Die Coronakrise überstehen – einige Gedanken aus der Praxis

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Vor sieben Jahren gab ein amerikanisches Legal-Magazin mir und anderen Fachleuten der Rechtsbranche die folgende Aufgabe: „Bitte beschreiben Sie eine wichtige Änderung, die Sie in unserer Branche bis zum Jahr 2020 erwarten, und erklären Sie, warum Sie diese Änderung erwarten.“ Um unterhaltsam zu sein, schrieb ich damals den folgenden Eintrag im „Logbuch“-Stil:
„Wednesday, April 22, 2020, 7:45am: You step out of the shower after your morning jog on the beach. You are the chief client officer at Legal Inc. International, the world’s largest provider of legal services. ‚Congratulations, your company stocks just went up 10%, you should treat yourself with a nice weekend get-away‘, you hear your virtual assistant saying via the sound-system. Smiling, you get dressed and head over to the virtual meeting area in your home office to join your colleagues Ivan, Paramjit, Rafiq, and Wei-Ting. Funny, you work with them all the time but have only met Paramjit in person at an industry event a few months ago. You are still getting used to seeing them as holograms rather than on the work surface that is as large as your desk. Wei-Ting, your newest team member, is beaming: ‚I just ran the analysis: According to our pitch probability prediction model, we should have a 78% chance of winning the pitch that came in last night.‘ ‚What’s their lifetime customer value to us?’ you ask. Ivan vigorously types on his screen. It takes less than 2 seconds before the number – $750m – pops up on your screen. ‚And they always pay fast‘, adds Rafiq. ‚Well, you know what to do, run process 901 and assemble the team‘, you say, smiling at her. ‚Let’s make it 100%!‘“
Klingt das jetzt nach Ihrem Leben? Zumindest in den USA gibt es noch keine börsennotierten Anwaltskanzleien. Aber wer weiß, ob die American Bar Association (ABA) nun nach dieser Rezession doch noch in die Knie gehen und möglicherweise Anwaltskanzleien Börsengänge erlauben wird, um sich so besser zu kapitalisieren? Die Kanzleien könnten so schnell in Technologie, Talent und ihre Infrastruktur investieren und besser mit den „Big Four“ mithalten.
Mein „Logbucheintrag“ erwähnte die umfassende Verwendung von Analysen und Arbeiten auf der Grundlage von Daten und Modellen. Heutzutage beschäftigen sich Betriebswirtschaftler sowohl in Kanzleien als auch auf Mandantenseite mehr als je zuvor mit Daten, technischen Tools und Software. Die Anwendung künstlicher Intelligenz wird uns eventuell bald dazu führen, dass der Wert eines Mandanten als „Zahl“ aufgefasst werden kann und Wahrscheinlichkeiten berechnet werden können, ob man ein Request for Proposal (RFP) gewinnen wird, die auf der vorherigen Zusammenarbeit, der Wettbewerbssituation und der Kapazität basieren.

