Im Blickpunkt: Rechtliche Aspekte der Produktionsumstellung in Zeiten von Covid-19

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In der aktuellen Covid-19-Pandemie überlegen viele Unternehmen, ihre Produktion auf Schutzausrüstung und Gesundheitsgüter umzustellen. Der Bedarf ist hoch. Doch nicht jede Produktionslinie ist technisch auf Masken, Desinfektionsmittel oder Beatmungsgeräte ausgelegt. Auch dürfen persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte nicht ohne weiteres auf den Markt gelangen, sondern müssen geprüft und zertifiziert sein. Das Vorwagen in den medizinischen Bereich will daher gut überlegt sein. Für Unternehmen sind rechtlich zwei Aspekte zentral: der Marktzugang und das Haftungs­management.

Marktzugang für Gesundheitsgüter
Für Schutzausrüstungen, Desinfektionsmittel und medizinische Geräte gelten besondere Vorschriften. Sie unterliegen je nach Produkteinordnung der EU-Verordnung über persönliche Schutzausrüstung („PSA“) 2016/425 – etwa Atemschutzmasken –, der EU-Kosmetikverordnung 1223/2009 oder der EU-Biozidverordnung 528/2012 – etwa Desinfektionsgel – oder der EU-Richtline über ­Medizinprodukte 93/42/EWG, die nach bisherigem Stand im Mai 2020 durch die EU-Verordnung für Medizinprodukte 2017/745 abgelöst werden soll – etwa Beatmungsgeräte.
Vor dem Inverkehrbringen solcher Produkte muss der Hersteller oder Importeur sicherstellen, dass die geltenden Anforderungen erfüllt sind. Bei PSA oder Medizinprodukten ist ein Konformitätsbewertungsverfahren zu durchlaufen, teilweise unter Einbindung einer sogenannten benannten Stelle wie der DEKRA. Das Produkt darf prinzipiell nur auf den Markt, wenn es ein CE-Kenn­zeichen trägt. Bei Nichtbeachtung drohen Bußgelder und Unterlassungsklagen.
Um in der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie auch solchen Unternehmen den Markzugang zu erleichtern, die sich in der Gesundheitsbranche bisher nicht genauer auskannten, hat die EU-Kommission kürzlich mehrere Maßnahmen ergriffen.

So hat sie am 30.03.2020 drei Leitfäden zur Produktion von Schutzausrüstung, Handdesinfektionsmitteln sowie Ausrüstung mittels 3-D-Druck veröffentlicht. Der erste Leitfaden soll helfen, die rechtlichen und technischen Anforderungen für den Import oder die Herstellung von Schutzausrüstungen zu prüfen und anzuwenden. Der zweite Leitfaden betrifft den für das Inverkehrbringen von hydroalkoholischem Gel geltenden Rechtsrahmen. Mit dem dritten Leitfaden geht die Kommission auf 3-D-Druck-Erzeugnisse ein, die im medizinischen Bereich eingesetzt werden sollen. Für die Kategorie der Medizinprodukte – darunter fallen insbesondere komplexere Geräte wie etwa Beatmungsgeräte – hat die EU-Kommission noch keinen Leitfaden erstellt. Ein solcher ist angekündigt und dürfte bald folgen.
Neben informierenden Leitfäden hat die EU-Kommission am 13.03.2020 eine Empfehlung über die Konformitätsbewertungs- und Marktüberwachungsverfahren im Kontext der Covid-19-Bedrohung veröffentlicht. Diese richtet sich an die EU-Mitgliedsstaaten und die für die Produktbewertung verantwortlichen benannten Stellen. Letztere sollen Konformitätsbewertungsverfahren für PSA vorrangig behandeln und zügig durchführen. Unter bestimmten Voraussetzungen sollen solche Produkte ausnahmsweise auch ohne CE-Kennzeichnung in den Verkehr gebracht werden dürfen. Die Marktüberwachung soll sich auf nichtkonforme PSA oder Medizinprodukte konzentrieren, von denen eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit des Benutzers ausgeht. All das soll dazu dienen, die derzeit ohnehin knappen Ressourcen der benannten Stellen (siehe dazu hier) und der Überwachungsbehörden auf die wesentlichen Punkte zu konzentrieren.
Ebenfalls den Markzugang erleichtern sollen Beschlüsse der EU-Kommission vom 24.03.2020 über sogenannte harmonisierte Normen für Medizinprodukte. Damit wird es Herstellern ermöglicht, Medizinprodukte zum Schutz von Patienten, Angehörigen der Gesundheitsberufe sowie Bürgern schneller als bisher in den Verkehr zu bringen. Bei der Anwendung der Normen ist davon auszugehen, dass die hergestellten Produkte die Anforderungen der Richtlinien über Medizinprodukte erfüllen. Damit wird zur Deckung des akuten Bedarfs ein schnelleres und kostengünstigeres Konformitätsbewertungsverfahren ermöglicht. Flankiert wird diese Maßnahme durch die kostenfreie Zugänglichmachung zahlreicher europäischer technischer Normen für bestimmte Medizinprodukte und PSA.
Am 03.04.2020 hat die EU-Kommission schließlich eine Empfehlung veröffentlicht, wonach der Geltungsbeginn der neuen EU-Medizinprodukteverordnung um ein Jahr, auf den 26.05.2021, verschoben werden soll. Vorgesehen ist darüber hinaus, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten abweichend von den normalerweise geltenden Bedingungen im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedsstaats das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme eines spezifischen Medizinprodukts genehmigen können, auch wenn es kein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen hat – wenn dessen Verwendung aber im Interesse der öffentlichen Gesundheit, der Patientensicherheit oder -gesundheit liegt. Hier soll also eine Ausnahmeregelung von der grundsätzlich geltenden CE-Kennzeichnungspflicht geschaffen werden. Der Vorschlag muss noch vom EU-Parlament und dem Rat angenommen werden.

