„Kartellrechtswidriger Informationsaustausch“ – eine kritische Reflexion
Von Dr. Volker Soyez

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Ursprung und rechtliche Grundlagen

Dass der Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern gegen das Kartellrecht verstoßen kann, steht nicht ausdrücklich im Gesetz. Dennoch sind die Kartellbehörden – allen voran die EU-Kommission – in den 80er Jahren dazu übergegangen, auch den Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern (als solchen und nicht als Begleiterscheinung einer Kartellabsprache) unter das Tatbestandsmerkmal der abgestimmten Verhaltensweise zu subsumieren (vgl. bereits Entscheidung der Kommission im Fall V/29.725 vom 19.12.1984 – „Wood Pulp“; prominent: Entscheidung der Kommission im Fall IV/31.370 vom 17.02.1992, bestätigt durch EuGH Urteil vom 28.05.1998, C-7/95 P – „John Deere“). Man kann trefflich darüber streiten, ob dies mit dem Gebot der restriktiven Auslegung strafbewehrter Verbotstatbestände vereinbar ist. Jedenfalls haben die Gerichte das Konstrukt des „kartellrechtswidrigen Informationsaustauschs“ abgesegnet und damit zum Teil der aktuellen Rechtsrealität gemacht.

Rechtsunsicherheit durch unklare normative Konturen

Das eigentliche Problem dabei ist, dass die existierende Fallpraxis auf deutscher und europäischer Ebene eben nur auf den Einzelfall bezogen ist und keine allgemeingültigen, umfassenden und objektivierten Kriterien aufstellt, nach denen der Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern kartellrechtlich zu beurteilen ist. Zwar hat die EU-Kommission im Jahr 2011 in ihren Horizontalleitlinien den Versuch unternommen, allgemeingültige Grundsätze für die kartellrechtliche Beurteilung des Informationsaustauschs aufzustellen und damit das Thema etwas griffiger für die Rechtsanwender zu machen. Wirklich erfolgreich war dieser Versuch allerdings nicht. Nach wie vor könnte der auf den Informationsaustausch anwendbare Kartellrechtsrahmen konturloser nicht sein. Oder – um es mit den Worten des EuGH (C-179/99 P) zu sagen: Ein Informationsaustausch ist kartellrechtswidrig, wenn er „den Grad der Ungewissheit über das fragliche Marktgeschehen verringert oder beseitigt und dadurch zu einer Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen führt“. Erneut kann man sich fragen, ob eine solche (man will fast sagen rechtsphilosophische) Beschreibung eines gesetzlichen Verbotstatbestands mit verfassungsmäßigen Standards zu vereinbaren ist – diesmal in Form des Bestimmtheitsgrundsatzes nulla poena sine lege certa.

Erfordernis der „Einzelfallbetrachtung“ paralysiert die Wirtschaftsteilnehmer

Flankiert wird die weite Definition des „kartellrechtswidrigen Informationsaustauschs“ des EuGH dadurch, dass nach allgemeiner Meinung der Kartellbehörden und Gerichte jedenfalls sämtliche Umstände des Einzelfalls bei der Beurteilung der Kartellrechtswidrigkeit eines Informationsaustauschs zu berücksichtigen sind, wie etwa Markttransparenz, Marktstruktur, Art der betroffenen Produkte/Dienstleistungen, Aktualität der Informationen, Häufigkeit des Informationsaustauschs, Aggregationsgrad der ausgetauschten Informationen (nach Produktgruppen, geographischen Gebieten, zeitlich etc.), Vertraulichkeit des Informationsaustauschs und anderes mehr.

Offen gesprochen: Wie soll denn von einem Geschäftsmann verlangt werden können, ad hoc in der konkreten Situation belastbar beurteilen zu können, ob ein Austausch mit einem Wettbewerber über makroökonomische Entwicklungen der Branche eventuell kartellrechtswidrig sein könnte? Besondere Brisanz erlangt das Thema noch dadurch, dass der EuGH in der Rechtssache „T-Mobile Niederlande“ (Urteil vom 04.06.2009, C-8/08) entschieden hat, dass bereits ein einziger, isolierter Informationsaustauschsexzess genügt, um das Unternehmen dem gesamten Sanktionskatalog der Kartellgesetze auszusetzen.

Für die Normadressaten der Kartellverbote – die Europäische Unternehmerschaft – bedeutet dies, dass jede Tätigkeit, durch die „der Grad der Ungewissheit über ein fragliches Marktgeschehen verringert oder beseitigt wird“, stets das Risiko eines Kartellrechtsverstoßes und damit empfindlicher Bußgelder birgt. Die Entwicklung des Konzepts des „kartellrechtswidrigen Informationsaustauschs“ hat zu erheblicher Verunsicherung der gesamten europäischen Unternehmerschaft geführt.

Die notwendige Folge: Over-Compliance, …

Die Konfusion um den „kartellrechtswidrigen Informationsaustausch“ hat zur Konsequenz, dass Unternehmen in die Over-Compliance gedrängt werden und teils drastische Maßnahmen ergreifen, um mögliche Friktionen mit den kartellrechtlichen Verboten zu vermeiden. So ziehen sich etwa viele Unternehmen teils komplett aus der Verbandsarbeit zurück, andere verbieten ihren Mitarbeitern Messebesuche. Wieder andere bestehen darauf, dass Kartellrechtsanwälte standardmäßig bei jedem Verbandstreffen teilnehmen, unabhängig davon, dass eventuell nur regulatorische Themen oder gegebenenfalls die Organisation der Weihnachtsfeier auf der Agenda stehen. Zum Teil haben Unternehmen sogar Systeme zur Erfassung und Überwachung jeglicher Wettbewerberkontakte eingeführt, verbunden mit automatischen Kontrollmitteilungen an die externen Anwälte, die sodann jeden dieser Wettbewerberkontakte auf seine Kartellrechtskonformität hin prüfen (das System wurde von den externen Anwälten entwickelt …).

