Im Blickpunkt: Aktuelle Entwicklungen im Bereich des Berufsrechts und der Anwaltshaftung

Von Daniel Kreienkamp

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Der Anwaltsmarkt befindet sich seit Jahren in Bewegung. Neben der vor allem lokalen Tätigkeit von Einzelanwälten und kleineren Sozietäten hat sich ein Markt für wirtschaftsberatende Berufsausübungsgesellschaften entwickelt. Diese Kanzleien konzentrieren sich nicht mehr nur auf einen Standort, sondern sind auch national sowie international an vielen Standorten und in verschiedenen Jurisdiktionen tätig. Vor diesem Hintergrund stellt sich die (rhetorische) Frage, ob das deutsche Berufsrecht und insbesondere das Berufsrecht der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften noch den tatsächlichen Erfordernissen aller Marktteilnehmer entsprechen.

Legal-Techs und Rechtsdienstleistungsgesetz
Zudem wird auch der Rechtsdienstleistungsmarkt von neuen Marktteilnehmern als attraktives Ziel für teils disruptive Geschäftsmodelle angesehen. Dies gilt nicht nur für den B2B-Markt, sondern insbesondere auch im Hinblick auf die Durchsetzung von Verbraucherforderungen. Der Trend des Durchsetzens von Ansprüchen, die ansonsten aufgrund des rationalen Desinteresses nicht durchgesetzt würden, wird dadurch unterstützt, dass immer mehr Prozessfinanzierer auf den deutschen Markt drängen und mit Legal-Techs zusammenarbeiten, so dass für die Kunden der Legal-Techs kalkulierbare Kosten entstehen. Die einzelnen Legal-Techs operieren häufig als zugelassene Inkassodienstleister und somit nur mit einer eingeschränkten Erlaubnis, Rechtsdienstleistungen zu erbringen.
Einzelne Stimmen haben die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 27.11.2019 – VIII ZR 285/18, siehe dazu Markus Hartung, Deutscher Anwalt­Spiegel 3/2020, S. 8, HIER) zum Legal-Tech ­„wenigermiete.de/LexFox“ ­als Durchbruch für Legal-Techs als Inkassodienstleister hochgejubelt. Allerdings: Der Bundesgerichtshof hatte sich zwar für ein weites Verständnis des Inkassobegriffs starkgemacht, gleichwohl ist aus den Entscheidungsgründen ersichtlich, dass die Entscheidung kein Freifahrtschein ist. Spätestens mit der Entscheidung des Landgerichts München I, (LG München I, Urteil vom 07.02.2020 – 37 O 18934/17) zur Unwirksamkeit der Abtretung von Ansprüchen der Spediteure an die Financialright GmbH im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Ansprüchen aufgrund des Lkw-Kartells zeigt sich, dass weiterhin eine große Rechtsunsicherheit in diesem Bereich besteht. Das Landgericht München I hielt die Abtretung von Ansprüchen der Spediteure für unwirksam, da ein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz vorliege.
Diese Entwicklung zeigt, dass der Gesetzgeber gefordert ist, für Rechtssicherheit zu sorgen, und hierbei die Notwendigkeiten des sich entwickelnden Marktes aufgreifen sollte. Die FDP-Bundestagsfraktion hat mit ihrem Gesetzentwurf aus dem April 2019 (BT-Drs. 19/9527) einen Versuch unternommen, eine rechtliche Grundlage für „automatische Rechtsdienstleistungen“ in das Rechtsdienstleistungsgesetz aufzunehmen. Auch die Bundestagsfraktion der Grünen (BT-Drs. 19/16884) hat einen Antrag gestellt, der auf eine Modernisierung des Rechtsdienstleistungsgesetzes gerichtet ist. Am 11.03.2020 findet zu beiden Initiativen eine öffentliche Anhörung mit verschiedenen Sachverständigen im Rechtsausschuss des Bundestages statt. Die Sachverständigen sind Dr. Daniel Halmer, Markus Hartung, Edith Kindermann, Dr. Birte Lorenzen, Prof. Dr. Dirk Uwer und Prof. Dr. Christian Wolf. Vor dem Hintergrund der derzeitigen politischen Situation und Mehrheitsverhältnisse bleibt es aber abzuwarten, ob und in welchem Rahmen der Gesetzgeber eine Modernisierung des Rechtsdienstleistungsgesetzes in Angriff nehmen wird.

