Aus der Praxis für die Praxis

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In unserer Rubrik „Lawyers-Top-5“ stellen wir Ihnen im Deutschen AnwaltSpiegel in loser Folge alle wichtigen und praxisrelevanten Themen vor, die bei führenden Anwälten in Deutschland ganz oben auf der Agenda stehen. Mit Lawyers-Top-5 (und mit der Schwesterrubrik Inhouse-Top-5) wollen wir weiter zu einer verbesserten Transparenz im deutschen Rechtsmarkt beitragen, übrigens auf der Nachfrager- und auf der Anbieterseite: bei Unternehmen, Rechtsabteilungen, Sozietäten und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie Dienstleistern. Unsere Top-5-Rubriken ergänzen die im Deutschen AnwaltSpiegel seit 2009 eingeführte praxisbezogene Berichterstattung. Und weil der Faktor Zeit Geld (wert) ist, haben wir die Beiträge in eine möglichst kompakte Form gebracht – „in a Nutshell“. In dieser Ausgabe lesen Sie die Top-5-Themen von Dr. Ulrich Wastl, Partner in München bei unserem Strategischen Partner Westpfahl Spilker Wastl. Die Sozietät ist unter anderem auf Compliance und interne Ermittlungen spezialisiert. Als fünf Topthemen für die nächsten Monate, wenn nicht sogar Jahre, sieht Dr. Wastl diese:

