Websitesperren stehen Rechteinhabern auch in Deutschland als Ultima Ratio effektiver Rechtsdurchsetzung im Bereich des geistigen Eigentums zur Verfügung. Dieser Beitrag skizziert die Entwicklung der Rechtsprechung, beleuchtet die Anspruchsvoraussetzungen und erläutert einzelne prozessuale Aspekte.
Das Problem „Internetpiraterie“
Zahlreiche Internetangebote mit strukturell rechtswidrigen Geschäftsmodellen machen urheberrechtlich geschützte Werke in großem Umfang öffentlich zugänglich. Betroffen sind nicht nur Rechteinhaber der Film- und Musikbranche – wo die Onlinepiraterie ein besonders hohes Ausmaß erreicht hat –, sondern auch die Verlags- und Game-Branche. Nicht zuletzt haben sich auch illegale Angebote im Bereich von Livesportereignissen entwickelt, bei denen urheberrechtlich geschützte Livebilder illegal zum Stream angeboten werden. Zwar bestehen in der Theorie Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gegen die Betreiber als unmittelbare Verletzer. Weil diese aber ihre Identität mittels professioneller technischer Schutzmaßnahmen verschleiern, sind solche Ansprüche in der Praxis kaum durchsetzbar. Auch ein Vorgehen gegen ihre technischen Dienstleister (insbesondere Hostprovider) ist in aller Regel aussichtslos. Diese operieren vornehmlich außerhalb der EU und des EWR. Um urheberrechtlichen Maßnahmen lokaler Behörden am Standort der Server vorzubeugen, sind die gehosteten Seiten für Nutzer jener Länder häufig gesperrt. Ferner wechseln die Betreiber ihre Dienstleister regelmäßig aus (sogenannter Hostnomadismus).
EuGH-Entscheidung „UPC Telekabel“
Die Aussicht auf effektiven Schutz ihrer Werke hat sich für Rechteinhaber mit der EuGH-Leitentscheidung „UPC Telekabel“ im Jahr 2014 deutlich verbessert. Erstmals bejahte der EuGH einen Anspruch auf Sperrung strukturell rechtswidriger Internetangebote gegen allgemeine Zugangsprovider (auch: Access-Provider), die nur neutral und passiv Zugang zum Internet gewähren. Der BGH folgte dieser Auffassung in seiner Entscheidung „Störerhaftung des Access-Providers“ (2015).
Rechtsgrundlage: Art. 8 III InfoSoc-Richtlinie
Der EuGH stützt seine Rechtsprechung auf Art. 8 III InfoSoc-RL (RL 2001/29/EG). Dieser regelt, dass die Mitgliedsstaaten Rechteinhabern einen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen Internetzugangsprovider zur Verfügung stellen müssen, um für Verletzungen an ihren Urheberrechten (oder Leistungsschutzrechten), die unter Nutzung der Dienste besagter Provider stattfinden, Abhilfe zu schaffen. Der EuGH betonte, dass die Sperransprüche einer umfassenden Grundrechtsabwägung aller Beteiligten, insbesondere der Internetnutzer, unterliegen. Sperrmaßnahmen müssen zudem hinreichend zuverlässig sein. In zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten wie Dänemark, Irland, Portugal oder Großbritannien (damals noch EU-Mitglied) sind Websitesperren bereits an der Tagesordnung.
Für gewerbliche Schutzrechte findet sich in Art. 11 Satz 3 Enforcement-RL 2004/48/EG eine parallele Regelung zu Art. 8 III InfoSoc-RL.
BGH: Störerhaftung des Access-Providers
Die Umsetzung von Art. 8 III InfoSoc-RL (und auch von Art. 11 Satz 3 RL 2004/48/EG) in deutsches Recht erfolgte zunächst durch Richterrecht. Der BGH entschied in „Störerhaftung des Access-Providers“ (2015), dass Sperransprüche gegen Zugangsprovider grundsätzlich nach den Voraussetzungen der Störerhaftung möglich seien. Der Anspruch habe aber subsidiären Charakter: Rechteinhaber müssten zunächst, auch wenn erfolglos, zumutbare Anstrengungen unternehmen, um die Beteiligten, die eine größere Nähe zur Rechtsverletzung haben (konkret: Betreiber der Internetangebote und deren Hostprovider), in Anspruch zu nehmen. Nur wenn diesem Vorgehen jede Erfolgsaussicht fehle und andernfalls eine Rechtsschutzlücke entstünde, könne die Sperranordnung gegen einen Zugangsprovider verhältnismäßig sein. Zum erforderlichen Umfang der Subsidiaritätsmaßnahmen nahm der BGH nicht dezidiert Stellung.
TMG-Novelle (2017): Ende der Störerhaftung?