… zum Beispiel im Rahmen von Marktinformationssystemen

Ebenfalls dem unklaren Rechtsrahmen, betreffend den „kartellrechtswidrigen Informationsaustausch“, geschuldet ist die Diskussion, ob es im Rahmen von Marktinformationssystemen ausreicht, wenn die Statistiken auf Daten von wenigstens drei Unternehmen beruhen, oder ob nicht vielmehr – mit Blick auf das Urteil des OLG Düsseldorf in Sachen „Transportbeton Sachsen“ [Beschluss vom 26.07.2002, VI-Kart 37/01 (V)] und die Sektoruntersuchung „Milch“ des BKartA [(B2-19/08) Endbericht Januar 2012] – wenigstens fünf Unternehmen beteiligt sein müssen (gegebenenfalls sogar verbunden mit der Forderung, dass jedes der beteiligten Unternehmen wenigstens 5% Marktanteil haben muss). In der Literatur wurde der „Wenigstens-fünf-Marktteilnehmer-Standard“ teils unreflektiert als „Best Practice“ bezeichnet, und führende Wirtschaftsverbände haben ihre Standards inzwischen entsprechend verschärft. Dabei hatten weder das OLG Düsseldorf noch das Bundeskartellamt in den beiden genannten Fällen festgestellt, dass weniger als fünf Marktteilnehmer unzureichend wären. Vielmehr hieß es in beiden Fällen lediglich, dass fünf Marktteilnehmer jedenfalls ausreichend wären. Das ist etwas völlig anderes. Klar – wenn drei ausreichen, dann reichen halt auch fünf aus. Bereits im Jahr 1996 hatte die EU-Kommission im Fall „CEPI-Cartonboard“ (Fall IV/34.936/E1) ausdrücklich festgestellt, dass eine Teilnahme von drei Wettbewerbern vollkommen ausreichend sei, um zu gewährleisten, dass ein Marktinformationssystem nicht­identifizierend sei. Im Fall „UK Tractor Exchange“ [Entscheidung vom 20.09.1999 (IP/99/690)] hat die EU-Kommission sogar festgestellt, dass auch eine Teilnahme von weniger als drei Teilnehmern kartellrechtskonform sein könne, sofern die betreffenden Marktinformationen produktseitig hinreichend aggregiert seien.

Man könnte natürlich den Standpunkt vertreten, dass heute halt strengere Regeln gölten. Dies verkennt jedoch, dass die Frage, unter welchen Umständen ein Informationsaustausch eine wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung bewirkt, gerade keine Policy-Decision ist. Vielmehr handelt es sich insofern um eine objektive, wettbewerbstheoretische und damit zeitlose Gesetzmäßigkeit. Eine Verhaltensweise, die 1996 nicht den Wettbewerb beschränkt hat, beschränkt auch 2016 nicht den Wettbewerb.

Over-Compliance ist wettbewerbsbeschränkend

Jetzt könnte man ferner sagen, nun ja – auch wenn die kartellrechtlichen Fundamente sich nicht geändert hätten, so seien Unternehmen und Verbände mit Blick auf die drastischen Sanktionsandrohungen doch heutzutage besser beraten, einen größeren Sicherheitsabstand zu möglicherweise kartellrechtskritischen Verhaltensweisen einzuhalten, als dies noch vor 20 Jahren der Fall war. Es sei daher eben der richtige Schritt, etwa Verbandstreffen zu meiden, wenn man nicht ausschließen könne, dass es hier zu problematischem Informationsaustausch kommen könnte, oder Marktinformationssysteme einzustellen, wenn nicht wenigstens fünf Wettbewerber teilnehmen.

Wer diese Meinung vertritt, wird sich jedoch nicht nur die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellen müssen, sondern er verkennt möglicherweise auch einen ganz zentralen Punkt: Der Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern ist im Grundsatz prokompetitiv, wie nicht zuletzt die EU-Kommission ausdrücklich in ihren Horizontalleitlinien festgestellt hat. Dort heißt es in Rz. 57: „Der Informationsaustausch ist ein gemeinsames Merkmal vieler Wettbewerbsmärkte und bringt verschiedene Arten von Effizienzgewinnen hervor. Durch ihn können Informationsasymmetrien behoben werden, was die Märkte effizienter macht. Unternehmen können häufig ihre interne Effizienz durch Benchmarking verbessern, anhand der bewährten Praxis anderer Unternehmen. Die gemeinsame Nutzung von Informationen kann Unternehmen unter anderem dabei helfen, durch Lagerreduzierung Kosten zu sparen, verderbliche Waren schneller an den Verbraucher zu liefern oder auf Nachfrageschwankungen besser zu reagieren. Der Informationsaustausch kann auch dem Verbraucher unmittelbar zugutekommen, weil sich die Suchkosten verringern und die Auswahl sich vergrößert.“ Jede Beschränkung des Informationsaustauschs zwischen Wettbewerbern ist damit im Grundsatz wettbewerbsbeschränkend!

vs@haver-mailaender.de

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