Versicherungspflicht von Unternehmensjuristen in der allgemeinen Rentenversicherung vs. Mitgliedschaft im Versorgungswerk
Von Dr. Oliver Bertram

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Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich zuletzt mit mehreren Entscheidungen – zum einen vom 31.10.2012 (Az. B 12 R 8/10 R, B 12 R 3/11 R und B 12 R 5/10 R) und zum anderen vom 03.04.2014 (Az. B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R) – zu der Frage geäußert, unter welchen Voraussetzungen ein Mitglied der freien Berufe gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden kann, weil der jeweilige Freiberufler Mitglied in dem für seine Berufsgruppe bestehenden Versorgungswerk ist.

Entscheidungsgegenstand waren jeweils Befreiungsanträge von Rechtsanwälten, für die eine Mitgliedschaft in dem jeweiligen Versorgungswerk der Rechtsanwälte bestand. Zu der Frage der Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf andere Freiberuflergruppen als Rechtsanwälte ist bislang jedoch noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen. Die rechtliche Ausgangslage dürfte jedoch weitestgehend gleichgelagert sein.

Zwar sind von den jüngsten Entscheidungen des BSG aus 2014 jeweils die Urteilsgründe noch unveröffentlicht. Es liegt jedoch eine umfangreiche Pressemitteilung des Gerichts vor, der die Tragweite dieser neuen Rechtsprechung bereits entnommen werden kann.

Enger Tätigkeitsbezug einer Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht

Zunächst hat das BSG in seinen 2014er Entscheidungen eine von den Landessozialgerichten Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zuletzt noch unterschiedlich beantwortete Frage abschließend geklärt. Danach kann der in einem Unternehmen/Verband mit „Haupttätigkeit“ angestellt beschäftigte Syndikusanwalt nicht allein mit einer „Nebentätigkeit“ in seinem klassischen Berufsfeld eine Mitgliedschaft in seinem jeweiligen Versorgungswerk begründen, um damit für die „Haupttätigkeit“ als Unternehmens-/Verbandsmitarbeiter von der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit zu werden. Vielmehr muss gegebenenfalls für „Haupttätigkeit“ und die „Nebentätigkeit“ eine gesonderte Befreiung von der gesetzlichen Versicherungspflicht in der allgemeinen Rentenversicherung bewirkt werden.

Das BSG begründet dies vorrangig mit dem Wortlaut der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmung des allgemeinen Rentenversicherungsrechts (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Diese lautet wörtlich wie folgt:

„§ 6 – Befreiung von der Versicherungspflicht

(1) Von der Versicherungspflicht werden befreit

1. Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind.“

Das Gesetz verlangt nach Auffassung des BSG eine Deckungsgleichheit zwischen der Tätigkeit, wegen der die Mitgliedschaft im Versorgungswerk besteht – also der Rechtsanwaltstätigkeit – und der Tätigkeit, für welche die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht beantragt wird. Damit ist eine in der Vergangenheit häufig anzutreffende Befreiungspraxis, bei der ein in ein/en Unternehmen/Verband eintretender Rechtsanwalt sich in das Versorgungswerk „retten“ konnte, indem er als „Nebentätigkeit“ – oftmals nur „auf dem Papier“ – in seinem klassischen Berufsfeld tätig wurde, für die Zukunft nicht mehr gangbar.

Weitgehende Einschränkung der Befreiungsmöglichkeit

Das BSG hat am 03.04.2014 aber noch viel weitgehender entschieden, dass ein angestellter Rechtsanwalt, der nicht als angestellter Rechtsanwalt in seinem „klassischen“ Berufsfeld in einer Rechtsanwaltskanzlei, sondern in einem Unternehmen oder einem Verband tätig ist, sich für diese Angestelltentätigkeit nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen könne, da eben diese Angestelltentätigkeit nicht zugleich seine Pflichtmitgliedschaft in dem berufsständischen Versorgungswerk seines jeweiligen Berufsstandes begründe. Der Charakter der weisungsgebundenen Angestelltentätigkeit stehe a priori der Eigenschaft als Rechtsanwalt im berufsrechtlichen Sinne entgegen. Soweit daher ein Jurist im sozialversicherungsrechtlichen Sinn abhängig beschäftigt sei, könne er für diese Tätigkeit nicht zugleich als Rechtsanwalt im berufsrechtlichen Sinne qualifiziert werden; einzige Ausnahme könne die anwaltliche Tätigkeit in einer Rechtsanwaltskanzlei sein.

