Im Blickpunkt: Haftungsminimierung – für Arbeitgeber das Gebot der Stunde

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Nach dem mehrwöchigen „Lockdown“ in Deutschland und immensem öffentlichen Druck, die durch Covid-19 bedingten Beschränkungen aufzuheben, beginnen immer mehr Unternehmen, ihre Geschäftstätigkeit wieder hochzufahren. Für einige Unternehmen bedeutet dies einen Anstieg der Zahl von Mitarbeitern, die wieder ins Büro kommen und von dort aus arbeiten. Für andere bedeutet es einen völligen Neustart. In dieser Situation sehen sich Arbeitgeber mit einer Vielzahl von gesetzlichen Bestimmungen konfrontiert, die sie einhalten müssen. Arbeitgeber müssen rechtzeitig die richtigen Maßnahmen ergreifen, um das Risiko einer möglichen Haftung zu minimieren.

Standards für Arbeitssicherheit und Infektionsprävention
Arbeitgeber müssen sich regelmäßig mit den neuesten Standards für Arbeitssicherheit und Infektionsprävention vertraut machen, um in der Lage zu sein, das Risiko einer Verbreitung von Covid-19 in ihrem Unternehmen weitestgehend zu minimieren. Am 16.04.2020 stellte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gemeinsam mit dem Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Dr. Stefan Hussy, einen einheitlichen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard vor. Dieser Standard gibt konkrete Empfehlungen für Arbeitsschutzmaßnahmen, die während der Coronakrise umgesetzt werden sollten. Arbeitgeber sind aufgefordert, technische, organisatorische und personelle Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausbreitung des Coronavirus am Arbeitsplatz einzudämmen. Zu den technischen Maßnahmen können etwa die Anbringung optischer und physischer Barrieren am Arbeitsplatz zwecks Gewährleistung der Einhaltung des Mindestsicherheitsabstands von 1,5 Metern, die regelmäßige Reinigung und Desinfektion von Einrichtungen und Geräten, die Bereitstellung von Hygiene- und Sanitärprodukten sowie die Verbesserung der Belüftung in Räumen gehören. Zu den organisatorischen Maßnahmen gehören die Aufstellung eines Pandemieplans, geänderte Zugangsregeln, Schichtarbeitssysteme, versetzte Arbeits- und Pausensysteme, die Zuweisung von Arbeitsmitteln und individualisierter persönlicher Schutzausrüstung (PSA). Schließlich können persönliche Maßnahmen das Tragen von Mund-Nasen-Schutz und PSA, Unterweisungen und die aktive Kommunikation sowie besondere Maßnahmen zum Schutz von Risikogruppen umfassen.

Gefährdungsbeurteilung
Die Einführung angemessener und geeigneter technischer, organisatorischer und persönlicher Maßnahmen ist Teil der vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung, die jeder Arbeitgeber auf Grundlage der Gesetze zur Arbeits­sicherheit und zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ohnehin durchzuführen hat. Auch wenn es eine fort­laufende Verpflichtung des Arbeitgebers ist, Gefahren am Arbeitsplatz zu bewerten und zu reduzieren, hat das Coronavirus in nur kurzer Zeit eine neue Art von Gefährdungen für buchstäblich jeden Arbeitsplatz geschaffen. Die Tätigkeiten der Mitarbeiter sind davon auf unterschiedlichste Weise betroffen, so dass zusätzlich zu den allgemeinen Verhaltensregeln der Mitarbeiter – je nach besonderer Risikosituation des Arbeitsplatzes – besondere Maßnahmen erforderlich sein können und ergriffen werden müssen. Der Arbeitsschutzausschuss und der Betriebsarzt müssen in die Gefährdungsbeurteilung einbezogen werden. Diese Gremien arbeiten eng mit dem Betriebsrat zusammen.

Tests und Auskünfte zum Gesundheitsstatus
Als Reaktion auf Covid-19 kann es zur betrieblichen Strategie von Arbeitgebern gehören, Mitarbeiter auf das Vorliegen möglicher Covid-19-Symptome zu testen (etwa durch Temperaturmessung am Eingang) oder regelmäßige Erklärungen darüber zu verlangen, ob Mitarbeiter beispielsweise Kontakt mit an Covid-19 erkrankten Menschen hatten. Gesundheitsdaten von Mitarbeitern zählen zu den sogenannten sensiblen (personenbezogenen) Daten im Sinne der EU- und deutschen Datenschutzgesetze und können nur unter sehr strengen Bedingungen erhoben und verarbeitet werden. Arbeitgeber müssen sorgfältig zwischen dem Nutzen, den die Erhebung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten als Teil eines Gesamtkonzepts für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz bringen kann, und den potentiellen (finanziellen) Risiken, die sich aus einer Verletzung von Datenschutzgesetzen ergeben, abwägen.

