Richtlinienentwurf der EU-Kommission zur Harmonisierung des europäischen Insolvenzrechts
Von Dr. Christoph Herbst und Florian Harig
Nicht erst seit den Fällen Tele Columbus, Metrovacesa und Rodenstock ist der Wettbewerb zwischen den europäischen Rechtsordnungen auf dem Gebiet der Unternehmensrestrukturierung in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Erklärtes Ziel des im Jahr 2012 in Kraft getretenen Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) war, die Attraktivität des Restrukturierungsstandorts Deutschland insbesondere durch die Stärkung der Eigenverwaltung zu erhöhen. Auf die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens wurde damals verzichtet. Die Empfehlung der EU-Kommission vom 12.03.2014 ließ die Diskussion um die Harmonisierung des europäischen Insolvenzrechts und insbesondere um ein außerinsolvenzliches Sanierungsverfahren in Deutschland wieder aufleben.
Die Kommission hat nunmehr am 22.11.2016 ihren angekündigten Richtlinienentwurf für die Harmonisierung des europäischen Insolvenzrechts vorgestellt. Dieser Vorschlag ist Teil des Programms zur Schaffung einer Kapitalmarktunion und einer gemeinsamen Binnenmarktstrategie. Für ausländische Investoren und EU-weit tätige Unternehmen soll insgesamt die Rechtssicherheit in Krisen- und Insolvenzsituationen erhöht werden.
Der Richtlinienentwurf stimmt im Wesentlichen mit den Kernpunkten der von der Kommission bereits am 12.03.2014 ausgesprochenen Empfehlung für einen neuen Ansatz im Umgang mit dem unternehmerischen Scheitern und den Unternehmensinsolvenzen überein. Vornehmliche Regelungsziele der Kommission sind die einheitliche Schaffung von präventiveren Restrukturierungsverfahren sowie die Möglichkeit der Gewährung einer zweiten Chance für Unternehmer, die als natürliche Personen selbständig tätig sind. Darüber hinaus soll die Effizienz von Insolvenzverfahren unionsweit erhöht werden. Im Mittelpunkt stehen insbesondere folgende Regelungskomplexe:
Frühwarnsysteme
Laut Richtlinienvorschlag haben die Mitgliedstaaten den inländischen Unternehmen – insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie Einzelunternehmern – Zugang zu Informationen für Frühwarnsysteme zu gewähren. Die Unternehmen wiederum sollen verpflichtet werden, Frühwarnsysteme zu nutzen, um Krisen rechtzeitig erkennen zu können. Der Begriff „Frühwarnsystem“ ist wenig konkret ausgestaltet. Es wird sich zeigen, wie die einzelnen Staaten ihn interpretieren werden. Insbesondere für Einzelunternehmer erscheint fraglich, in welchem Umfang dort tatsächlich umfangreiche Frühwarnsysteme praktisch etabliert und genutzt werden können.
Präventives Restrukturierungsverfahren
Die Kommission schreibt ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren vor, das der Erleichterung von Sanierungsverhandlungen mit den Gläubigern sowie der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen dienen soll. Aus der von der Kommission veröffentlichten länderspezifischen Unterlage für die Bundesrepublik Deutschland geht hervor, dass das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO sowie das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO nicht als vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren anerkannt werden. Vielmehr gibt die Kommission auf, ein zusätzliches, vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren zu schaffen, das es ermöglicht, unter Vereinbarung eines Moratoriums (Vollstreckungstopp) für zunächst maximal vier Monate bei gleichzeitiger Suspendierung der Insolvenzantragspflichten sämtliche betroffenen Gläubiger in einen Restrukturierungsplan einzubeziehen. Über einen solchen Restrukturierungsplan und die darin enthaltenen Sanierungsmaßnahmen müssen die Gläubiger abstimmen, wobei Gruppen gebildet werden können, in denen eine qualifizierte Summenmehrheit gilt. Der Restrukturierungsplan ist gerichtlich zu bestätigen, wenn er streitig beschlossen wird oder einen Rahmen für eine Neufinanzierung vorsieht. Im Rahmen des präventiven Restrukturierungsverfahrens soll frisches Sanierungskapital zudem in Anschlussinsolvenzen bevorzugt werden.
Die Einleitung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens soll im Sinne der Kommission voraussetzen, dass der Eintritt einer Insolvenz wahrscheinlich ist. Es findet jedoch keine gerichtliche Eingangsprüfung statt. Das Gericht ordnet lediglich die Moratorien an und bestätigt den Restrukturierungsplan, soweit dieser etwa streitig beschlossen wird. Im Wesentlichen soll die außergerichtliche Verhandlung zwischen Schuldner und Gläubigern im Mittelpunkt stehen.