Die Weisungsgebundenheit, durch welche die allgemeine Sozialversicherungspflicht (auch in der allgemeinen Rentenversicherung) der jeweiligen Tätigkeit im Unternehmen/Verband begründet werde, stehe der Annahme entgegen, dass dieselbe Tätigkeit als freiberufliche Tätigkeit zu qualifizieren sein könnte. Daher könne jeweils nur eines gegeben sein – entweder eine Versicherungspflicht in den allgemeinen Versicherungssystemen aufgrund einer abhängigen, weisungsgebundenen Beschäftigung oder eine freiberufliche Tätigkeit mit entsprechender Versicherungspflicht im berufsständischen Versorgungswerk.

Ausnahme: angestellter Rechtsanwalt in einer Rechtsanwaltskanzlei

Diese „Entweder-oder-Bedingtheit“ will das BSG lediglich dann nicht als gegeben erachten, wenn der Rechtsanwalt gegebenenfalls auch als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer in seinem „klassischen“ Berufsfeld in einer Rechtsanwaltskanzlei tätig ist. Die Begründung hierzu ist in der bislang lediglich vorliegenden Pressemitteilung nur sehr knapp gehalten. Offensichtlich stellt das BSG darauf ab, dass in diesem Fall auch der Arbeitgeber des Rechtsanwalts an die einschlägige Berufsordnung gebunden sei, die eine in Fragen der inhaltlichen Berufsausübung weisungsfreie Berufsausübung vorschreibe. Diese berufsrechtliche Bindung des Arbeitgebers soll offensichtlich die Weisungsgebundenheit des angestellten Rechtsanwalts so weit einschränken, dass es anerkannt werden könne, dass dieser Angestellte tatsächlich eine freiberufliche Tätigkeit ausübe. Somit käme es in diesem Fall der Tätigkeit unter Geltung der jeweiligen Berufsordnung (ausnahmsweise) zu einem Zusammenfallen von abhängiger Beschäftigung im Sinne der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherungspflicht auf der einen und Rechtsanwaltstätigkeit mit entsprechender Mitgliedschaftsbindung im Versorgungswerk auf der anderen Seite.

Diese Begründung ist jedoch auch für Rechtsanwaltskanzleien nicht unproblematisch, besonders für die sogenannten „Law Firms“, in denen sich Tätigkeitsbilder (etwa sogenannte „Knowledge-Lawyer“ oder „Support-Lawyer“) für angestellte Rechtsanwälte etabliert haben, die mit der „klassischen“ Berufsausübung nicht mehr zwingend übereinstimmen. Soweit diese Rechtsanwälte Mitglied des Versorgungswerks und zugleich von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht in der allgemeinen Rentenversicherung befreit sind, wird in jedem Einzelfall zu prüfen sein, inwieweit diese den entsprechenden berufsrechtlichen Vorgaben unterfallen. Dies muss jedoch jeweils wiederum tätigkeitsbezogen individuell ermittelt werden.

Reichweite von Befreiungsanträgen

Bereits mit seinen Entscheidungen vom 31.10.2012 hatte das BSG klargestellt, dass eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung jeweils für jede einzelne ausgeübte Tätigkeit gesondert erwirkt werden muss. Die Befreiung von der allgemeinen Rentenversicherungspflicht ist somit nicht personengebunden; nicht der Rechtsanwalt ist von der Versicherungspflicht befreit, sondern nur die von ihm konkret ausgeübte Tätigkeit.

