BAG lehnt Schadenersatzansprüche drittbetroffener Unternehmen aufgrund eines Arbeitskampfes ab
Von Dr. Christian Bloth und Julia Loos
Im vergangenen Jahr haben sich Streikmaßnahmen, egal ob bei der Bahn, den Beschäftigten im Bereich des Luftverkehrs oder auch in den kommunalen Kitas, gehäuft. Von solchen Maßnahmen sind nicht nur die unmittelbaren Streikgegner betroffen, sondern naturgemäß auch Dritte, wie Reisende, Unternehmen, die auf Lieferungen der bestreikten Vertragspartner warten, oder Eltern, die ihre Kinder in der Kita betreut wissen wollen. Im Gegensatz zu Reisenden, die zumindest ihre Kosten für Tickets erstattet bekommen, können Drittbetroffenen Schäden entstehen, die ohne weiteres den Schaden des bestreikten Unternehmens übersteigen können. Als Dritte müssen sie dem Arbeitskampf „hilflos“ zuschauen. Oder doch nicht? Können eventuelle Schadenersatzforderungen des drittbetroffenen Unternehmens nicht nur dessen Schäden kompensieren, sondern auch indirekt die zum Streik aufrufenden Gewerkschaften „zum Maßhalten“ motivieren, wenn sie Schadenersatzforderungen vermeiden wollen? Gerade im Fall eines rechtswidrigen Streiks wird diskutiert, ob und auf welcher Grundlage Drittbetroffene ihre Schäden von der zum Streik aufrufenden Gewerkschaft ersetzt verlangen können. Das BAG hatte am 25.08.2015 nun Gelegenheit, sich mit dieser Frage ausführlich auseinanderzusetzen.
Sachverhalt
Die beklagte Gewerkschaft forderte im Frühjahr 2008 den Betreiber des Flughafens Stuttgart zu Tarifverhandlungen für die Mitarbeiter der Vorfeldkontrolle auf. Mit Schreiben vom 29.02.2009 erklärte die Beklagte die Tarifverhandlungen schließlich für gescheitert und kündigte am 01.03.2009 Arbeitskampfmaßnahmen an. Daraufhin fand vom 03. bis zum 06.03. ein Streik der Vorfeldlotsen statt. Diesen verlängerte die Gewerkschaft sodann unbefristet. Für den 06.04. rief die Gewerkschaft dann auch die bei ihr organisierten Mitarbeiter der Deutschen Flugsicherung, auf die der Flughafenbetreiber Teile der Vorfeldkontrolle verlagert hatte, zu einem sechsstündigen Unterstützungsstreik auf. Dieser wurde entsprechend einer Notdienstvereinbarung 24 Stunden vorher angekündigt. Im Rahmen des Notdienstes wurden zirka 25 Prozent der geplanten Flüge abgewickelt.
Dennoch fielen zahlreiche Flüge der vier Klägerinnen, die alle Luftverkehrsunternehmen betreiben, aus, andere hatten Verspätung oder mussten umgeleitet werden. Aufgrund einer auf Antrag der Klägerinnen erlassenen Verbotsverfügung des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main brach die Beklagte den Unterstützungsstreik vorzeitig ab, während ein Antrag der Deutschen Flugsicherung auf Unterlassung auch vor dem LAG Baden-Württemberg erfolglos blieb.
Die Klägerinnen verlangten nunmehr von der Gewerkschaft Schadenersatz wegen der Beeinträchtigung des Luftverkehrs. Dabei vertraten sie insbesondere die Auffassung, die Arbeitskampfmaßnahmen der Beklagten stellten einen rechtswidrigen und schuldhaften Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Dieser sei auch auf ihren Betrieb bezogen, unter anderem deswegen, weil gerade die direkt be-streikten Unternehmen keinen Schaden erlitten hätten. Diese könnten nach dem für sie geltenden Prinzip der Vollkostendeckung die Einnahmeausfälle durch Gebührenerhöhungen gegenüber den Luftverkehrsunternehmen kompensieren. Nur sie, die Luftverkehrsunternehmen, hätten einen Schaden erlitten.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main und das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) haben Schadenersatzansprüche abgelehnt, die Revision zum BAG blieb erfolglos (BAG, Urteil vom 25.08.2015 – Az. 1 AZR 875/13).
Entscheidung
Das BAG [es liegt nur eine Pressemitteilung vor (Nr.43/15)] – hat – ebenso wie die Vorinstanzen – weder eine Verletzung des Rechts der Klägerinnen auf Schutz ihres Eigentums, ihres Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb noch eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung erkennen können.
