Mit dem Ausbruch der weltweiten Covid-19-Pandemie und den in diesem Rahmen behördlich angeordneten Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Virus, die letztlich zu einem Stillstand des öffentlichen Lebens geführt haben, sind in erster Linie Betriebsunterbrechungsversicherungen, Betriebsschließungsversicherungen sowie Veranstaltungsausfallversicherungen in den Fokus der Betrachtung gerückt. Angesichts der inzwischen erfolgten Lockerungen, insbesondere der Wiedereröffnung von Restaurants und Geschäften für den Publikumsverkehr unter teilweise strengen Hygienevorschriften, wird nunmehr vermehrt erörtert, welche potentiellen Auswirkungen die Coronakrise auf andere Versicherungszweige hat. Vor diesem Hintergrund sollen in diesem Beitrag mögliche Haftungs- und Deckungsfragen im Bereich der allgemeinen Haftpflichtversicherung sowie der Produkthaftpflichtversicherung beleuchtet werden, die sich (potentiell) im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie stellen.
Haftungsrisiken im Zusammenhang mit Covid-19
Allgemeine Haftpflichtversicherung
In Bezug auf die allgemeine Haftpflichtversicherung sind grundsätzlich Haftungsszenarien denkbar, in denen der Geschädigte den Versicherungsnehmer wegen eines Personenschadens und/oder eines darauf basierenden Vermögensschadens in Anspruch nimmt. Mögliche Schadensersatzansprüche könnten dabei insbesondere auf eine unzureichende Reinigung und Desinfizierung von (Arbeits-)Räumen und Gegenständen, mangelnde Vorkehrungen zur Einhaltung der Abstandsregelungen sowie das Fehlen erforderlicher Schutzausrüstungen wie beispielsweise Mund-Nasen-Masken gestützt werden, die eine Infektion des Geschädigten verursacht haben. Dabei halten wir zum einen die Inanspruchnahme von Versicherungsnehmern durch ihre Arbeitnehmer oder andere Betriebsangehörige für denkbar. Zum anderen könnten Kunden des Versicherungsnehmers, die dessen Restaurant, Geschäft oder Betrieb besucht haben, Schadensersatzansprüche wegen einer Covid-19-Infektion geltend machen.
Produkthaftpflichtversicherung
Auch im Bereich der Produkthaftpflichtversicherung gehen wir davon aus, dass sich potentielle Schadensersatzansprüche auf die Geltendmachung von Personenschäden und/oder hierauf beruhenden Vermögensschäden beschränken werden. Als typische Haftungsszenarien sind dabei insbesondere Inanspruchnahmen von Versicherungsnehmern zu erwarten, die persönliche Schutzausrüstungen sowie Medizinprodukte herstellen, die entgegen der (Kunden-)Erwartung nicht zur Eindämmung des Covid-19-Virus oder zur Behandlung von infizierten Personen geeignet sind.
Ein erhöhtes Haftungsrisiko resultiert dabei insbesondere daraus, dass aufgrund der Pandemie eine Vielzahl von Unternehmen ihre Produktion auf Schutzausrüstungen und Gesundheitsgüter umgestellt hat. Dies geht Hand in Hand mit verschiedenen Maßnahmen der Europäischen Kommission, die den Marktzugang für persönliche Schutzausrüstungen und Medizinprodukte erheblich erleichtert haben. So hat sich die Europäische Kommission angesichts der Bedeutung von Schutzmasken und -ausrüstung sowie Desinfektionsmitteln bei der Bekämpfung der Coronakrise und der damit verbundenen exponentiell angestiegenen Nachfrage dazu entschieden, die bislang geltenden Regularien zu lockern. Neben informierenden Leitfäden zur Produktion von Schutzausrüstung, Handdesinfektionsmitteln sowie der Herstellung von Schutzausrüstung mittels 3-D-Druck hat die Europäische Kommission zudem eine Empfehlung über Konformitätsbewertungs- und Marktüberwachungsverfahren zur Bekämpfung der Covid-19-Bedrohung veröffentlicht. Hierin ist unter anderem geregelt, dass die für die Produktbewertung verantwortlichen benannten Stellen Schutzausrüstungen vorrangig und zügig prüfen sollen. Daneben wurde bestimmt, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch Produkte ohne das sonst erforderliche CE-Kennzeichen in den Verkehr gebracht werden dürfen. Hinsichtlich von Medizinprodukten, wie etwa der für die Behandlung von an Corona erkrankten Patienten dringend benötigten Beatmungsgeräte, hat die Europäische Kommission einen weiteren Leitfaden veröffentlicht. Daneben sollen verschiedene Beschlüsse, die die Europäische Kommission am 24.03.2020 angenommen hat, den Markzugang erleichtern und es Herstellern ermöglichen, die für das Gesundheitswesen dringend benötigten Medizinprodukte schneller in den Verkehr zu bringen.
