Im Blickpunkt: Masterplan von OECD/G20 zur Besteuerung der Digitalwirtschaft
Gastbeitrag von Dr. Andreas Gerten, LL.M. (NYU)
Neuer Anlauf zur Reform der internationalen Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle
Mit den heutigen Vorschriften können Gewinne international tätiger Digitalunternehmen, die auf die Vermarktung von Nutzerdaten und nutzergenerierten Daten setzen, nicht wirksam besteuert werden. Es fehlt in der Regel mangels physischer Präsenz ein Anknüpfungspunkt für ein nationales Besteuerungsrecht.
Bereits im März 2018 hatte die Europäische Kommission darauf reagiert und einen Zweistufenplan für neue Besteuerungsregeln für digitale Unternehmen in der EU vorgelegt. Doch die Einführung einer europäischen Digitalsteuer scheiterte am Widerstand der EU-Finanzminister. Als Reaktion darauf haben einzelne Länder in nationalen Alleingängen einseitig Digitalsteuern eingeführt oder deren Einführung konkret in Aussicht gestellt.
Nunmehr gibt es auf internationaler Ebene einen neuen Anlauf zur Reform der internationalen Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle. Die führenden Wirtschaftsmächte haben sich Mitte Juni auf dem G20-Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs in Fukuoka, Japan, darauf geeinigt, das internationale Steuersystem für Unternehmen umzukrempeln. Bis Ende 2020 wollen die Staaten nun staatliche Besteuerungsrechte neu verteilen und ein Konzept für eine globale Mindeststeuer vorlegen, um so vor allem große Digitalunternehmen stärker zur Kasse zu bitten.
Masterplan von OECD/G20: Zweisäulenstrategie für das Zeitalter der Digitalisierung
Im Vorfeld des jüngsten G20-Treffens der Finanzminister und Notenbankchefs veröffentlichte/n die OECD/G20 nun einen konkreten Masterplan zur Erzielung eines internationalen Konsenses zu den für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft zentralen Fragen, welche steuerlichen Anknüpfungspunkte in einem Staat gegeben sein müssen, um ein Besteuerungsrecht überhaupt erst zu begründen, und nach welchen Grundsätzen Gewinne zwischen den beteiligten Staaten aufgeteilt werden können. Im Kern verfolgt/verfolgen die OECD/G20 eine Zweisäulenstrategie für eine internationale Besteuerung der digitalen Wirtschaft.
Säule 1: Allokation von Besteuerungsrechten auf Markt- und Nutzerstaaten
Ausgangspunkt der ersten Säule ist, die Besteuerungsrechte künftig auch auf die sogenannten Markt- oder Nutzerstaaten zu verteilen. Das sind diejenigen Staaten, in denen sich die Nutzer von digitalen Dienstleistungen befinden, wo deren Absatzmärkte liegen oder nutzergenerierte Daten gewonnen werden.
Dazu bedarf es zum einen einer Modifikation des rechtlichen Anknüpfungspunkts für eine Besteuerung (sogenannter Nexus). Dieser basiert nach bisherigem internationalen Konsens auf dem Betriebsstättenprinzip, also auf dem Vorhandensein einer physischen Präsenz in dem jeweiligen Land. Nach dem Masterplan von OECD/G20 kommen hier Konzepte in Betracht, die eine Erweiterung des bisherigen Betriebsstättenbegriffs um nichtphysische Komponenten (zum Beispiel bei nachhaltiger und signifikanter Einflussnahme auf eine nationale Volkswirtschaft) oder die Schaffung eines eigenen Anknüpfungspunkts für ein nationales Besteuerungsrecht in Ergänzung zum physischen Betriebsstättenkonzept (zum Beispiel bei dauerhafter Tätigkeit und Nutzung des Zielstaats über den reinen Vertrieb von Waren hinaus) vorsehen.
Darüber hinaus müssen die internationalen Regelungen zur Allokation von Gewinnen an dieses neue Nexus-Prinzip angepasst werden. Nach bisherigem internationalen Konsens folgt die Gewinnallokation dem sogenannten Fremdvergleichsgrundsatz, das heißt, einer Betriebsstätte sind letztlich die Gewinne zuzuordnen, die ein unabhängiger Dritter unter im Wesentlichen gleichen Bedingungen erzielt hätte.
Nach dem Masterplan von OECD/G20 werden Konzepte für eine Gewinnallokation erörtert, die
- eine proportionale Aufteilung von Residualgewinnen entsprechend der Wertschöpfung in einem bestimmten Markt („modified residual profit split method“) oder
- eine proportionale Aufteilung des Gesamtgewinns entsprechend der Wertschöpfung in einem Markt („fractional apportionment method“) oder
- eine Aufteilung von Unternehmensgewinnen entsprechend den Aufwendungen für Marketing, Vertrieb und nutzerbezogene Aktivitäten in einem Markt („distribution-based approaches“)
vorsehen.