Von Bedeutung ist diese Rechtsprechung vor allem für die Reichweite etwaiger in der Vergangenheit bereits ergangener Befreiungsbescheide. Diese sind – und dies ist von entscheidender Bedeutung – jeweils nur für die konkrete Tätigkeit erteilt, für welche die Befreiung beantragt wurde. Eine für eine „Nebentätigkeit“ beantragte Befreiung wirkt nicht für die „Haupttätigkeit“. Aber zugleich führen auch jeglicher inhaltliche Tätigkeitswechsel bei demselben Arbeitgeber ebenso wie der Wechsel des Arbeitgebers (mit oder ohne einen gleichzeitigen inhaltlichen Tätigkeitswechsel) zu einem Wegfall der ­Befreiung und einem Aufleben der gesetzlichen Versicherungspflicht in der allgemeinen Rentenversicherung. Für jeden Rechtsanwalt, aber auch für den Arbeitgeber jedes Rechtsanwalts außerhalb der jeweiligen „klassischen“ Berufsfelder ist es daher aktuell vorrangig, die Reichweite der ihm gegenüber bislang ergangenen Befreiungsbescheide zu prüfen und somit zu hinterfragen, ob die aktuell ausgeübte, aber auch die in dem unverjährten Zeitraum seit dem 01.01.2010 ausgeübte Tätigkeit jeweils konkret von der gesetzlichen Versicherungspflicht in der allgemeinen Rentenversicherung befreit wurden.

Für die Zukunft begründen das Zusammenspiel der Entscheidungen des BSG aus 2012 und 2014 indes einen „goldenen Käfig“ für bislang von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreite Rechtsanwälte, seien sie im Unternehmen/Verband oder noch „klassisch“ in einer Rechtsanwaltskanzlei beschäftigt. Jeder zukünftige Wechsel in eine Unternehmens- oder Verbandstätigkeit führt nunmehr dazu, dass (1.) die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht endet und ein neuer Befreiungsantrag gestellt werden muss, dieser Befreiungsantrag sich (2.) auf die zukünftig ausgeübte „Haupttätigkeit“ im Unternehmen oder Verband beziehen muss und nicht aus einer anwaltlichen „Neben­tätigkeit“ heraus begründet werden kann und (3.) abgewiesen werden wird, soweit eine angestellte Tätigkeit als Arbeitnehmer ausgeübt wird. Dies hat sehr weitgehende Auswirkungen auf die Karriereplanung zahlreicher Juristen, wird doch der Wechsel in eine Unternehmens- oder Verbandstätigkeit auf diese Weise deutlich unattraktiver.

Vertrauensschutz

Das BSG hat in seinen Entscheidungen vom 03.04.2014 bereits darauf hingewiesen, dass Befreiungsbescheide, die hinsichtlich der tatsächlich ausgeübten Haupttätigkeit ergangen sind und eben diese Tätigkeit von der gesetzlichen Versicherungspflicht in der allgemeinen Rentenversicherung befreit haben, Vertrauensschutz genießen. Dies verdeutlicht nochmals, dass es in jedem Einzelfall auf die Reichweite des jeweils ergangenen Befreiungsbescheids ankommt. Zugleich verdeutlicht dies nochmals die engen Grenzen des „Goldenen Käfigs“, da nur für die aktuell ausgeübte und befreite Tätigkeit Vertrauensschutz besteht. Hier geht das BSG sicherlich nicht weit genug, denn Vertrauensschutz muss die Entscheidung für den Versorgungszweig des Versorgungswerks genießen, zumal die Versicherungssysteme der allgemeinen Rentenversicherung und der Versorgungswerke in keiner Weise synchronisiert sind. Ein Wechsel des Versorgungssystems hat somit zwingend eine Entwertung der bereits zurückgelegten Versicherungszeiten zur Folge.