In der 3. Telemediengesetz(TMG)-Novelle sahen viele Stimmen bereits die Abschaffung der Störerhaftung. Folgte man dem Wortlaut des neuen § 8 I 2 TMG, der Zugangsprovider von jeglicher Haftung befreit, wären Websitesperren tatsächlich die Anspruchsgrundlage entzogen worden. Landgericht sowie OLG München verurteilten den Internetzugangsprovider Vodafone dennoch auf Grundlage der Störerhaftung, die Internetseite „kinox.to“ zu sperren. Die Gerichte begründeten dies damit, dass § 8 Abs. 1 Satz 2 TMG teleologisch auf WLAN-Anbieter zu reduzieren sei.
BGH-Entscheidung „Dead Island“
Der BGH beschritt in „Dead Island“ schließlich dogmatisch einen anderen Weg. Das Haftungsprivileg in § 8 I 2 TMG sei auf alle Zugangsprovider anzuwenden. Dies dürfe aus unionsrechtlichen Erwägungen in Hinblick auf Art. 8 III InfoSco-RL und Art. 11 Satz 3 RL 2004/48/EG jedoch nicht zu einem Verlust des Sperranspruchs führen. Der neue Sperranspruch in § 7 IV TMG sei richtlinienkonform fortzubilden und analog auf alle Zugangsprovider anzuwenden. Dem folgte das LG München I in der Entscheidung „Albumveröffentlichung“ (MMR 2019, 535), so dass der bisherige „Münchener Weg“ über § 8 I 2 TMG nicht mehr praxisrelevant erscheint.
Voraussetzungen von Sperransprüchen
Der Sperranspruch aus § 7 IV TMG analog setzt zunächst voraus, dass Nutzer einen Telemediendienst (Zugangsprovider sind hierunter zu subsumieren) in Anspruch genommen haben, um Rechte am geistigen Eigentum eines anderen zu verletzen.
Ähnlich zur Störerhaftung wird der Sperranspruch subsidiär gewährt und ist nur dann zumutbar, wenn „keine andere Möglichkeit“ besteht, Rechtsschutz zu erlangen und ansonsten eine Rechtsschutzlücke entstünde. An dieses Kriterium dürften keine überhöhten Anforderungen zu stellen sein (vgl. Erwägungsgrund 59 InfoSoc-RL). Das LG München I sah es in der aktuellsten Websitesperrentscheidung „Albumveröffentlichung“ (MMR 2019, 535) bei professioneller Absicherung der illegalen Website beispielsweise als unverhältnismäßig an, irgendwelche Subsidiaritätsmaßnahmen zu verlangen. Interessant ist, dass andere Mitgliedsstaaten ganz oder teilweise auf die Subsidiarität verzichten. Zudem ist fraglich, ob die deutschen Anforderungen an die Subsidiarität überhaupt mit Art. 8 III InfoSoc-RL vereinbar sind, was in im Rahmen einer Vorlage nach Art. 267 AUEV vom EuGH zu klären wäre.
Letztlich muss die Sperrmaßnahme verhältnismäßig und dem Internetzugangsprovider zumutbar sein. Dass sowohl IP- als auch DNS-Sperren technisch umgehbar sind, ist für den BGH unbeachtlich. Sperren seien hinreichend effektiv, wenn sie den Zugang erschwerten und das Unrechtsbewusstsein der Nutzer stärkten. Auch die Kosten zur Einrichtung von Websitesperren dürften nur selten unverhältnismäßig sein, weil Internetzugangsprovider spätestens seit der EuGH-Entscheidung „UPC Telekabel“ damit rechnen müssen, entsprechende Sperren errichten zu müssen.
Prozessuales und Dringlichkeitsbeurteilung im Eilverfahren
Mit § 7 IV TMG analog wandelt sich der bisherige Unterlassungsanspruch in einen Anspruch auf positives Tun, wodurch sich aber prozessual nichts Grundlegendes ändert. Rechteinhabern steht auch weiterhin das „Einstweilige Verfügung“-Verfahren offen. Das OLG München wich allerdings kürzlich von der ständigen Rechtsprechung zur Beurteilung der Dringlichkeitsfrist ab. Weil die technischen Möglichkeiten lediglich repertoireweite Sperrwirkungen zuließen, sei der Anspruch nicht mehr werkspezifisch zu beurteilen. Ließen Rechteinhaber die Frist bei kerngleichen Verletzungen verstreichen, sei dies auch in späteren Fällen dringlichkeitsschädlich.
Fazit
Websitesperren etablieren sich auch in Deutschland immer mehr als Mittel der Rechtsdurchsetzung. Sie ermöglichen Rechteinhabern, strukturell urheberrechtsverletzende Angebote als Ultima Ratio von dem Internetzugangsprovider sperren zu lassen. Während in Großbritannien bereits Sperrverfügungen auch im Hinblick auf markenrechtsverletzende Angebote ergangen sind, hatten die deutschen Gerichte bislang nur über urheberrechtliche Verletzungsansprüche zu entscheiden. Doch auch für Markeninhaber sollte die Möglichkeit von Websitesperren als Mittel der Rechtsdurchsetzung nicht aus den Augen verloren werden.
Julian.waiblinger@nordemann.de