Arbeitsrechtliche Auswirkungen des Brexits – Alarmstufe Rot oder abwarten und Tee trinken?
Von Sandy Gerlach

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Einführung

Etwa 2.500 deutsche Unternehmen mit Niederlassungen in Großbritannien und etwa 3.000 britische Unternehmen mit Niederlassungen in der Bundesrepublik sind alarmiert. Denn: Beim EU-Mitgliedschaftsreferendum am 23.06.2016 in Großbritannien stimmten etwa 52% der Wähler für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU). Unternehmen und Arbeitnehmer stellen sich die Frage, welche Folgen dieses Votum der Briten hat.

Die erste Entwarnung – unmittelbar erst einmal keine. Denn das Referendum selbst ist innerstaatlich rechtlich unverbindlich und hat europarechtlich keine Außenwirkung. Umstritten ist derzeit, ob das britische Parlament als Souverän über den Austritt aus der EU abstimmen muss oder ob der Premierminister die Entscheidung allein treffen darf. Britische Juristen laufen sich bereits warm, rechtliche Schritte einzuleiten, sollte das Parlament übergangen werden.

Die Austrittserklärung ist jedenfalls nach Art. 50 Abs. 2 EUV an den Europäischen Rat zu übermitteln. Im Anschluss hieran hat der Europäische Rat Leitlinien festzulegen, aufgrund derer die EU mit dem ausscheidenden Mitgliedstaat ein Austrittsübereinkommen verhandelt. Hierbei geht es unter anderem um neue Vereinbarungen über das künftige Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur EU. Kommt keine Einigung zustande, erfolgt nach zwei Jahren der Brexit automatisch (Sunset-Clause).

Die mittel- und langfristigen Auswirkungen für Unternehmen und Arbeitnehmer in der EU hängen wesentlich vom Inhalt und Ausgang der Austrittsverhandlungen ab und sind derzeit nicht abschließend absehbar. So stellen sich insbesondere Fragen zur grenzüberschreitenden Beschäftigung von Arbeitnehmern, zu den Auswirkungen auf Betriebsräte einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) sowie auf britische Mitglieder im Europäischen Betriebsrat.

Grenzüberschreitende Beschäftigung von Arbeitnehmern

Die Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Art. 45 AEUV bildet den Kern des Konzepts eines Binnenmarkts ohne Grenzen. Spiegelbildlich gewähren Art. 49, 54 AEUV die grenzüberschreitende Niederlassungsfreiheit für Selbständige und Unternehmen. Gemeinsam ermöglichen diese Grundfreiheiten die unbeschränkte Mobilität des „Produktionsfaktors Arbeit“ und führen zu einem Wettbewerb der Standorte sowie der Arbeitsplätze und Arbeitnehmer innerhalb der EU.

Ohne Treffen neuer Vereinbarungen kommt bei einem Brexit den Grundfreiheiten in Bezug auf das Vereinigte Königreich keine Geltung mehr zu. Briten wären dann nur noch sogenannte Drittstaatsangehörige und müssten künftig vor Arbeitsaufnahme in Deutschland einen Aufenthaltstitel beantragen. Dieser wird in der Regel nur erteilt, wenn die Bundesagentur für Arbeit zustimmt. Unter bestimmten erleichterten Voraussetzungen können hochqualifizierte Fachkräfte die „Blaue Karte EU“ erhalten, die einen Aufenthaltstitel mit Arbeitsmarktzugang beinhaltet.

In Betracht kommt aber auch ein Verbleib oder eine Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dem es bisher als Mitgliedstaat der EU angehört hat. Das Abkommen dehnt den Europäischen Binnenmarkt der EU auf Island, Liechtenstein und Norwegen aus, so dass Arbeitnehmer Freizügigkeit und Unternehmen Niederlassungsfreiheit im EWR genießen.

Alle Fragen um die grenzüberschreitende Beschäftigung von Arbeitnehmern könnten auch in bilateralen Verträgen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nach dem Vorbild der Schweiz (Freizügigkeitsabkommen) als eine Art Einzelfalllösung geregelt werden.

Unternehmen fahren am sichersten, wenn sie sich bereits jetzt auf den „Worst Case“– die Mutation des Vereinigten Königreichs zum Drittstaat – einstellen. Dies vor allem, weil Ausländer nur beschäftigt werden dürfen, wenn sie einen Aufenthaltstitel mit Arbeitserlaubnis besitzen, und die illegale Beschäftigung von Ausländern mit Geldbußen bis hin zu Freiheitsstrafen sanktioniert wird (§ 404 SGB III). Vor diesem Hintergrund ist Arbeitgebern bei der Einstellung von Arbeitnehmern britischer Staatsangehörigkeit zu raten, in Anstellungsverträge eine Klausel aufzunehmen, nach der bei Nichtvorliegen einer gegebenenfalls erforderlich werdenden Aufenthaltsgenehmigung das Vertragsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Die Befristung dürfte gem. § 14 Abs.1 Satz 1 TzBfG sachlich gerechtfertigt sein.