In Ansehung der Rechtsprechung des BSG vom 31.10.2012, mit der der ausschließliche Tätigkeitsbezug einer jeden Befreiung zugrunde gelegt wurde, hatte die Deutsche Rentenversicherung aus Gründen des Vertrauensschutzes noch die Möglichkeit eingeräumt, noch nicht einschlägig befreite Tätigkeiten unter bestimmten Voraussetzungen nachträglich noch befreien zu lassen. Zugleich sollte auf die Erhebung von Versicherungsbeiträgen für die nicht befreiten Zwischenzeiträume verzichtet werden, um die Einheitlichkeit der rentenversicherungsrechtlichen Handhabung der jeweiligen Berufstätigkeit zu gewährleisten. Aufgrund der nunmehr ergangenen Rechtsprechung vom 03.04.2014 dürfte diese rückwirkende Handhabung allenfalls noch unter den von dem BSG aufgestellten Bedingungen gewährt werden.

Mögliche finanzielle Folgen für den Arbeitgeber – Rückgriff auf den Syndikus?

Aus den dargestellten Entscheidungen des BSG folgt, dass für den Zeitraum der letzten vier unverjährten Kalenderjahre, also für den Zeitraum seit dem 01.01.2010, Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von jährlich bis zu 14.000 Euro (Kappung durch die Beitragsbemessungsgrenze) pro Person nachzuzahlen sein könnten, soweit keine einschlägigen Befreiungen für die jeweilige Tätigkeit vorliegen. Bedenkt man, dass derzeit rund 40.000 Syndikusanwälte in Deutschland beschäftigt sind, summiert sich dieses Nachzahlungsrisiko auf mehr als 2 Milliarden Euro (14.000 Euro p.a. x 40.000 x vier Jahre). Hieran wird die finanzielle Tragweite dieser Rechtsprechung, aber auch das fiskalische Interesse der Deutschen Rentenversicherung erkennbar. Eine politische Vertrauensschutzregelung wird sich mit dieser wirtschaftlichen Komponente auseinandersetzen und diese berücksichtigen müssen. Dies macht eine politische Lösung im Sinne der Syndici nicht wahrscheinlicher.

Das Nachzahlungsrisiko würde sich jährlich um die entsprechende Summe erhöhen, da der jeweilige Arbeitgeber sich zukünftig aufgrund der nunmehr ergangenen Rechtsprechung erst nach Ablauf von 30 Jahren auf Verjährung berufen könnte. Das entsprechende Nachzahlungsrisiko trägt indes allein der Arbeitgeber als gesetzlicher Abführungsverpflichteter für den Sozialversicherungsbeitrag. Eine Erstattungspflicht in Bezug auf den Arbeitnehmeranteil des Rentenversicherungsbeitrags besteht zu Lasten des angestellten Rechtsanwalts nur für die jeweils letzten drei Beschäftigungsmonate.
Unbeachtet geblieben ist bislang jedoch die Frage, ob der Arbeitgeber gegenüber dem Syndikus einen Anspruch auf Rückzahlung der in den vergangenen Jahren geleisteten Versorgungswerkbeiträge hat. Gegenüber dem Arbeitgeber dürfte insoweit regelmäßig kein Bei-tragsbescheid ergangen sein, so dass – mangels gesetzlicher Verpflichtung zu Erstattung eines Arbeitgeberanteils an dem Versorgungswerksbeitrag – der Arbeitgeber entsprechende Zahlungen ohne Rechtsgrund geleistet hätte. Könnte daher nicht der Arbeitgeber gegenüber dem Versorgungswerk die Rückzahlung des dorthin geleisteten Beitrags verlangen? Die sodann aus dem jeweiligen gegenüber dem Syndikus ergangenen Beitragsbescheid resultierenden Beitragspflichten würden in der Folge wieder aufleben, sodass zunächst der Syndikus nachzahlungsverpflichtet wäre. Einem entsprechenden Nachzahlungsverlangen des Versorgungswerks könnte sodann jedoch möglicherweise ein Schadenersatzanspruch wegen eines Beratungs- und Auskunftsverschuldens entgegengehalten werden. Auf diesem Wege wären die finanziellen Nachzahlungsfolgen interessengerecht allokiert. Einen Nachzahlungsschaden hätte weder der Arbeitgeber noch der Syndikus zu tragen.

Hinweis der Redaktion: Siehe zu diesem Thema auch Huff, DeutscherAnwaltSpiegel 9/2014.

o.bertram@taylorwessing.com

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