Einleitung
Bereits eine Reihe von höchstrichterlichen Bundesgerichtshofs- und Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen hat die Rechtslage zur Bemessung der Abfindung von Minderheitsaktionären bei Strukturmaßnahmen in besonderer Weise geprägt und fortgebildet. Hierzu gehören allen voran die „DAT/Altana“- und die „Stollwerk“-Entscheidung des BGH und des BVerfG. Seitdem ist anerkannt, dass im Fall einer Abfindung nach § 305 AktG und einer Squeeze-out-Abfindung nicht nur der anteilige, auf die Beteiligung des Minderheitsaktionärs entfallende Unternehmenswert maßgeblich ist, sondern dass auch der dreimonatsvolumengewichtete Börsenkurs vor Ankündigung der Maßnahme eine Untergrenze darstellt und einen Mindestpreis begründet. Diese Rechtsprechung erfährt durch das neueste BGH-Urteil vom 15.09.2020 (Az. II ZB 6/20) eine Erweiterung.
Die Entscheidung
Die Entscheidung erging im Rahmen einer Vorlage des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in einem anhängigen Spruchstellenverfahren zur Klärung einer einheitlichen Rechtsprechung über die Frage der Maßgeblichkeit des unternehmensvertraglichen Ausgleichsanspruchs nach § 304 AktG für die Bemessung der Abfindung, die von verschiedenen mit Spruchverfahren befassten Oberlandesgerichten unterschiedlich beurteilt wurde. Dem vorgelegten Fall lag die Konstellation zugrunde, dass eine börsennotierte Aktiengesellschaft im Jahr 2004 mit ihrem Hauptaktionär einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen hatte, der eine nach Durchführung eines Spruchverfahrens jährliche Nettoausgleichszahlung in Höhe von 3,81 Euro je Stammaktie und 3,83 Euro je Vorzugsaktie vorsah. Im Folgejahr 2005 machte der Hauptaktionär seine Absicht öffentlich, die Minderheitsaktionäre auszuschließen. Die vom Antragsgegner zur Vorbereitung des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ermittelte einen anteiligen Unternehmenswert von 58,25 Euro und schlug unter Bezugnahme auf den dreimonatigen volumengewichteten Börsenkurs gemäß § 327b AktG eine Barabfindung von 80,37 Euro für beide Aktiengattungen vor. Der Squeeze-out wurde im Juli 2007 im Handelsregister eingetragen. Im Spruchverfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung hat das Landgericht die angemessene Abfindung auf 85,77 Euro je Stammaktie und 86,26 Euro je Vorzugsaktie festgesetzt und dazu ausgeführt, dass die angemessene Abfindung durch den Barwert der Ausgleichszahlungen bestimmt werde. Der BGH hat nunmehr höchstrichterlich entschieden, dass zur Bemessung der angemessenen Barabfindung im Fall eines Ausschlus-ses von Minderheitsaktionären (sogenannter aktienrechtlicher Squeeze-out) auch der Barwert der aufgrund eines Ausgleichsanspruchs eines bei Beschlussfassung über den Squeeze-out fortbestehenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags als Mindestwert maßgeblich ist.
Bewertung: überraschend, aber überzeugend
Die Entscheidung, dass dem Ausgleichsanspruch als Ersatz für die Dividende der Höhe und des Obs der Ausschüttung nach eine Bemessungsrelevanz zukommt, überrascht aus mehreren Gründen, ist aber im Ergebnis überzeugend:
Der Ausgleichsanspruch beruht auf einer Unternehmensbewertung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Abschluss des Unternehmensvertrags, der zeitlich mit dem hier relevanten Bewertungsstichtag, der Bekanntmachung der Absicht zur Durchführung eines Squeeze-outs, auseinanderfällt. Gleichwohl soll dieser aufgrund des Fortbestands des Anspruchs im für den Squeeze-out maßgeblichen Zeitpunkt ein den Wert der Beteiligung prä-gender Umstand sein. Dies ist insoweit folgerichtig, als der Ausgleichsanspruch durch die – infolge des Squeeze-outs bewirkte – Übertragung der Anteile durch Konfusion – wegen der Identität von Schuldner und Gläubiger – des Ausgleichsanspruchs sowie den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen des außenstehenden Aktionärs erlischt. Das sei nach der Begründung des BGH ein Vorteil, der dem Mehrheitsgesellschafter nicht zugutekommen solle.
Der Ausgleichsanspruch ist ein Ersatz für die Dividende, die als eigentlicher Parameter einer Ertragsbewertung in ihrem Bestand – anders als der als Garantiedividende ausgestaltete feste Ausgleichsanspruch –, in ihrem Ob der Ausschüttung und in ihrer Höhe unsicher ist. Dieser Ausgleichsanspruch besteht allerdings nicht in perpetuum fort, sondern kann einseitig durch Kündigung des Unternehmensvertrags durch die Obergesellschaft beendet werden. Dessen ungeachtet tritt der feste Ausgleichsanspruch gemäß § 304 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AktG nun einmal an die Stelle der aus dem Bilanzgewinn auszuschüttenden Dividende und bildet damit das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum (Artikel 14 Abs. 1 GG), welches die mitgliedschaftliche Stellung des Aktionärs in der Gesellschaft sowie vermögensrechtliche Ansprüche vermittelt. Insoweit ist es auch folgerichtig, ihn als Dividendenersatz wertbestimmend zu berücksichtigen.