Über den Restrukturierungsplan soll ferner ausschließlich außergerichtlich mit den Gläubigern verhandelt werden. Über im Restrukturierungsplan beschriebene Sanierungsmaßnahmen wird in Gläubigergruppen abgestimmt. Nach gerichtlicher Planbestätigung treten die Wirkungen des Plans für und gegen alle im Restrukturierungsplan identifizierten Beteiligten ein. Der Restrukturierungsplan hat jedoch keine Bindungswirkung gegenüber den Gläubigern, die nicht an der Annahme des Restrukturierungsplans beteiligt waren oder die dingliche und persönliche Sicherheiten vorweisen können. Rechtsmittel gegen den Plan sind ebenfalls vorgesehen, diese sollen jedoch ohne Suspensiveffekt bleiben. Das Gericht kann den Plan entweder aufheben oder den Plan bestätigen und den widersprechenden Gläubigern eine Abfindung zusprechen, die von den weiteren Beteiligten aufzubringen ist.
Zweite Chance für Unternehmer
Ausdrückliches Ziel der Kommission ist es, redlichen Unternehmern innerhalb einer Dreijahresfrist eine zweite Chance zu geben und einen wirtschaftlichen Neustart zu ermöglichen. Der Richtlinienvorschlag der Kommis-
sion sieht für natürliche Personen die dreijährige Höchstfrist für die Erteilung der Restschuldbefreiung vor, wenn ein Schuldenbegleichungsplan vorgelegt wird. Kürzere Restschuldbefreiungsfristen sind in den Mitgliedstaaten zulässig, soweit diese im allgemeinen Interesse gerechtfertigt sind.
Steigerung der Effizienz von Insolvenzverfahren
Der Richtlinienvorschlag enthält zur effizienteren Ausgestaltung der nationalen Insolvenzverfahren Aus- und Fortbildungspflichten für am Verfahren Beteiligte (Richter, Insolvenzverwalter). Die Mitgliedsländer sollen ferner Maßnahmen zur Sicherstellung der notwendigen Expertise und der Spezialisierung der Gerichte ergreifen.
Insolvenzverwalter und weitere im Insolvenzrecht tätige Personen sind ausreichend zu überwachen und zu kontrollieren. Die Mitgliedstaaten sollen überdies ein effizienzförderndes Vergütungssystem sicherstellen. Zudem sind die Auswahlsysteme bei der Entscheidung der Bestellung von Insolvenzverwaltern klar und transparent zu gestalten.
Letztlich regelt der Richtlinienvorschlag eine Pflicht für einen elektronischen Rechtsverkehr im Hinblick auf Forderungsanmeldung, Verfahrensinformationen und Rechtsmittel.
Der Vorschlag tangiert auch das deutsche Insolvenz-recht. Insbesondere bei der Schaffung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens nach den dargestellten Vorgaben und der Verkürzung der Restschuldbefreiungsfristen ist der Gesetzgeber gefordert.
Im weiteren Verlauf werden jedoch zunächst die EU-Ratsarbeitsgruppe sowie das Europäische Parlament über den Vorschlag beraten. Soweit eine endgültige Annahme im Europäischen Rat und im Europäischen Parlament erfolgt, wird der Umsetzungszeitraum zwei Jahre betragen.
Dass ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren ein gefragtes Restrukturierungsinstrument sein kann, hat die Restrukturierungspraxis in England und Frankreich bereits bewiesen. Für den deutschen Gesetzgeber stellt sich jetzt die Aufgabe, in einem EU-rechtlich vorgegebenen Rahmen ein möglichst attraktives Sanierungsverfahren zu schaffen, damit für inländische Unternehmen kein Anlass mehr besteht, wegen besserer Sanierungsmöglichkeiten ins europäische Ausland zu wechseln.
Spannend bleiben die Fragen, wie die Zugangsvoraussetzungen konkret ausgestaltet und in welcher Form Gerichte eingebunden werden, inwieweit sich das Verfahren praktikabel und wenig bürokratisch gestalten lässt und wie ausgewogen der Gesetzgeber Mehrheitsentscheidungen gegenüber einzelnen Akkordstörern ausgestaltet. Die Herausforderung wird dabei sein, dies unter Wahrung des hohen Gläubigerschutzstandards zu realisieren. Man darf auf die Diskussion und die Reaktion des deutschen Gesetzgebers gespannt sein.