Reform des Berufsrechts der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat im August 2019 ein Eckpunktepapier für eine Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften vorgelegt. In 20 Punkten hat das Bundesministerium seine Überlegungen zusammengefasst und hierbei eine Vielzahl der Anregungen der Anwaltschaft aufgegriffen. Insgesamt sind die Vorschläge des Eckpunktepapiers zu begrüßen, da viele Punkte die Realität des Anwaltsmarkts und insbesondere auch die Interessen von mittelständischen Berufsausübungsgesellschaften und Großkanzleien aufgreifen. Das Berufsrecht soll nicht mehr ausschließlich an den einzelnen Berufsträger anknüpfen, sondern zusätzlich auch Berufsausübungsgesellschaften als Adressaten aufnehmen. Das Berufsrecht soll rechtsformneutral ausgestaltet werden, und zudem soll eine Prüfung stattfinden, ob auch weitere Gesellschaftsformen für die gemeinsame Berufsausübung zugelassen werden. Die Berufsausübungsgesellschaften sollen selbst postulationsfähig werden. Dies folgt der tatsächlichen Praxis, dass maßgeblich die Berufsausübungsgesellschaft mandatiert wird und nicht der jeweils für die Gesellschaft handelnde Rechtsanwalt. Hierdurch wird auch Rechtssicherheit hergestellt. So hat der Bundesfinanzhof (BFH, Beschluss vom 11.06.2019 – XI B 98/18) zuletzt entschieden, dass eine LLP unter Umständen nicht postulationsfähig ist. Der Bundesgerichtshof (BGH, Beschluss vom 22.04.2009 – IV ZB 34/08) hatte diese Frage offengelassen und angenommen, dass die Prozesshandlung im Zweifel nicht nur von der Gesellschaft, sondern auch von dem handelnden Rechtsanwalt selbst vorgenommen wurde. Auch im Hinblick auf das Eckpunktepapier bleibt abzuwarten, ob und welche Reformvorschläge der Gesetzgeber aufgreifen wird.

beA – die neue Unbekannte
Nachdem das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) am Anfang zu vielen technischen Schwierigkeiten und Unstimmigkeiten in der Anwaltschaft geführt hat, ist es inzwischen in der alltäglichen Praxis weitgehend angekommen. Insgesamt zeigen sich aber noch viele Unsicherheiten beim Umgang mit dem beA, so dass bereits eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen mit Bezug zum beA vorliegt. Hier seien ohne Anspruch auf Vollständigkeit und in chronologischer Reihenfolge genannt: LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 19.09.2019 – 5 Ta 94/19 (Fortbildungspflicht); LSG Bayern, Beschluss vom 03.01.2018 – L 17 U 298/17 (fehlgeschlagene Übermittlung einer Berufung über beA); OLG Braunschweig, Beschluss vom 08.04.2019 – 11 U 146/18 (unwirksame Einreichung einer Berufung über beA); BFH, Beschluss vom 05.06.2019 – IX B 121/18 (Umlaute und Sonderzeichen in Dateibezeichnung); ArbG Lübeck, Verf. vom 19.06.2019 – 6 Ca 679/19 (Unwirksamkeit der Einreichung bei Weiterreichung der beA-Karte und der PIN); BSG, Beschluss vom 27.06.2019 – B 5 RE 10/18 (Hinweispflicht durch Gericht); BAG, Beschluss von 07.08.2019 – 5 AZB 16/19 (Überwachungspflichten bei Berufungseinlegung über das beA); OVG Magdeburg, Beschluss vom 28.08.2019 – 2 M 58/19 (Überwachungspflicht bei Rechtsmitteleinlegung über das beA); OVG Saarlouis, Beschluss vom 27.09.2019 – 1 D 155/19 (Rückübermittlung eines EB über das beA); BAG, Beschluss vom 24.10.2019 – 8 AZN 589/19 (Einreichung NZB unter anderer Namenskennung über das beA).
So nehmen zum Beispiel die ersten Gerichte an, dass ein Rechtsanwalt eine Nutzung des beA prüfen muss, wenn ansonsten eine Fristversäumung droht, obwohl derzeit noch keine flächendeckende aktive Nutzungspflicht besteht (OLG Dresden, Beschluss vom 29.07.2019 – 4 U 879/19; LG Krefeld, Beschluss vom 10.09.2019 – 2 S 14/19).
Neben den Herausforderungen beim täglichen Umgang mit dem beA stellt das beA aber insbesondere auch Berufsausübungsgesellschaften vor organisatorische Herausforderungen. So ist das beA an den einzelnen Berufsträger geknüpft, ohne dass die Berufsausübungsgesellschaft ein eigenes beA-Postfach unterhalten kann. Dies hat auch der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs bestätigt [BGH, Urteil 06.05.2019 – AnwZ (Brfg) 69/18.]. In der Praxis kommt es regelmäßig vor, dass Gerichte die Korrespondenz nicht an den Sachbearbeiter, sondern an einen anderen – mit der Sache nicht befassten – Berufsträger der Kanzlei schicken, so dass eine Abstimmung und Weiterleitung erforderlich wird. Auch der Wechsel von Berufsträgern erfordert größere Sorgfalt, um sicherzustellen, dass die Gerichtskorrespondenz über das beA den richtigen Sachbearbeitern zugestellt wird und dass auch gewährleistet ist, dass die Verschwiegenheitsverpflichtung eingehalten wird. Daher ist die Forderung nach einem Kanzleipostfach im Rahmen des Eckpunktepapiers nicht nur zu begrüßen, sondern die Einführung eines solchen Kanzleipostfaches ist auch zwingend erforderlich.
Zudem muss die Justiz die eigene Digitalisierung beschleunigen, um Medienbrüche und damit verbundene Schwierigkeiten zu reduzieren. Der Gesetzgeber sollte hier nicht nur die Anwaltschaft durch das beA zur Digitalisierung verpflichten, sondern auch selbst die notwendigen Rahmenbedingungen für die Digitalisierung der Justiz schaffen.