Coronapandemie als Game-Changer
Und natürlich arbeiten jetzt mit der Coronapandemie die meisten von uns auch von zu Hause. Diese Pandemie hat unser Leben auf den Kopf gestellt und unsere und andere Volkswirtschaften in eine Rezession versetzt. Einige Familien haben Angehörige verloren, und Unternehmen mussten aufgrund der verheerenden Auswirkungen des Virus Insolvenz anmelden.
Ich hoffe, dass das Schlimmste vorbei ist, wenn Sie diesen Beitrag lesen. Ich vermute, dass wir uns verändern werden: von der Art und Weise, wie wir uns gegenseitig grüßen (werden wir uns in Zukunft verbeugen, wie man das in Japan macht, oder nur mit den Händen „Hallo“ winken?), über das, was wir als „wesentlich“ in Bezug auf Besprechungen und Reisen ansehen, bis hin zu unserer (neuen) Einstellung zu flexibler Arbeit. In unserer Branche hat die Coronapandemie unsere Prioritäten drastisch verschoben. „Bet the Company“ hat eine neue Bedeutung bekommen, und unsere Ansätze zum Business-Development, Marketing und Mandantenservice werden sich ebenfalls ändern.
Viele Unternehmen und Branchen haben Probleme. Am stärksten betroffen sind Fluggesellschaften, Hotels, Restaurants und stationäre Einzelhändler. Unternehmen und Investoren haben an der Börse Milliarden Euro und US-Dollar verloren. Dividenden werden gekürzt. Es wird Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis wir eine neue „normale“ Situation erreicht haben.
Ähnlich wie in der zurückliegenden Rezession ist auch die Rechtsbranche betroffen. Mandanten werden Preis­erleichterungen in Form von Rabatten oder Pauschalgebühren fordern. Sie werden verlangen, dass Kanzleien die Arbeit an bestimmten Projekten ganz einstellen, und wahrscheinlich werden sie mehr Arbeiten intern erledigen. Und sie werden wahrscheinlich auch aufhören, für manche Routinetätigkeiten externe Rechtsberater zu mandatieren (und sie dafür zu bezahlen).
Bis zur „Großen Rezession“ von 2008/2009 waren juristische Dienstleistungen weitgehend von der intensiven Kostenprüfung ausgenommen, mit der andere Geschäftsbereiche und Funktionen jahrelang vorher bereits konfrontiert waren. Die „Große Rezession“ wirkte als Katalysator und beschleunigte den Prozess des „Legal-Procurements“, also der Mitwirkung der Kollegen aus der Einkaufsabteilung, insbesondere in Großunternehmen. Zu den ersten Unternehmen, die „Legal-Procurement“ betrieben, gehörten Unternehmen aus stark regulierten Branchen wie Pharmaindustrie, Finanzdienstleistungsunternehmen, Versicherungen, Energie- und Versorgungsunternehmen. Diese Unternehmen geben jedes Jahr Hunderte Millionen Euro und US-Dollar für juristische Dienstleistungen aus.
Die Kanzleien rüsteten damals gleichfalls auf, mit Preisfachleuten, Projektmanagern und anderen Spezialisten. Die Frage ist, wie die Anwaltskanzleien diesmal reagieren werden. Welchen Ansatz planen sie?
Ähnlich wie in der Finanzkrise verlangsamt sich derzeit M&A. Mandanten verteilen ihre Ressourcen neu und verschieben Investitionen in das nächste Quartal, zum Ende des Jahres – und manche reden schon von 2021. Ob wir in den nächsten Monaten einen deutlichen Anstieg der Prozessführung sehen werden, ist noch nicht klar. Eines ist aber klar: Mandanten werden anfangen, Rabatte oder andere Preissenkungen zu beantragen, und diejenigen, die eine richtige Geschäftskrise erleiden, werden ihre Kanzleien um Preiserleichterungen bitten oder ihre Zahlungsbedingungen überarbeiten.

Legal-Procurement-Ziele für 2020
Anfang dieses Jahres (noch vor Ausbruch der Coronapandemie) befragten wir Fachleute für Legal-Procurement und Mitglieder des Buying Legal Council, der internationalen Handelsorganisation für Käufer von Rechtsdienstleistungen und Rechtstechnologie, im Rahmen unserer jährlichen Studie nach ihren Prioritäten für 2020. Ganz oben auf der Prioritätenliste stand „(Bessere) Erfassung und Analyse von Spend Data“. Mit immer genaueren verfügbaren Ausgabendaten, internem Baselining und externem Benchmarking möchten die professionellen Einkäufer ihren datengesteuerten Ansatz auf die Entscheidungsfindung in der Rechtsbranche anwenden.
„Reduzierung der Rechtskosten“ war das zweitwichtigste Ziel für Fachleute im Bereich der Rechtsbeschaffung. Der Ansatz zur Reduzierung von Rechtskosten wird zunehmend strategischer und ausgefeilter. Wenn wir unsere Umfrage jetzt machen würden, wäre es auch sehr wahrscheinlich, dass das Ziel der Ausgabenreduzierung nun ihr wichtigstes Ziel sein würde.
Das drittwichtigste Ziel für Einkaufsabteilungen war 2020 „Besseres Management der Erbringung der juristischen Arbeit“. Mandanten achten nun routinemäßig genau darauf, wie die juristische Arbeit erbracht wird und wer an ihren Mandaten arbeitet. Sie stellen sicher, dass Richtlinien für externe Berater und vereinbarte Budgets eingehalten und Benchmarks erreicht werden. Das effektive Management der Leistungserbringung bietet den größten Hebel, um die kontinuierliche Verbesserung voranzutreiben.
Im weiteren Verlauf des Jahres 2020 werden viele Unternehmen – wahrscheinlich vor allem diejenigen mit hohen Rechtskosten – schnell in den Kostenkontroll­modus wechseln. Sie werden neu definieren, was „Bet the Company“-Arbeit ist, und über das „Unbundling“ ihrer Kanzleien nachdenken. Sie werden entscheiden, welche Aufgaben von Kanzleien mit niedrigeren Stundensätzen an kostengünstigeren Standorten oder von alternativen Rechtsdienstleistern (ALSPs oder gerne auch Law-Companies genannt) oder von Outsourcinganbietern für Rechtsprozesse (LPOs) übernommen werden können.