Obwohl die Erleichterungen des Marktzugangs zur Bedienung der Nachfrage an Schutzausrüstungen und Produkten des medizinischen Bereichs nachvollziehbar sind, bergen diese für die Hersteller bei Ausbleiben des versprochenen Schutzes vor einer Covid-19-Infektion oder – schlimmer – beim Versagen eines Beatmungsgeräts ein nicht unerhebliches Haftungsrisiko. Insofern wird sich bei einer Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers stets die Frage stellen, ob das Produkt einen Fehler nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG aufweist. Dies ist der Fall, wenn das Produkt nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere seiner Darbietung, des Gebrauchs und des Zeitpunkts seines Inverkehrbringens berechtigterweise erwartet werden durfte. Liegt ein solcher Fehler vor, haftet der Hersteller (und nach § 4 Abs. 2 ProdHaftG auch der Importeur) gemäß § 1 Abs. 1 ProdHaftG verschuldensunabhängig für den verursachten Schaden.
Kausalitäts- und Beweisfragen
Werden Versicherungsnehmer in einer der obengenannten Szenarien von einem Dritten auf Ersatz eines Personen- oder darauf beruhenden Vermögensschadens in Anspruch genommen, werden sich aus unserer Sicht dabei häufig Fragen der Kausalität stellen. Insofern gehen wir davon aus, dass die weit überwiegende Mehrheit der (potentiellen) Kläger bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aufgrund unzureichender persönlicher Schutzausrüstung, fehlender Einhaltung der Abstandsregelungen oder nicht ausreichender Reinigung und Desinfektion im Regelfall den Kausalzusammenhang zwischen der (angeblichen) Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers und/oder einem anderen Versicherten und den entstandenen Schäden nicht wird nachweisen können. Dies beruht zum einen auf der Inkubationszeit von einem bis 14 Tagen. Zum anderen waren die möglichen Anspruchsteller vor der Infektion mit dem Coronavirus mit hoher Wahrscheinlichkeit verschiedenen Kontaminationsquellen ausgesetzt. Und auch bei (angeblich) fehlerhaften Medizinprodukten wird man sich angesichts der Neuartigkeit des Covid-19-Virus und des hierauf beruhenden Krankheitsverlaufs oftmals die Frage stellen, ob und wie weit Personenschäden kausal auf dem Medizinprodukt beruhen und ob dieses tatsächlich einen Fehler im Sinne des Produkthaftungsgesetzes aufweist.
Deckungsrechtliche Risiken und Fragestellungen
Inhalt und Reichweite der (Produkt-)Haftpflichtversicherung
Nach § 100 VVG sowie der Regelung in Ziffer 5.1 AHB ist der Versicherer verpflichtet, den Versicherungsnehmer von begründeten Ansprüchen freizustellen und unbegründete Ansprüche abzuwehren. Ungeachtet der angesprochenen Kausalitäts- und Beweisfragen hat der Versicherer bei einer Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers wegen grundsätzlich versicherter Schäden daher seiner Rechtsschutzverpflichtung auch dann nachzukommen, wenn erhebliche Nachweisprobleme bestehen. Da sowohl die Bedingungen für die allgemeine Haftpflichtversicherung als auch für die Produkthaftpflichtversicherung darüber hinaus üblicherweise entsprechend Ziffer 1.1 AHB sowie Ziffer 1 ProdHM vorsehen, dass Versicherungsschutz (nur) für Personen-, Sach- und sich daraus ergebende Vermögensschäden besteht, gehen wir insgesamt aber davon aus, dass die Covid-19-Pandemie voraussichtlich nur zu einem leichten Anstieg von begründeten Freistellungsansprüchen im Rahmen von allgemeinen Haftpflicht- und Produkthaftungspolicen führen wird. Dies beruht zum einen auf der Tatsache, dass die meisten mit Covid-19 infizierten Personen an eher geringfügigen Symptomen leiden, die – sofern sie überhaupt als Coronaerkrankung identifiziert werden – zu keinen finanziellen Nachteilen führen. Zum anderen halten wir Szenarien von auf Covid-19 beruhenden Sachschäden für nur schwer vorstellbar.