Säule 2: Einführung eines internationalen Mindestbesteuerungsniveaus
Die zweite Säule der Strategie von OECD/G20 besteht darin, ein bestimmtes Mindestbesteuerungsniveau für Digitalunternehmen sicherzustellen. Dies soll geschehen zum einen durch eine Mindestbesteuerung im Ansässigkeitsstaat und zum anderen durch Abzugsbeschränkungen bei Zahlungen ins Ausland.
Für in Deutschland ansässige Unternehmen würde dies bedeuten, dass Gewinne ausländischer Tochtergesellschaften in Deutschland steuerpflichtig wären, wenn und soweit diese im Ausland nicht besteuert wurden oder einer niedrigen Besteuerung unterlegen haben. Über den Prozentsatz einer „Niedrigbesteuerung“ gibt es jedoch bisher international noch keinen Konsens.
Leisten in Deutschland ansässige Unternehmen Zahlungen an verbundene Unternehmen im Ausland, sollen nach den Vorschlägen von OECD/G20 diese Zahlungen für steuerliche Zwecke in Deutschland nicht oder nicht in vollem Umfang als Betriebsausgaben geltend gemacht werden können, wenn diese Zahlungen im Ausland keiner oder einer niedrigen Besteuerung unterliegen.
Ambitionierter Zeitplan von OECD/G20
Zum Fortgang der vorstehend skizzierten Überlegungen sieht der Masterplan von OECD/G20 einen ambitionierten Zeitplan vor, der beim G20-Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs in Fukuoka, Japan, im Wesentlichen unverändert verabschiedet worden ist. Dieser sieht die Erarbeitung einer international konsensfähigen Lösung bis Anfang 2020 vor.
Bemerkenswert ist insoweit, dass selbst Nationen, die traditionell für marktstarke Internetunternehmen stehen (namentlich USA und China), sich dem internationalen, auf konsensuales Handeln fokussierten Rahmen von OECD/G20 letztlich nicht verschlossen haben und ein abgestimmtes Vorgehen befürworten. Hier mag die Sorge vor einer zunehmenden Zerklüftung der internationalen Steuerlandschaft durch nationale Alleingänge bei der Einführung inhaltlich nicht aufeinander abgestimmter Digitalsteuern zur Einigkeit beigetragen haben.
Als wesentliches Merkmal sieht der Masterplan von OECD/G20 auch die Untersuchung und Modellberechnung der ökonomischen Konsequenzen avisierter Maßnahmen vor. Neben den ökonomischen Folgen für die beteiligten Staatshaushalte und die Steuerpflichtigen sollen auch die Verwaltungskosten für die Finanzverwaltung und die Steuerpflichtigen ermittelt werden.
Fazit
Kurz- bis mittelfristig werden sich Unternehmen, die international tätig sind und auf die Digitalisierung von Geschäftsmodellen setzen, wohl neuen steuerlichen Regeln gegenübersehen. Bestehende Systeme zur konzerninternen Gewinnabgrenzung werden an die neuen Regeln anzupassen sein. Auch ist zu befürchten, dass der bürokratische Aufwand, zum Beispiel für zusätzliche Steuererklärungen, weiter steigen wird.
Der weitere Abstimmungsprozess auf Ebene von OECD/G20 wird mit Spannung zu beobachten sein. Besondere Brisanz versprechen die Untersuchungen zu den ökonomischen Konsequenzen avisierter Maßnahmen. Der Wunsch der Finanzminister, sich den Zugriff auf Unternehmensgewinne von Digitalunternehmen zu sichern, mag zunächst verständlich sein. Zu beachten sind aber auch die Begehrlichkeiten anderer Staaten. So können sich Exportnationen wie Deutschland einem möglichen Steuerzugriff ausländischer Staaten auf Gewinne inländischer Unternehmen gegenübersehen. Dies etwa dann, wenn Exportgüter, etwa im Maschinen- und Anlagenbau, zunehmend vernetzt sind und durch Einsatz im Bestimmungsland Daten generieren, die der Hersteller wirtschaftlich verwerten kann.F
Hinweis der Redaktion:
Zu den Reformüberlegungen in Bezug auf eine Digitalsteuer siehe auch bereits den Beitrag von Ulrike Bär in Deutscher AnwaltSpiegel 8/2018 HIER. (tw)