zukünftiger Arbeitnehmer im Zusammenhang mit Diskriminierung, sexueller Belästigung, rechtswidriger Kündigung und anderen Anspruchsgrundlagen aus dem Anstellungs- oder Bewerbungsverhältnis. In Deutschland gezeichnete EPL-Policen bieten vor allem Schutz im Zusammenhang mit Ansprüchen, die sich aus dem im Jahr 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ergeben. Inwieweit auch Risiken im Ausland, beispielsweise in Kanada und den USA, gedeckt sind, hängt von der Ausgestaltung der Policen im Einzelfall ab.

D&O-Deckungen
Wie einige der zuvor dargestellten Beispiele zeigen, geht es in Fällen sexueller Belästigung und Diskriminierung vielfach um (Schmerzensgeld-)Forderungen der potentiellen Opfer gegen den Handelnden oder das Unternehmen. Da solche Ansprüche regelmäßig nicht auf den Ersatz eines Vermögensschadens gerichtet sind, werden sie in der Mehrzahl der Fälle nicht vom Versicherungsschutz von D&O-Policen umfasst sein.
Ein Risiko für D&O-Versicherer kann sich jedoch insbesondere aus Innenregressfällen ergeben, in denen Unternehmen von den handelnden Organmitgliedern, etwa wegen der Verletzung von Organisations- oder Aufsichtspflichten, mit Blick auf Zahlungen an geschädigte Mitarbeiter oder Strafzahlungen Schadensersatz beanspruchen. Im Einzelfall kann sich dann die Frage stellen, ob solche Fälle möglicherweise unter dem erweiterten Vermögensschadenbegriff gedeckt sind. Ferner kann es um die Reichweite von Deckungsausschlüssen gehen, etwa in Bezug auf Inanspruchnahmen in den USA oder nach dem Recht der USA oder um Deckungsausschlüsse im Zusammenhang mit Strafen und Bußen.
Aus Sicht der D&O-Versicherer sind weitere Risiken mit Aktionärsklagen gegen Unternehmen und deren Organmitglieder verbunden, in denen behauptet wird, dass der Aktienkurs infolge negativer Publizität nach einem Skandal um sexuelles Fehlverhalten gefallen sei. Ist im Einzelfall eine sogenannte Side-C-Deckung (Deckung für das Unternehmen) im Zusammenhang mit Wertpapierklagen vereinbart, werden neben den Organmitgliedern auch Unternehmen auf den D&O-Versicherer zukommen.

Auch einzelne Deckungserweiterungen, die in den vergangenen Jahren Eingang in D&O-Bedingungswerke gefunden haben, können betroffen sein. So könnten D&O-Versicherer Anfragen auf Entschädigung von PR-Kosten erhalten, um Reputationsschäden zu minimieren.
Die vorstehenden Beispiele zeigen, dass die D&O-Versicherer Ansprüche, die sich aus sexuellen Belästigungen und Diskriminierungen ergeben können, bei der Bedingungsgestaltung und Risikobewertung im Blick behalten sollten.

tanja.schramm@clydeco.com

caroline.malo@clydeco.com

26 replies on “Die „#Me Too“-Bewegung: Auswirkungen auf D&O-Versicherer”

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