Interviewserie: Corona und die Folgen für den Rechtsmarkt – Stimmen, Erkenntnisse, Ausblicke – Dr. Axel Boysen, Managing Partner, Fragomen Global, Frankfurt am Main

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Deutscher AnwaltSpiegel: Wie ist Fragomen bisher durch die Coronakrise gekommen?

Dr. Boysen: Insgesamt sehr gut. Als Spezialisten für Wirtschaftsmigration haben uns die weltweiten Reisebeschränkungen natürlich zunächst getroffen, da eine Vielzahl laufender Verfahren zur Erteilung von Arbeits- und Aufenthaltserlaubnissen zwar von unseren Mandanten weiterbetrieben wurde, aber die zuständigen Behörden ihren Betrieb – in unterschiedlichem Umfang – reduziert oder eingestellt hatten. Dies trifft insbesondere auf die Schließung von Konsulaten zu, wobei wir hier jetzt wieder einen deutlichen Trend zur Wiederaufnahme des Regelbetriebs feststellen. Deutlich spürbar ist der stark gestiegene Bedarf an strategischer Beratung im Immigrationsrecht. Wir haben in den vergangenen Wochen beobachten können, wie sich täglich die Lage im Hinblick auf Einreisebeschränkungen, -lockerungen und Quarantäneregelungen ändert. Gleichzeitig besteht aber auch in einer solchen Ausnahmesituation der unternehmerische Bedarf fort, Mitarbeiter ins Ausland zu entsenden, beispielsweise für dringende Projekte oder die Aufrechterhaltung von Produktionskapazitäten auf anderen Kontinenten.

Deutscher AnwaltSpiegel: Welche Erkenntnisse haben Sie bereits gewinnen können – bezogen sowohl auf interne Strukturen als auch mit Blick auf den Markt?

Dr. Boysen: Die Krise wird den Global-Mobility-Markt auf jeden Fall verändern. Viele Unternehmen haben gelernt, dass digitales Arbeiten und Kommunizieren viel besser funktioniert, als sie in einer Welt vor Covid-19 glaubten. Deshalb wird die Notwendigkeit von solchen Dienstreisen, die eher für Besprechungen durchgeführt werden und nicht unmittelbar wertschöpfend sind, künftig kritischer überdacht werden. An einen, wie jüngst immer häufiger prognostiziert wird, kommenden Rückbau der Globalisierung mit einer Verringerung globaler Wertschöpfungsketten und Absatzmärkte glaube ich allerdings nicht. Die Weltwirtschaft ist dafür zu stark verwoben, und aufstrebende Volkswirtschaften wollen das Wohlstandsniveau erreichen, das westliche Staaten schon lange haben. Wirtschaftsmigration wird deshalb ein wichtiger Treiber des weltweiten Handels bleiben. Freilich hat jedoch die Coronakrise insgesamt den bereits seit gut zehn Jahren zu beobachtenden Prozess einer steigenden Kostensensitivität bei den Unternehmen beschleunigt. In Zukunft wird man noch genauer abwägen, ob und zu welchen Bedingungen sich ein Auslandseinsatz wirtschaftlich rechnet.

Deutscher AnwaltSpiegel: Home-Office und das Arbeiten in virtuellen Teams scheinen ganz überwiegend zu funktionieren. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Zeit nach der Krise – insbesondere im Hinblick auf Präsenzzeiten im Office, Dienstreisen und die zukünftige Planung der Büroflächen?

Dr. Boysen: Durch unser auf internationale Vernetzung ausgelegtes Geschäftsmodell hatten wir bei Fragomen ohnehin schon lange vor der Pandemie digitale Arbeits- und Kommunikationsprozesse eingeführt. Das unterscheidet uns sicher von anderen Kanzleien, die immer noch stärker papierbasiert arbeiten. Insofern haben wir unsere Arbeitsweise in unserem Frankfurter Büro gar nicht ändern müssen. Die einzige Änderung: Anstelle von zwei Tagen regelmäßigem Home-Office pro Woche haben wir seit Anfang März dieses Jahres fast komplett auf Arbeiten von zu Hause aus umgestellt. Nur für die Rezeption und die Post haben wir das anders gehandhabt. Die Umstellung hat uns ein Wochenende gekostet. Am Freitag vor dem Lockdown gab es einen Lasttest für die IT-Verfahren, und nachdem der komplikationslos funktioniert hat, sind wir dann am folgenden Montag in den Remote-Betrieb gestartet.

Deutscher AnwaltSpiegel: Führt Corona nach Ihrer Einschätzung zu einem Digitalisierungsschub im Rechtsmarkt?

Dr. Boysen: Das ist mit Sicherheit der Fall. Die Corona-krise wird auch hier einen sich schon länger abzeichnenden Paradigmenwechsel beschleunigen. Die Vorurteile der Home-Office-Skeptiker sind in diesem weltweiten Praxistest der vergangenen Wochen und Monate weitestgehend widerlegt worden. Deshalb wird sich der Rechtsmarkt insgesamt von der alten Präsenzkultur wegbewegen, hin zu effizienten digitalen Dienstleistungen, die vor allem die Bedürfnisse der Mandanten in den Vordergrund stellen, aber zugleich auch wichtige Themen wie etwa die Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Freizeit für die Mitarbeiter positiv beeinflussen werden.

Deutscher AnwaltSpiegel: Schließlich – der Blick in die Glaskugel: Wagen Sie eine Prognose für den weiteren Verlauf des Jahres 2020?

Dr. Boysen: Um verlässliche Prognosen anzustellen, sind die bisherigen Erfahrungen mit dem Virus zu gering. Auch die Seriosität wirtschaftlicher Prognosen, die teilweise mit sehr viel Überzeugung nach außen getragen werden, muss meines Erachtens in Frage gestellt werden. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass es bei einem etwaigen erneuten Anstieg der Infektionszahlen zu einem derart abrupten Stillstand kommen wird, wie wir ihn Mitte März erlebt haben. Die Härte und Generalität der damaligen Maßnahmen waren auch der damals herrschenden Unsicherheit im Umgang mit dem Virus geschuldet. Bei einer erneuten Verschlimmerung der Pandemie gehe ich von dynamischeren Maßnahmen seitens der jeweiligen Regierungen aus, bei denen beispielsweise zunächst lokale Reisebeschränkungen eingeführt und nicht ganze Landesgrenzen dichtgemacht werden. Wir sehen ja bereits jetzt, dass die Empfehlungen der Europäischen Kommission für die Reisebeschränkungen die Entwicklung des Infektionsgeschehens in den jeweiligen Herkunftsländern als wichtigen Maßstab begreifen.
Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass Unternehmen arbeiten müssen, um bestehen zu können. Unsere Mandanten planen bereits für die Zukunft. Für uns als Dienstleister kann das nur bedeuten, dass wir die Zeichen der Zeit richtig deuten müssen, um unsere Mandanten optimal unterstützen zu können.

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