  1. Lehren aus dem Gesetzentwurf „Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“
    Dass diesem Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode kein Erfolg mehr beschieden sein wird, dürfte klar sein. Gänzlich unabhängig davon haben die langwierigen kontroversen Diskussionen zu diesem Gesetzesvorhaben gezeigt, wo die argumentativen Konfrontationslinien verlaufen und welche Grundsatzpositionen sich in den einzelnen Punkten gegenüberstehen. Die richtigen Schlüsse hieraus zu ziehen und vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden politischen Entwicklungen erste reaktive Konzepte zu entwickeln, dürfte eine der zentralen Herausforderungen sein. Hierbei wird namentlich auch die Sonderstellung der KMUs, aber auch der im Regierungsentwurf bislang ausgenommenen gemeinnützigen Verbände im besonderen Maße zu berücksichtigen sein.
  2. CMS, interne und externe Standards – und deren unerwünschte Nebenwirkungen
    Unter dem Stichwort „Informelles Verwaltungshandeln der BaFin im Bankaufsichtsrecht“ kulminiert aktuell im Finanzmarktsektor eine bereits seit längerem grundsätzlich virulente und noch nicht hinreichend geklärte Fragestellung: Welche Bedeutung und insbesondere faktischen Auswirkungen hat das „Soft Law“ im Bereich Compliance? Insoweit gilt es generellen Problemstellungen nachzugehen und einzelne CMS, Prüfungsstandards, wie beispielsweise IDW PS 980 und ISO 19600, sowie standardisierte Herangehensweisen an compliancerelevante Themen kritisch zu überprüfen. Dies gilt zumeist auch für, häufig börsennotierte, Großunternehmen, aber insbesondere wiederum auch für KMUs sowie Non-Profit-Organisationen. Namentlich müssen in diesem Kontext bereits etablierte Prüfungsstandards, CMS und sonstige interne Compliancevorschriften einer Überprüfung unterzogen werden; dies nicht nur unter Berücksichtigung haftungs-, gesellschafts-, aufsichts- und verwaltungsrechtlicher, sondern insbesondere auch der mit besonderen Risiken verbundenen strafrechtlichen Konsequenzen.
  3. Wirecard: Compliance, Jahresabschlussprüfung und generelle Konsequenzen für die Compliancepraxis
    Der Wirecard-Skandal führte nicht nur zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität, der unter anderem eine verschärfte Haftung der Jahresabschlussprüfer vorsieht. Die mit diesem Skandal verbundenen Fragestellungen gehen namentlich mit Blick auf compliancerelevante Themen bei weitem darüber hinaus. Üblicherweise hat die (Jahresabschluss-)Prüfung eines CMS im Rahmen des für börsennotierte Unternehmen geltenden § 317 Abs. 4 HGB nur die Eignung und Funktionsfähigkeit des CMS zum Gegenstand. Die Prüfung des konkreten Vollzugs des CMS ist davon nicht erfasst. Dies führt zu der weiteren Frage, ob und inwieweit es sinnvoll ist, neben der Eignungs- und Funktionsfähigkeit die Vollzugsprüfung zum generellen Gegenstand der Jahresabschlussprüfung zu machen. Hierfür sprechen aus Sicht des betroffenen Unternehmens, aber insbesondere auch seiner Organe, durchaus gewichtige Gründe. Gleichzeitig ist aber zu erwägen, ob es nicht sinnvoller sein könnte, außerhalb der Jahresabschlussprüfung generell eine unabhängige, gesetzlich gebotene und umfassende Vollzugs- und zugleich eine entsprechende Eignungs- und Funktionsfähigkeitsprüfung des CMS in regelmäßigen Abständen durchzuführen. Aus haftungsrechtlichen Gesichtspunkten ist hierbei zunächst zu eruieren, welche Ansprüche gegebenenfalls gegen einen Jahresabschlussprüfer oder einen unabhängigen Dritten, basierend auf dem konkreten Auftrag, bestehen können. Ausgangspunkt all dieser Überlegungen ist sowohl aus Sicht des Jahresabschlussprüfers als insbesondere auch aus der des betroffenen Unternehmens die realistische Einschätzung des Inhalts und Umfangs der einschlägigen Haftungsgrundlagen. Die Entscheidung über das Ob und Wie einer Eignungs- und Funktionsprüfung und/oder Vollzugsprüfung kann naturgemäß nur anhand des konkreten Einzelfalls erfolgen, und zwar namentlich mit Blick auf die aus Sicht des jeweiligen Unternehmens bestehenden maßgeblichen Kernrisiken. Diese Problematik wird dadurch verschärft, dass sie nicht nur größere Unternehmen, sondern auch KMUs und teilweise sogar Non-Profit-Organisationen betrifft. In all die diesbezüglichen Überlegungen müssen im jeweiligen Einzelfall Fragen der Organ- und Jahresabschlussprüferhaftung, generelle compliancerelevante Themen sowie die Evaluierung der Vor- und Nachteile externer und interner Vollzugskontrolle einfließen. Auch insoweit gilt: Die Anwendung des Prinzips „One Size fits all!“ wäre fatal. Es sind vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus dem Wirecard-Skandal individuelle, mandantengerechte Lösungsansätze zu entwickeln.
  4. Compliance, interne Ermittlungen und Äußerungsrecht?
    Die Tendenz der vergangenen Jahre geht dahin, dass von Unternehmen und Non-Profit-Organisationen im Hinblick auf Compliancethemen eine immer größere Transparenz verlangt wird. Selbst die Aufarbeitung rechtlich bereits verjährter Vorgänge wird in fortlaufend stärkerem Maß ebenso gefordert wie die Veröffentlichung der Ergebnisse entsprechender Gutachten und Untersuchungen. Demgegenüber versuchen Äußerungsrechtspezialisten, derartige, von der Öffentlichkeit, den Stakeholdern sowie der Politik zunehmend vehement geforderte Publikationen zu verhindern. Dies geschieht zumeist im Auftrag etwaiger Verantwortlicher. Ansatzpunkte dieser Äußerungsrechtler sind die von der Rechtsprechung insbesondere im Zusammenhang mit strafrechtlichen Verfahren für die Presse entwickelten Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung. Zwar sind die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht nur meines Erachtens auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 02.07.2019 – Az. VI ZR 494/17) auf gutachterliche Untersuchungen und die Ergebnisse interner Ermittlungen grundsätzlich nicht anwendbar, da es sich bei den in diesem Zusammenhang auf der Grundlage feststehender Tatsachen vorgenommenen Bewertungen regelmäßig um durch die Meinungs- und/oder Wissenschaftsfreiheit gedeckte Beurteilungen handelt. Gleichwohl ist es in Anbetracht dieser gerade auch aus Sicht der im Fokus der öffentlichen Meinung stehenden Unternehmen und Verbände bedenklichen Entwicklungen unerlässlich, gegen derartige Versuche, die gerade im Bereich der Compliance häufig gebotene umfassende Transparenz zu verhindern, ein präventives Schutzkonzept zu entwickeln.
  5. Interne Ermittlungen und deren Optimierung
    Interne Ermittlungen bei Großunternehmen, aber auch bei KMUs haben gezeigt, dass diese unter Effizienzgesichtspunkten gänzlich aus dem Ruder laufen können. Es sollte daher aus Sicht der betroffenen Organisationen in Erwägung gezogen werden, mit Blick auf Inhalt und insbesondere Umfang der erforderlichen Maßnahmen, einen externen und unabhängigen Berater einzuschalten. Zum einen dient ein derartiges Vorgehen der Optimierung interner Ermittlungen. Zum anderen sind häufig Konstellationen denkbar, in denen die mit der Koordinierung und Überwachung der internen Ermittlungen betrauten unternehmensinternen Stellen aufgrund ihrer Zwitterstellung gegenüber eingeschalteten Dritten überfordert sein können. Zudem sollte bei der Durchführung interner Ermittlungen durch Externe in stärkerem Maß auch die Möglichkeit der Zusammenstellung interdisziplinärer und voneinander unabhängiger Teams in Betracht gezogen werden; denkbar ist hierbei auch die Einbindung (unternehmens-)interner Prüfungskapazitäten. Damit wäre eine größere Entscheidungs- und Diskussionstiefe gewährleistet. Beispielsweise könnte dies im Rahmen komplexer interner Ermittlungen dadurch erreicht werden, dass die rechtliche Steuerungsfunktion, die investigative Tätigkeit und die betriebswirtschaftliche Expertise auf mehrere Schultern verteilt werden. Für all dies sind praxistaugliche Modelle und Grundlagen zu entwickeln.

u.wastl@westpfahl-spilker.de

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