Auswirkungen auf Betriebsräte einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE)

Erfolgt ein Brexit, verlieren Europäische Aktiengesellschaften mit Sitz im Vereinigten Königreich ihre rechtliche Grundlage. Ohne spezielle Nachfolgeregelungen diesbezüglich müssten diese Gesellschaften ihre Rechtsform ändern. Dem Fortbestehen eines SE-Betriebsrats in einer britischen SE ist damit der Boden entzogen.

Befindet sich der Sitz der SE in Deutschland, haben Arbeitnehmer aus britischen Niederlassungen kein Recht auf Mitarbeit im SE-Betriebsrat mehr, wenn dieser kraft Gesetzes errichtet worden ist (§§ 23, 5 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft, SE-Beteiligungsgesetz – SEBG). Entsprechend § 25 SEGB, müssten sodann Neuwahlen veranlasst werden, da sich nach einem Vergleich zwischen der bisherigen Zusammensetzung des SE-Betriebsrats und einer hypothetischen Neuerrichtung gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 SEBG eine andere Verteilung der Sitze ergibt.

Ist über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE eine Vereinbarung getroffen worden, kommt es hinsichtlich der weiteren Mitarbeit der Arbeitnehmer aus britischen Niederlassungen entscheidend auf den Inhalt der Regelung an. Diese kann nach § 21 SEBG vorsehen, dass Unternehmen oder Betriebe außerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten in den Geltungsbereich einbezogen werden und Fälle, in denen die Vereinbarung neu ausgehandelt werden soll, selbst definieren.

Auswirkungen auf die britischen Mitglieder Europäischer Betriebsräte (EBRs)

EBRs werden in allen innerhalb des Gebiets der EU und des EWR grenzübergreifend tätigen Unternehmen und Unternehmensgruppen nach der EBR-RL gebildet. Das zur Umsetzung der Richtlinie in Deutschland geschaffene Gesetz über Europäische Betriebsräte (EBRG) findet für alle in Deutschland zu bildenden EBRs Anwendung.

Sollten bei den anstehenden Austrittsverhandlungen keine neuen Vereinbarungen getroffen werden, gilt: Wird der EBR kraft Gesetzes gebildet, entfällt im Fall eines Brexits das Recht britischer Arbeitnehmer auf Mitarbeit im EBR. Denn § 22 EBRG sieht vor, dass nur aus Mitgliedstaaten, in denen das Unternehmen oder die Unternehmensgruppe einen Betrieb hat, Arbeitnehmer in den EBR entsandt werden können. Da es durch den Wegfall der britischen Mitglieder im EBR ebenso wie bei einem Ausscheiden durch Ausgliederung oder Umwandlung zu einer Veränderung der Verteilungsrelationen der Arbeitnehmer zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten kommt, dürften entsprechend § 32 EBRG Neuwahlen angezeigt sein.

Ist über die Errichtung eines EBRs eine Vereinbarung getroffen worden, sind die Auswirkungen eines Brexits für die britischen Mitglieder vom Inhalt der getroffenen Regelung abhängig. Nach § 18 EBRG kann sich der Geltungsbereich der EBR-Vereinbarung auch auf Betriebe und Unternehmen von außerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten liegenden Niederlassungen erstrecken. Ebenfalls können Fälle bestimmt werden, in denen eine Anpassung der Vereinbarung an Strukturveränderungen erfolgen soll.

Fazit

Alles in allem sollten Unternehmen im Hinblick auf den völlig unklaren Ausgang der Austrittsverhandlungen des Vereinigten Königreichs mit der EU besonnen reagieren. Die einzelnen Rechtsfolgen können erst, wenn die Austrittsverhandlungen abgeschlossen sind, rechtssicher bewertet werden. Es sollte der Zweijahreszeitraum der Sunset-Clause einkalkuliert werden. Einstweilen können in Individualverträgen mit britischen Arbeitnehmern Abreden zur Sachgrundbefristung aufgenommen werden. Im Hinblick auf die Gründung von SE-Betriebsräten und EBRs sollten Unternehmen den aufgezeigten Gestaltungsspielraum nutzen, der ihnen gesetzlich durch die Möglichkeit der Errichtung der Gremien durch Vereinbarung gegeben ist.

sandy.gerlach@heussen-law.de

 

 

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