Nach der Begründung der 9. Kammer des LAG Hessen (Urteil vom 25.04.2013 – Az. 9 Sa 561/12) stellen die Beeinträchtigungen keine Eigentumsverletzung dar, da die fehlende Möglichkeit, mit den Flugzeugen starten und landen zu können, nur für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum bestanden habe. Dadurch sei lediglich deren wirtschaftliche Nutzung vorübergehend eingeschränkt worden. Zudem hätte diese Beeinträchtigung nicht alle Flugzeuge der Klägerinnen betroffen und sei durch die geltende Notdienstvereinbarung und die Ankündigung des Streiks, 24 Stunden vor Beginn, abgemildert worden. Eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb lehnte das LAG mit der Begründung ab, dass es sich nicht um einen unmittelbaren und betriebsbezogenen Eingriff in den Gewerbebetrieb der Klägerinnen gehandelt habe. Denn nach dem Sinngehalt, der tatsächlichen Bedeutung der Arbeitskampfmaßnahmen sowie der Willensrichtung der Beklagten, sei das Bestreiken des Towers nicht darauf gerichtet gewesen, auf den Gewerbebetrieb der Klägerinnen ein-zuwirken. Vielmehr habe der Unterstützungsstreik unmittelbar lediglich dazu geführt, dass die Flugsicherung ihre Aufgabe nicht erfüllen konnte. Die Benutzbarkeit des Luftraums und der Start- und Landebahn gehöre nicht zum Gewerbebetrieb einer Fluggesellschaft, da andernfalls der Gemeingebrauch am Luftraum – oder an anderen Verkehrswegen – als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB – also als ein „absolutes Recht“ der Luftverkehrsunternehmen – anerkannt würde. Allein der Umstand, dass die bestreikten Unternehmen wegen der Möglichkeit, Einnahmeausfälle durch Gebührenerhöhungen kompensieren zu können, keine Schäden erlitten hätten, wohl aber die Luftverkehrsunternehmen, ändere daran nichts. Ansprüche scheiterten auch daran, dass, so das LAG, der Gewerkschaft hier zumindest kein Verschulden bezüglich des rechtswidrigen Unterstützungsstreiks vorzuwerfen sei. Sofern ein Arbeitskampf gegen den Flughafenbetreiber immer auch einen unmittelbaren betriebsbezogenen Eingriff in den Gewerbebetrieb der Fluggesellschaften darstellen würde, könne andernfalls jedes kleinste Verschulden einer Gewerkschaft, das den Bereich der Fahrlässigkeit erreiche, zum existentiellen Ende dieser Gewerkschaft führen und damit eine Ge-fährdung der Tarifautonomie darstellen.
Das LAG folgte der Auffassung der Klägerinnen lediglich insofern, als es die besondere Eingriffsempfindlichkeit im Luftverkehr anerkannte. Gleichzeitig betonte es aber, dass Arbeitskämpfe auch im Bereich des Luftverkehrs nicht von vornherein ausgeschlossen seien. Der Eingriffsintensität habe der Beklagte durch den Abschluss einer Notdienstvereinbarung Rechnung getragen.
Eine sittenwidrige Schädigung lag nach Auffassung des LAG ebenfalls fern, da Arbeitskampfmaßnahmen nur bei Hinzutreten besonderer Umstände sittenwidrig sein könnten, etwa wenn sie evident unverhältnismäßig seien oder Zwecke verfolgten, die offenkundig nicht in den Kompetenzbereich der Tarifvertragsparteien fielen.
Fazit
Die genaue Begründung des BAG bleibt abzuwarten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass drittbetroffene Unternehmen streikbedingte Schäden nur schwer mit Aussicht auf Erfolg einklagen können. Dennoch haben Gewerkschaften, wie es das LAG anklingen lässt, vor Ankündigung eines Streiks sorgfältig zu prüfen, ob dieser möglicherweise rechtswidrig ist. Es erscheint nicht zwangsläufig unverhältnismäßig, Gewerkschaften im Fall eines rechtswidrigen Streiks, gerade wenn dieser offenkundig rechtswidrig ist, zum Ersatz der Schäden auch drittbetroffener Unternehmen zu verurteilen.
Vielleicht hat das LAG Hessen – dieselbe Kammer untersagte mit seiner Entscheidung vom 09.09.2015 (Az. 9 SaGa 1082/15) den seitens der Vereinigung Cockpit bei der Lufthansa initiierten Streik als rechtswidrig, da „kein tariflich regelbares Ziel verfolgt werde“ – Gelegenheit, diese Frage weiter zu vertiefen, wenn Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden sollten – auch die von Dritten. Ist die Rechtswidrigkeit eines solchen Streiks wegen Verfolgung eines solchen Ziels offenkundig und damit der Arbeitskampf auch „sittenwidrig“?
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