Adjudikation als Chance für die schnellere und unkomplizierte Beilegung von Baurechtsstreitigkeiten?
Von Clemens Vidal, LL.M. (Hongkong)
Die Dauer baurechtlicher Verfahren vor staatlichen Gerichten und die Kritik daran sind hinlänglich bekannt. Oftmals beginnen die Auseinandersetzungen jedoch nicht erst im Gerichtssaal, sondern bereits auf der Baustelle. Hier droht ein Baustopp, der insbesondere für die häufig zahlreichen Subunternehmer den Weg in die Insolvenz bedeuten kann. Vor diesem Hintergrund bietet sich insbesondere eine gesetzlich normierte Adjudikation als Möglichkeit an, Streitigkeiten bereits auf der Baustelle zu lösen und dadurch langjährige gerichtliche Streitigkeiten zu vermeiden.
Adjudikation zeichnet sich dadurch aus, dass baubegleitend und binnen kurzer Zeit eine vorläufig bindende Entscheidung über eine Streitfrage getroffen wird. Erst auf einer zweiten Stufe wird diese Entscheidung abschließend überprüft. Währenddessen kann das Bauvorhaben aber weitergeführt werden, so dass die Gefahr eines Baustopps verhindert wird.
Das Adjudikationsverfahren ist international bereits seit langem bekannt. Internationalen Großbauvorhaben liegen regelmäßig Verträge der „Fédération Internationale des Ingénieurs Conseils“ (FIDIC) zugrunde. Hierbei handelt es sich um eine Reihe von Musterverträgen, die von einem international besetzten Komitee von Ingenieuren entwickelt wurden. FIDIC-Verträge schreiben die Durchführung eines Adjudikationsverfahrens zwingend vor. Seit 2008 ist in England speziell für den Bereich der Baurechtsstreitigkeiten die „Construction Adjudication“ gesetzlich normiert worden, um baubegleitend Streitigkeiten zu lösen.
Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, die Adjudikation als Mittel der alternativen Streitbeilegung für Bauprozesse einzuführen. Bereits 2008 empfahl der Deutsche Baugerichtstag die gesetzliche Einführung der Adjudikation. Hiergegen gab es zwar zunächst verfassungsmäßige Bedenken, die aber nach Erstellung des sog. Papier-Gutachtens als ausgeräumt gelten dürfen. Dennoch gibt es weiterhin Gegenwind gegen eine gesetzliche Adjudikation – nicht zuletzt von der Anwaltschaft, die um ein einträgliches Geschäftsfeld fürchtet.
Hintergrund und Grundstruktur der Adjudikation als alternatives Verfahren der Beilegung von Baurechtsstreitigkeiten
Um Adjudikation besser zu verstehen, sollte man sich zunächst von der Vorstellung lösen, dass es sich hierbei um ein reines Mittel der Streitlösung handelt. Adjudikation ermöglicht es den Parteien vielmehr, Streitigkeiten bereits während des laufenden Verfahrens beizulegen oder zumindest eine vorläufige Entscheidung zu erhalten, so dass der Baufortschritt nicht beeinträchtigt wird. Es handelt sich somit richtigerweise um ein Mittel des Vertrags- und Anspruchsmanagements.
Bei allen Unklarheiten über die genauen Einzelheiten einer möglichen gesetzlichen Regelung lassen die international bereits existierenden Modelle einige Gemeinsamkeiten erkennen. Bei der Adjudikation handelt es sich um ein wenig formalistisches, summarisches Verfahren, das typischerweise ad hoc eingeleitet wird. Kommt es zum Streit, wird ein Adjudikator bestellt. Dies kann beispielsweise ein Bausachverständiger, Bauingenieur oder ein Jurist sein. Bei komplexeren Sachverhalten können die Parteien auch ein aus drei Adjudikatoren bestehendes Board (sogenanntes Dispute Adjudication Board – DAB) bestellen. Nur bei Großbauvorhaben dürfte es sich anbieten, bereits bei Vertragsschluss ein aus drei Adjudikatoren bestehendes DAB zu bestellen, deren Mitglieder das Bauvorhaben ständig begleiten (sogenanntes Standing Board). Für die alltäglichen Streitigkeiten auf dem Bau dürfte ein solches Vorgehen jedoch nicht erforderlich sein.