Die richtigen Preismodelle
Anwaltskanzleien können und müssen sich jetzt vorbereiten und reagieren. Die Herausforderung für Kanzleiführung, Business-Development, Marketingmanager und Preismanager wird darin bestehen, Anwälte davon abzubringen, Mandate um buchstäblich jeden Preis zu bearbeiten. Preisexperten empfehlen, die Ziele für abrechnungsfähige Stunden zu streichen und Preisstrategien zu zentralisieren. Da sich die wirtschaftlichen Entwicklungen unterschiedlich auf verschiedene Tätigkeitsbereiche auswirken werden, ist es wenig sinnvoll, den gleichen Preisansatz flächendeckend für alle Tätigkeitsbereiche anzuwenden: Einige Bereiche wie Immobilienrecht oder Mergers & Acquisitions werden sich verlangsamen, während andere Bereiche wie Arbeitsrecht, Konfliktberatung, Prozessführung und Schiedsverfahren sowie Insolvenz/Restrukturierung hektisch beschäftigt sein werden.
Preisexperten warnen, dass eine „One Size fits all“-Einheitsmentalität Kanzleien nur schaden wird. Sie empfehlen Gespräche mit Mandanten, die Sie in verschiedenen Tätigkeitsbereichen betreuen: Erläutern Sie Ihren differenzierten Ansatz bei der Preisgestaltung für verschiedene Tätigkeitsbereiche. Seien Sie kreativ, und finden Sie neue Wege, um Sensibilität und Verständnis zu demonstrieren.
Anwaltskanzleien sollten über Möglichkeiten nachdenken, wie sie die Rechtskosten für ihre Mandanten senken können, jedoch nicht auf Kosten der Gewinnspanne der Kanzlei. Erwägen Sie beispielsweise, den Umfang eines Mandates zu ändern. Konzentrieren Sie sich auf das, was für Ihren Mandanten wirklich wichtig ist. Muss wirklich jeder Stein für diese spezielle Angelegenheit umgedreht werden, oder könnten Sie sich mit dem Mandanten auf ein Modell einigen, das weniger Arbeit erfordert? Sie könnten auch Frühzahlungsrabatte anbieten. Abgestufte Rabatte für Zahlung nach 30 Tagen oder 60 Tagen bieten Mandanten Einsparungen und geben Ihrer Kanzlei Umsatzsicherheit, dass und wann Sie bezahlt werden. Denken Sie auch daran, feste Gebühren oder Mengenrabatte auszuhandeln, die auf einen vordefinierten Zeitraum begrenzt sind, um so Ihr Risiko zu begrenzen. Letztlich ist es wichtig, dass Sie Ihren Mandanten zeigen, dass Sie bereit sind, auch in einer schwierigen Zeit mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Business-Development-Manager und Preisfachleute sind das Pendant zu den Legal-Procurement-Managern auf der Mandantenseite. Sie sollten miteinander sprechen und in engem Kontakt sein. In großen Unternehmen ist Legal-Procurement heute in der Regel mit den Preisverhandlungen für juristische Dienstleistungen beauftragt. Laut unserer Umfrage von 2020 bevorzugen viele Mandanten bestimmte Preisansätze mehr als andere.
Zu den am häufigsten verwendeten Preismodellen gehören Rabatte oder Diskonte. Tatsächlich gaben 95% unserer Befragten an, Rabatte regelmäßig zu verwenden. Es scheint, dass normale Stundensätze zu bloßen „Sticker-Prices“ oder Preisvorschlägen geworden sind. Diese Preise werden nur von einer immer kleineren Gruppe von Mandanten gezahlt, die dazu neigt, keine Rabatte zu verlangen. Auch Fixed Fees oder feste Gebühren sind sehr beliebt und werden häufig verwendet, insbesondere für sich wiederholende und klar definierte Arbeiten. Größere Mandanten nutzen und erwarten auch Mengenrabatte von ihren primären Rechtsdienstleistern.
Weniger beliebte, aber immer noch regelmäßig verwendete Preismodelle (dort, wo sie erlaubt sind) waren: Blended Rates oder Mischpreise (von 71% verwendet), Capped Fees oder Höchstgebühren (70%) und Flat Fees oder Pauschalgebühren (62%). Weniger als die Hälfte der Befragten in unserer Umfrage verwendet regelmäßig Secondments oder Abordnungen (48%), Abonnements oder Retainers (38%), Collared Fees oder Risk-collared Arrangements (33%), ergebnisabhängige Holdbacks (24%) und Contigency-Fees (23%), Bündelungsvereinbarungen (21%), wertorientierte Gebühren (14%) und Portfoliofestgebühren (10%).
Nur weil ein Preismodell häufig verwendet wird, bedeutet dies aber nicht, dass Mandanten es bevorzugen. Laut unserer Umfrage haben Mandanten klare Präferenzen, wenn es um Preismodelle geht: Die für Mandanten wichtigsten und beliebtesten Preismodelle waren: (1) Fix Fees oder feste Gebühren, (2) Capped Fees oder begrenzte Gebühren und (3) Mengenrabatte. Wenn Sie Ihren Mandanten Kostensenkungsansätze vorschlagen, sprechen Sie mit deren Beschaffungsteam. Finden Sie heraus, was für Ihren Mandanten in diesem Moment am wichtigsten ist, damit Sie Ihr Angebot entsprechend anpassen können.