Steigende Haftungsrisiken
Neben Haftungsrisiken, die aus dem Einsatz des beA resultieren, bleibt weiterhin die Fristversäumnis der Haftungsgrund Nummer 1. Daneben zeichnen sich aber auch weitere Trends ab. Zum Beispiel gehen zunehmend Rechtsschutzversicherer gegen Rechtsanwälte (auch trotz erteilter Deckungszusage) vor, wenn diese zum Beispiel in einer Vielzahl von Verfahren offensichtlich unbegründete Ansprüche verfolgen und hierdurch Kosten verursachen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 23.05.2019 – 24 U 124/18). Insgesamt ist eine zunehmende Bereitschaft zu erkennen, die eigenen Berater wegen tatsächlicher oder behaupteter Pflichtverletzungen in Anspruch zu nehmen. Ein Trend, der nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch andere freie Berufe, wie zum Beispiel Ärzte, betrifft. International wird Deutschland im Hinblick auf die Berufshaftung von Rechtsanwälten inzwischen als Hochrisikoland wahrgenommen und rückt neben den USA, Großbritannien und Australien in den Fokus. Die derzeitige öffentliche Berichterstattung zur Rolle von Rechtsanwälten bei Cum-ex- und Cum-cum-Geschäften verstärkt diese Entwicklung.

Ausblick
Insgesamt bleibt es spannend, ob und, falls ja, welche Reformvorschläge der Gesetzgeber im Hinblick auf das Berufsrecht für Berufsausübungsgesellschaften und im Hinblick auf die Modernisierung des Rechtsdienstleistungsgesetzes aufgreifen und umsetzen wird. Die durch erste Legal-Techs aufgesetzten Geschäftsmodelle beginnen den Anwaltsmarkt zu verändern. Diese Entwicklung wird sich in Zukunft noch verstärken. Vielfach entsprechen die Geschäftsmodelle der Legal-Techs auch der Erwartungshaltung der Konsumenten, Rechtsthemen schnell und unkompliziert zu lösen. Die Anwaltschaft ist gut beraten, diesen Umstand zu akzeptieren und zu prüfen, ob und, falls ja, in welchem Rahmen die eigene Tätigkeit hiervon profitieren kann. Im Hinblick auf die öffentliche Wahrnehmung des Berufsstands muss sich die Anwaltschaft auf stürmischere Zeiten einstellen und stetig das eigene Risikomanagement – auch zur Vermeidung von Haftungsfällen – verbessern. Hierzu gehört es auch, von den Erfahrungen anderer Branchen zu lernen und sich externen Lösungsansätzen nicht zu verschließen.

daniel.kreienkamp@clydeco.com

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