Trotz der Begrenzung des Deckungsschutzes auf Personen- und Sach- sowie sich daraus ergebende Vermögensschäden könnten sich Situationen ergeben, in denen Versicherungsnehmer wegen Fehlens anderweitigen Versicherungsschutzes versuchen, Gewinnausfälle wegen (behördlich angeordneter) Betriebsschließungen unter ihre allgemeine Haftpflicht- oder Produkthaftpflichtpolice zu fassen. Nach deutschem Verständnis stellt ein bloßer Nutzungsausfallschaden oder entgangener Gewinn allerdings einen reinen Vermögensschaden dar, der grundsätzlich nicht gedeckt ist. Mit Blick auf den Inhalt und die Reichweite des Deckungsschutzes gehen wir daher davon aus, dass Gewinnausfälle ausschließlich in der Konstellation versichert sind, dass der Versicherungsnehmer und/oder seine Mitarbeiter einen Dritten mit dem Covid-19-Virus infiziert haben und der Dritte infolgedessen seinen Betrieb schließen muss.
Soweit Dritte Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer wegen Nichterfüllung oder mangelhafter Vertragsleistungen aufgrund der Covid-19-Pandemie geltend machen, sind solche Ansprüche in der Regel nicht versichert. Derartige Ansprüche sind schon nicht als Schadensersatzansprüche im Sinne der Versicherungsbedingungen zu qualifizieren und fallen daher nicht in den Anwendungsbereich der allgemeinen Haftpflicht- oder Produkthaftpflichtpolicen. Daneben sind vertragliche Ansprüche auf Erfüllung, Nacherfüllung oder damit verbundene Ersatzansprüche auf Schadensersatz statt der Leistung nach Ziffer 1.2 AHB deklaratorisch von der Deckung ausgeschlossen.
Infektionsklausel
Hinsichtlich etwaiger Deckungsanfragen im Zusammenhang mit einer auf eine Covid-19-Infektion gestützte Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers durch Dritte gehen wir davon aus, dass der sogenannten Infektionsklausel als Ausschlusstatbestand eine besondere Rolle zukommen wird. Nach Ziffer 7.18 AHB, die so oder ähnlich üblicherweise in den allgemeinen Haftpflichtpolicen enthalten ist, sind Haftpflichtansprüche wegen Personenschäden, die aus der Übertragung einer Krankheit des Versicherungsnehmers resultieren, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Insofern stellt sich die Frage, ob bereits die Infektion mit dem Covid-19-Virus als Übertragung einer Krankheit anzusehen ist oder ob dies erst bei Manifestation von körperlichen Beschwerden der Fall ist.
Im Ergebnis halten wir die Bedeutung der Infektionsklausel aber für gering. Denn der Ausschlussgrund gilt nur, wenn der Versicherungsnehmer selbst als natürliche Person und Träger des Coronavirus eine andere natürliche Person infiziert. Daher ist die Deckung beispielsweise dann nicht ausgeschlossen, wenn es sich bei dem Versicherungsnehmer um ein Unternehmen handelt, das mit Ansprüchen seiner Mitarbeiter oder Dritter aus der Verletzung von Sicherheitsmaßnahmen konfrontiert wird. Zudem besteht nach der Rückausnahme in Ziffer 7.18 AHB Versicherungsschutz, wenn der Versicherungsnehmer beweist, dass er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt hat.
Fazit
Insgesamt ist nicht auszuschließen, dass die Covid-19-Pandemie neben den vieldiskutierten Betriebsschließungs- und Betriebsausfallversicherungen auch zu einem Anstieg von Haftpflichtansprüchen unter allgemeinen Haftpflichtpolicen sowie Produkthaftpflichtversicherungen führen wird. Ein besonderes Haftungsrisiko resultiert dabei aus dem Maßnahmenpaket der Europäischen Kommission, das den Marktzugang von dringend benötigter Schutzausrüstung erleichtern und beschleunigen soll. Hinsichtlich deckungsrechtlicher Fragestellungen erwarten wir, dass Versicherungsnehmer versuchen könnten, mangels Abschluss von Betriebsschließungs- und Betriebsausfallversicherungen grundsätzlich nicht versicherte Nutzungsausfallschäden und entgangenen Gewinn unter (Produkt-)Haftungspolicen geltend zu machen. Zudem liegt es nahe, dass der sogenannten Infektionsklausel in etwaigen versicherungsrechtlichen Streitigkeiten eine gesteigerte Bedeutung zukommen wird.