Zwölf Tage Arbeit ohne Ruhetag sind europarechtlich zulässig

Von Rafael Hertz

Beitrag als PDF (Download)

Einleitung

Die klassischen rechtlichen und organisatorischen Strukturen von Unternehmen haben zunehmend mit den Anforderungen der modernen Arbeitswelt zu kämpfen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Diskussion um „Arbeiten 4.0“ werden Forderungen seitens der Wirt-schaft laut, das gesetzliche Korsett zu lösen und den Beteiligten mehr Spielräume zu geben. Dabei spielt naturgemäß die Frage der Arbeitszeit eine dominante Rolle, und der Ruf der Arbeitgeber nach Flexibilisierung wird in unterschiedlichen Zusammenhängen mittelfristig nicht ungehört bleiben können.

Die wöchentliche und tägliche Höchstarbeitszeit, die Ruhezeiten, die Nacht- und Schichtarbeit sowie Urlaubsfragen sind nur einige der Themen, die im Gesamtkomplex „Arbeitszeit“ für Diskussionen sorgen.

Auf europäischer Ebene setzt die (Arbeitszeit-)Richt­linie 2003/88/EG die Mindeststandards, und die nationalen Umsetzungsakte schrauben das jeweilige Schutz­niveau zum Teil weiter hoch. Im Bereich des europäischen Arbeitsrechts gehört die Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie seit vielen Jahren zu den beliebtesten Vorlageverfahren der nationalen Gerichte an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Immer wenn Zweifel in Bezug auf die Auslegung von EU-Richtlinien bestehen, muss zwingend der EuGH eingeschaltet werden.

Im konkreten Fall hatte ein portugiesisches Gericht (Tribunal da Relação do Porto) jene Auslegungszweifel in Bezug auf Art. 5 der Arbeitszeitrichtlinie.

Sachverhalt

Im Vorlagefall war der Kläger in einem Kasino in Portugal angestellt und musste während der Jahre 2008 und 2009 manchmal an sieben aufeinanderfolgenden Tagen arbeiten. Nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses im März 2014 erhob der Kläger für diesen Zeitraum Klage unter anderem auf Schadensersatz, weil nach seiner Auffassung die jeweils siebten Tage, an denen er gearbeitet habe, als Überstunden hätten vergütet werden müssen und ihm keine Ausgleichsruhezeit gewährt worden sei. Nach Abweisung seiner Klage legte der Kläger Berufung ein. Der Kläger machte zur Begründung unter anderem geltend, dass die einschlägigen portugiesischen Gesetze im Hinblick auf Art. 5 der Richtlinie 2003/88 dahingehend ausgelegt werden müssten, dass sie dazu verpflichteten, spätestens nach sechs aufeinanderfolgenden Arbeitstagen einen Ruhetag zu gewähren.

Art. 5 der Arbeitszeitrichtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, „damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Artikel 3 gewährt wird“. Der EuGH sollte im Rahmen der Vorlage damit klären, ob die kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden spätestens am siebten Tag gewährt werden muss und ob es dadurch unzulässig ist, dass zwischen zwei Ruhezeiten im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie mehr als sechs Arbeitstage liegen.

Entscheidung

Nach Ansicht des EuGH (EuGH Nr. 115/2017 v. 09.11.2017) verlange Art. 5 der Richtlinie nur, dass die Ruhezeit innerhalb jedes „Siebentageszeitraums“ gewährt werden müsse. „Pro Siebentageszeitraum“ sei ein autonomer Begriff des Unionsrechts, der daher einheitlich in der EU ausgelegt werden müsse. Damit können die Ruhezeiten bei zwei aufeinanderfolgenden „Siebentageszeiträumen“ auch zwölf Arbeitstage auseinanderliegen.  Auch in diesem Fall seien die Ruhezeiten jedoch innerhalb der jeweiligen „Siebentageszeiträume“ gewährt worden. Mehr verlange Art. 5 der Richtlinie nicht.

Auch aus Art. 31 Abs. 2 der Europäischen Grundrechtecharta folge nichts Gegenteiliges. Danach haben Arbeitnehmer zwar das Recht auf „wöchentliche Ruhezeiten“. Art. 31 Abs. 2 der Charta könne jedoch keine weitergehenden Hinweise für die Auslegung von Art. 5 der Arbeitszeitrichtlinie liefern, da Art. 31 Abs. 2 sich mittelbar selbst auf die Arbeitszeitrichtlinie stütze.

Praxishinweis

Der EuGH gelangte zu einer auf den ersten Blick „arbeitgeberfreundlichen“ Auslegung, die jedoch spätestens auf den zweiten Blick aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Regelung alternativlos ist. Es gilt hier jedoch, dass die Richtlinie nur Mindeststandards für den Schutz des Arbeitnehmers im Rahmen der Arbeitszeitgestaltung setzt. Dies schließt nicht für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften nationaler Art aus. Daher hat die Entscheidung kaum unmittelbare Wirkung auf deutsche Arbeitsverhältnisse, da die deutschen Umsetzungsakte, insbesondere das Arbeitszeitgesetz u.a. durch das Verbot der Sonntagsarbeit nach § 9 Arbeitszeitgesetz und trotz der zulässigen Ausnahmen in § 10 Arbeitszeitgesetz, die durch die Arbeitszeitrichtlinie gesetzten Schutzstandards weitgehend übertreffen. Ob die Entscheidung des EuGH jedoch Begehrlichkeiten im Rahmen der Entwicklungen im Bereich „Arbeit 4.0“ wecken wird, bleibt abzuwarten.

rafael.hertz@kallan-legal.de

24 replies on “„Wöchentliche Ruhezeit“”

Comments are closed.

Aktuelle Beiträge