Durch die Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen werde dem Minderheitsaktionär auch nicht unangemessen das Risiko des Wertverlusts seiner Unternehmensbeteiligung abgenommen oder der Unternehmenswert zum Zeitpunkt des Abschlusses des Unternehmensvertrags festgeschrieben. Ein Minderheitsaktionär, der sich infolge seiner Entscheidung, die Unternehmensbeteiligung an dem beherrschten Unternehmen zu halten, die Chance auf eine Werterhöhung des Unternehmens erhalte, trage als Kehrseite auch das Risiko, nach der Beendigung des Unternehmensvertrags an einem ausgezehrten Unternehmen beteiligt zu sein. Dieses Risiko der Bleibeentscheidung des Minderheitsaktionärs realisiere sich durch seinen Ausschluss aus der Gesellschaft aber nicht, da die Übertragung der Aktien auf das herrschende Unternehmen den Unternehmensvertrag nicht beendet. Der aus dem Unternehmensvertrag resultierende Verlustausgleichsanspruch der Gesellschaft reduziere nun einmal für die Dauer des Unternehmensvertrags das unternehmerische Risiko der Gesellschaft in erheblichem Umfang und koppele es letztlich nur an die Bonität des Hauptaktionärs als Obergesellschaft.
Aus der verfassungsrechtlichen Vorgabe der vollen wirtschaftlichen Kompensation für den Verlust der Unternehmensbeteiligung sei eine Einbindung des Ausgleichsanspruchs in der Abfindung geboten. In diesem Zusammenhang diskutiert der BGH allerdings auch, ob nicht dieser Vorteil des risikoreduzierenden Bestands des Unternehmensvertrags, der gleichzeitig dem ausstehenden Aktionär zur Garantiedividende in Gestalt des Ausgleichsanspruchs verhilft, nicht letztlich schon im für die Unternehmensbewertung als Mindestwert maßgeblichen Börsenkurs hinreichend berücksichtigt ist. In der Regel bildet – jedenfalls bei hinreichendem Handel der Aktie – der Börsenkurs diese Vorteile auch ab. Dass der Barwert der Ausgleichszahlungen Einfluss auf den Börsenkurs hat, sieht der BGH ebenfalls, da der Barwert der Ausgleichszahlung dem Minderheitsaktionär die regelmäßig feste Ausgleichszahlung während der Laufzeit des Vertrags, § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG, sichere. Auf einem funktionierenden Markt werde daher die Höhe der Ausgleichszahlung oder deren Barwert den Preis der Aktie bestimmen, wenn sie die prognostizierten künftigen Erträge oder den anteiligen Ertragswert übersteigt. Insofern bestimmt der Barwert der Ausgleichszahlungen die Höhe der Barabfindung, wenn er den Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung zutreffend abbildet. Dies könnte dem Argument Vorschub geben, dass es daher einer zweiten Wertgrenze durch den Barwert der Abfindung gar nicht mehr bedürfte. Ob der Börsenkurs allerdings tatsächlich den Verkehrswert zutreffend abbildet, ist eine Frage des Einzelfalls, bei deren Beantwortung zu berücksichtigen ist, dass ein Unternehmensvertrag, der erheblich über dem Ertragswert liegende Ausgleichszahlungen gewährt, nicht dauerhaft von Bestand sein wird. Insoweit ist die Rechtsprechung jedenfalls für nichtbörsennotierte AGs und bei nicht repräsentativen Börsenkursen folgerichtig.
Fazit
Zusammengefasst ist das Urteil des BGH, das Rechtssicherheit für eine bisher unterschiedlich beurteilte Fragestellung bringt, dogmatisch folgerichtig. Wird eine Strukturmaßnahme bei Fortbestand eines Unternehmensvertrags eingeleitet, hat dieser Unternehmenswert für die maßgeblichen Verhältnisse der Gesellschaft auch wertbestimmenden Charakter. Dies sollte allerdings in der anwaltlichen Praxis dazu führen, dass der Hauptaktionär vor der Vorbereitung einer entsprechenden Squeeze-out-Maßnahme erwägen sollte, die Nachteile einer Maßgeblichkeit des Barwerts des Ausgleichsanspruchs für die Bewertung mit den Vorteilen der Organschaft bei Fortbestand des Unternehmensvertrags abzuwägen. Im konkreten dem Urteil zugrundeliegenden Fall bestand der Unternehmensvertrag bei Einleitung des Squeeze-outs nur ein Jahr, weshalb er wahrscheinlich nicht vorzeitig beendet wurde, da die steuerliche Anerkennung der Organschaft einen Mindestbestand von fünf Jahren voraussetzt. Bei länger als fünf Jahre bestehenden Unternehmensverträgen mag es im Einzelfall jedoch gegebenenfalls geboten erscheinen, diese noch vor Einleitung der Squeeze-out-Maßnahme zu beenden.
Joergen.tielmann@luther-lawfirm.com