Haftungsmanagement
Ist der Markzugang durch Erfüllung der – derzeit etwas gelockerten – regulatorischen Anforderungen geschafft, gilt es aus Unternehmenssicht zu bedenken, dass sich Haftungsfragen stellen können. Was gilt, wenn die Schutzmaske nicht das hält, was sie verspricht, und ihr Träger erkrankt? Und – schlimmer noch – was droht, wenn ein Beatmungsgerät im entscheidenden Moment technisch versagt? Umfangreiche Schadensersatzansprüche können die Folge sein. Diese richten sich in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz und dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Die Kernfrage dabei: Hat das betreffende Produkt einen Fehler, bietet es also nicht die Sicherheit, die der Anwender oder Patient billigerweise von ihm erwarten kann? Liegt ein solcher Fehler vor, haftet der Verantwortliche nach dem Produkthaftungsrecht verschuldensunabhängig für den kausal verursachten Schaden. Verantwortlich ist dabei nicht nur der Hersteller, sondern bei importierten Waren auch der Importeur. Nicht zuletzt aus diesem Grund empfiehlt sich eine genaue technische und funktionelle Prüfung der jeweiligen Produkte – bei komplexeren Produkten einschließlich der vorhandenen Zulieferer. Denn auch für fehlerhafte Komponenten muss letztlich derjenige einstehen, der die Schutzausrüstung oder das Medizingerät auf den Markt gebracht hat.

Fazit
Die Produktionsverlagerung in den medizinischen Bereich bietet eine Reihe von Chancen – in medizinischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht. Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten tun derzeit viel, um Produktionsumstellungen und Marktzugang zu erleichtern. Trotz dieser Erleichterungen muss jedem Unternehmen, das medizinische Schutzausrüstung oder medizinisches Gerät einführen, herstellen oder vertreiben möchte, bewusst sein, dass in diesem Sektor – auch in Zeiten der Covid-19-Pandemie – vergleichsweise strenge rechtliche Anforderungen gelten. Das betrifft den Zugang als solchen, es gilt auch für mögliche Haftungsrisiken bei Produktversagen. Trotz des oft hohen praktischen Handlungsdrucks empfiehlt es sich, diese Punkte konsequent in den Blick zu nehmen und umzusetzen.

Roland.wiring@cms-hs.com

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