Von Mandanten bevorzugte Mehrwertdienste oder Value-Adds

Besprechen und überdenken Sie möglicherweise auch, welche (kostenlosen) Mehrwertdienste oder Value-Adds Sie anbieten. Finden Sie heraus, was Ihre Mandanten wirklich schätzen. Geld, Zeit und Ressourcen werden oft verschwendet, wenn die angebotenen Mehrwertdienste oder Value-Adds nicht mit den Vorlieben Ihrer Mandanten übereinstimmen. Laut unserer Umfrage für 2020 bieten die Kanzleien die folgenden Value-Adds am häufigsten an:
1) Secondments/Abordnungen
2) Seminare und Schulungen auf Unternehmensebene
3) Hotline/Zugang zu Experten für schnelle Fragen
4) Durchführung von Vorbereitungsplanungssitzungen
5) Teilnahme externer Berater/Anbieter an internen Anrufen
6) Nutzung der Besprechungsräume des Anbieters/der Kanzlei
7) Business-Insight/Ursachenanalyse
8) Einsatz von (innovativer) Technologie
9) Einsatz von Projektmanagern

Vergleichen Sie diese Liste jedoch mit der der drei wichtigsten Mehrwertdienste aus Sicht von Mandanten:
1) Einsatz von (innovativer) Technologie
2) Durchführung von Vorbereitungsplanungssitzungen
3) Business-Insight/Ursachenanalyse

Mandanten suchen eindeutig nach mehr Innovation, insbesondere in Bezug auf Technologie und ein ausgefeilteres Matter-Management. Mandanten möchten bestehenden Problemen auf den Grund gehen und zukünftige Probleme vermeiden, nicht nur Schadensbegrenzung betreiben. Anwaltskanzleien müssen sich dessen bewusst sein und entsprechend handeln.
Dies bringt uns zurück zu meiner anfänglich erwähnten „Vorhersage“ für 2020. Als ich sie damals schrieb, fand ich sie recht futuristisch. Wenn ich jetzt in meinem Büro zu Hause über die Coronapräventionsquarantäne lese, klingt ein Teil meiner Vorhersage nicht mehr so weithergeholt. Vielleicht war das Hologramm etwas zu sehr von „Star Wars“ inspiriert, aber der Rest scheint unserer Realität heute ziemlich nahe zu sein. Seit der zurückliegenden Rezession haben wir einen Technologiesprung gemacht, aber vielleicht ist unsere Technologie eher ein Zoom- oder WhatsApp-Anruf als ein Hologramm. Es stimmt auch, dass die Technologie die Rechtspraxis und die Erbringung von Rechtsdienstleistungen weiterhin automatisieren, programmieren und systematisieren wird.
Wir werden sehen, wie sich unsere Welt und unsere Branche verändern werden. Während sich die Rechtsbranche weiterentwickelt, müssen Sie das, was Sie in der Zwischenzeit gelernt haben, zu Ihrem Wettbewerbsvorteil nutzen. Arbeiten Sie mit Mandanten zusammen, um innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Denken und planen Sie für die Zukunft. Wie könnte die Juristerei im Jahr 2030 aussehen?

Und was wird Ihre Rolle sein?
Ich würde mich sehr freuen, Ihre Gedanken dazu zu hören. Lassen Sie es mich wissen – und bleiben Sie gesund!

silvia@buyinglegal.com

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