Der Adjudikator trifft innerhalb einer vorgegebenen Frist eine vorläufig bindende Entscheidung über die Streitfrage. Die Entscheidung des Adjudikators erhalten die Parteien beispielsweise in England binnen 28 Tagen. Nach Erhalt der Entscheidung des Adjudikators kann die unterlegene Partei hiergegen – oder bei teilweisem Unterliegen auch beide Parteien – eine sogenannte Notice of Dissatisfaction abgeben, mit der sie anzeigt, dass sie mit der Entscheidung nicht einverstanden ist und die Entscheidung abschließend überprüfen lassen möchte.
Gibt eine Partei eine Notice of Dissatisfaction ab, so wird diese abschließende Entscheidung von einem Schiedsgericht oder, wie in England, von einem staatlichen Gericht getroffen. Regelmäßig hat das (Schieds-)Gericht nur noch über Schadensersatzansprüche der unterlegenen Partei zu entscheiden, da aufgrund der vorläufig bindenden Entscheidung des Adjudikators der Bau bereits fortgesetzt wurde. Wird innerhalb der vorgegebenen Frist hingegen keine Notice of Dissatisfaction abgegeben, so wird die bislang nur vorläufig bindende Entscheidung abschließend wirksam.
Derzeitiges Instrumentarium zur Beilegung von Baustreitigkeiten des deutschen Baurechts
Bereits die vorhandenen Gesetze geben den Parteien eines Bauvorhabens ein umfangreiches Instrumentarium an die Hand, durch die Konflikte gelöst werden können. Häufig greifen diese Instrumentarien aber erst ein, wenn die Parteien keinen anderen Weg als den Weg vor das Gericht sehen und verfolgen deshalb einen anderen Ansatz als die Adjudikation.
Aber auch die außergerichtliche Streitbeilegung bietet Mittel und Wege an, um Streitigkeiten ohne den Gang vor den Kadi zu entscheiden. So können Streitfragen durch ein Schiedsgutachten abschließend verbindlich entschieden werden. Sollte hier jedoch eine Partei das Schiedsgutachten gerichtlich angreifen, kann sich dieses Verfahren ebenfalls lang hinziehen. Daneben bieten Institutionen wie die DIS Schlichtungs- und Mediationsordnungen an, durch die Streitigkeiten ebenfalls außergerichtlich beigelegt werden können.
Gegenläufige Entwicklungen
Als Alternative zu dieser „alternativen“ Form der Streitbeilegung mittels Adjudikation wird die Einführung einer neu in die ZPO einzuführenden Bauverfügung diskutiert. Diese soll es am Bauvorhaben beteiligten Parteien ermöglichen, eine vorläufige Entscheidung durch einen Richter zu erhalten. Die Bauverfügung hätte den mit der Adjudikation vergleichbaren Wunsch einer Beschleunigung des Gerichtsprozesses bei gleichzeitiger Gewährleistung des gesetzlichen Richters gemeinsam. Dass die bereits zu diesem Zeitpunkt chronisch überlasteten Gerichte dieser Aufgabe gewachsen wären, darf aber bezweifelt werden.
Nicht zu unterschätzen ist auch, wie wichtig es ist, eine technische (Streit-)Frage mit einem Bausachverständigen zu diskutieren und eine Entscheidung durch ihn zu erhalten. Sicherlich wird ein Bausachverständiger nicht denselben Wert auf eine Klärung von juristischen Fragen wie beispielsweise der Verjährung wie ein Richter legen. Eine von einem Sachverständigen getroffene Entscheidung gibt den an einem Bauvorhaben beteiligten Parteien dafür das Gefühl, eine technisch fundierte, pragmatische Lösung erhalten zu haben – und das binnen kurzer Zeit.
Fazit
Der ganz wesentliche Vorteil der Adjudikation gegenüber den vorhandenen Mitteln der Streitbeilegung im Bauprozess ist, dass Streitigkeiten schnell – binnen einer vorgegebenen Zeit – zumindest vorläufig entschieden werden und damit ein Baustopp verhindert wird. Der Streit über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung wird auf einen späteren Zeitpunkt verlagert.
Auch wenn sich die Adjudikation sicher nicht für alle Bauprojekte eignet, so könnte sie doch derzeit vorhandene Lücken im Instrumentarium des Baurechts schließen und würde eine sinnvolle Ergänzung darstellen.
Clemens Vidal, LL.M. (Hongkong), Rechtsanwalt, Mannheimer Swartling, Frankfurt am Main
clv@msa.se
www.mannheimerswartling.de
Hinweis der Redaktion: Praxisbezogene Themen der alternativen Streitbeilegung und insbesondere auch der Schiedsgerichtsbarkeit behandelt das neue Online-Magazin DisputeResolution. Siehe dazu HIER