Mitbestimmungsrechte
Die meisten Maßnahmen, die Arbeitgeber zur Verbesserung der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz als Reaktion auf Covid-19 ergreifen und umsetzen wollen, unterliegen der Mitbestimmung des Betriebsrats und erfordern die Einbeziehung zusätzlicher interner und externer Stellen und Fachleute. Sofern mit dem Betriebsrat zu mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen keine Einigung erzielt werden kann, müssen Arbeitgeber vor Umsetzung entsprechender Maßnahmen gegebenenfalls den Weg in die Einigungsstelle beschreiten. Dies kann sehr zeitaufwendig und kostspielig sein. Arbeitgeber sollten deshalb in jedem Fall frühzeitig und fokussiert mit ihrer Gefährdungsbeurteilung im Zusammenhang mit Covid-19 beginnen und die betriebliche Interessenvertretung zeitgerecht einbinden, bevor sie Mitarbeiter wieder in den Betrieb zurückholen.

Management von Mitarbeitern, die sich im Home-Office befinden oder nicht arbeiten können
Arbeitgeber sollten auch Mitarbeiter in ihre gedanklichen Planungen einbeziehen, die derzeit ihre Tätigkeit von einer außerbetrieblichen Arbeitsstätte (etwa Home-Office) aus verrichten oder gegebenenfalls auch gar nicht arbeiten (können). Sie alle sollten in die regelmäßige und möglichst effektive Kommunikation rund um die Pläne des Unternehmens zur Wiederaufnahme der betrieblichen Aktivitäten und der erforderlichen Maßnahmen einbezogen werden. Eine proaktive Kommunikation kann diesen Mitarbeitern helfen, etwaige Bedenken gegen eine Rückkehr an den Arbeitsplatz frühzeitig zu äußern, was dann häufig individuelle Lösungen ermöglicht.

Personalplanung
Während sich viele Unternehmen bereits auf die aktuelle Situation eingestellt haben und mit Kurzarbeitsrege­lungen, Teilzeit- oder Sabbatical-Vereinbarungen oder dem Einsatz flexibler Arbeitszeitmodelle Zeit überbrücken können, muss mittel- bis langfristig entschieden werden, ob infolge reduzierten Arbeitsvolumens Personal abgebaut werden soll. Größere Entlassungen können zeitaufwendig und kostspielig sein. In Betrieben mit Betriebsräten können Arbeitgeber abhängig von bestimmten Schwellenwerten gezwungen sein, vor Umsetzung von Personalabbaumaßnahmen zunächst Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zu führen. Wenn mit dem Betriebsrat keine Einigung erzielt werden kann, muss unter Umständen eine Einigungsstelle eingerichtet werden. Ein schrittweiser Personalabbau, gegebenenfalls in Verbindung mit einem Freiwilligenprogramm, kann in vielen Fällen eine schnellere und effizientere Umsetzung ermöglichen. Für andere Unternehmen kann es derzeit ein guter Zeitpunkt sein, offene Stellen zu besetzen und hierbei von dem größeren Arbeitskräfteangebot zu profitieren. Manch hochqualifizierter und talentierter Arbeitnehmer hat vielleicht gerade seinen Arbeitsplatz verloren und ist nun auf der Suche nach einer neuen Anstellung.

Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Arbeitgeber in der aktuellen Situation in Bezug auf die rasch voranschreitenden politischen und rechtlichen Entwicklungen stets auf dem Laufenden bleiben sollten. Eine der größten Herausforderungen für Arbeitgeber wird sein, ihre Geschäftsprozesse und Räumlichkeiten so zu organisieren, dass Sicherheits- und Gesundheitsrisiken für alle Betroffenen so weit wie möglich minimiert werden. Während dieser Planungsphase sollte der hohe Wert einer regelmäßigen Kommunikation mit der Belegschaft nicht unterschätzt werden. Zudem sollten Arbeitgeber ihren Personalbestand sorgfältig beobachten und prüfen, ob dieser mit der voraussichtlichen Entwicklung der wirtschaftlichen Lage ihres Unternehmens im Einklang steht.

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