Auswirkungen des Brexit-Entscheids auf Gesellschaftsrecht und M&A-Transaktionen
Von Dr. Hermann J. Knott, LL.M. (UPenn), und Dr. Martin Winkler
Einführung
Der Ausgang des Referendums zum Brexit hat Schockwellen auf politischer, wirtschaftlicher und finanzieller Ebene ausgelöst. Wie die Verhandlungen zu einer Neuregelung des Verhältnisses der EU zu dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland ausgehen, ist derzeit nicht absehbar, weder was den Zeitpunkt, noch was die Inhalte betrifft. Das Referendum zum Brexit betrifft nicht nur Unternehmen, die ihren Hauptsitz in einem EU-Staat haben. Der Brexit wirkt sich auch auf Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU aus, wenn sie eine Tochtergesellschaft oder eine Niederlassung in einem EU-Mitgliedstaat unterhalten, aber auch wenn sie ihre Waren und Dienstleistungen aus der EU ins Vereinigte Königreich exportieren oder von dort importieren. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die Auswirkungen des Brexits auf das Gesellschaftsrecht und auf M&A-Transaktionen näher beleuchtet werden.
Brexit und Gesellschaftsrecht
Aufgrund der Niederlassungsfreiheit müssen Gesellschaften aus einem Mitgliedstaat der EU von dem Mitgliedstaat, in dem sie sich niederlassen, gemäß Art. 49 und 54 AEUV anerkannt werden. Dieser Grundfreiheit entspringt auch das Recht auf Inländergleichbehandlung, so dass eine EU-Gesellschaft, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen will, so behandelt werden soll wie die dort niedergelassenen. Infolgedessen hat die Gesellschaft vor den Gerichten der anderen Mitgliedstaaten Rechts- und Parteifähigkeit; auch die Haftungs- und Mindestkapitalvorschriften des Gründungsstaates finden Anwendung. Um die Niederlassungsfreiheit genießen zu können, müssen Gesellschaften wirksam und rechtmäßig in einem Mitgliedstaat gegründet worden sein und ihren Hauptsitz ebenfalls in einem Mitgliedstaat haben.
Soweit die EU keine Einigung mit dem Vereinigten Königreich über die Niederlassungsfreiheit erzielt, wird diese mit dem Austritt entfallen. Demzufolge könnten auch grenzüberschreitende Verschmelzungen, Formwechsel und Spaltungen nicht mehr durchgeführt werden, soweit britische Gesellschaften mit einbezogen sind. Sollte die Niederlassungsfreiheit nicht aufrechterhalten werden, stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage britische Gesellschaften in Zukunft in Deutschland anerkannt werden.
Wenn in Entscheidungen des EuGH die Anerkennung einer EU-Gesellschaft relevant ist, somit also das auf diese Gesellschaft anwendbare Recht zu bestimmen ist, folgt das Gericht der Gründungstheorie. Es wendet das Recht des Staates an, in dem die Gesellschaft errichtet wurde, während nach der Sitztheorie der tatsächliche Verwaltungssitz des Unternehmens maßgebend ist. Letztere Theorie wird regelmäßig vom BGH auf Drittstaatgesellschaften angewandt. Wenn der effektive Sitz der Gesellschaft also nicht in der Jurisdiktion liegt, in der die Gesellschaft ursprünglich gegründet wurde, betrachtet der BGH die juristische Person als Scheinauslandsgesellschaft (Pseudo Foreign Corporation) und wendet das deutsche Gesellschaftsrecht an (BGH „Trabrennbahn“, NJW 2009, 289). Dadurch wird die Gesellschaft als rechtsfähige deutsche Personengesellschaft angesehen, was für die Gesellschafter insbesondere Haftungsrisiken mit sich bringt. Sie profitieren nicht mehr von dem Schutz ihrer haftungslimitierten Gesellschaft, sondern haften fortan unbeschränkt und persönlich. Folglich wird das Interesse an den beliebten UK Ltd. nur fortbestehen, wenn die Neuregelungen im Verhältnis zum Vereinigten Königreich in Bezug auf britische Gesellschaften die Anwendung der Gründungstheorie bestimmen.
Sollte das Vereinigte Königreich dem EWR beitreten, würden britische Gesellschaften weiterhin von der Niederlassungsfreiheit profitieren. Auch sind in diesem Fall gemäß §122a UmwG grenzüberschreitende Verschmelzungen sowie grenzüberschreitende Formwechsel möglich (EuGH „Vale“, 12.07.2012, C-378/10; zuletzt KG, Beschluss vom 21.03.2016, 22 W 64/15). Ist dies jedoch nicht der Fall und gibt es auch keine bilateralen Abkommen mit dem Vereinigten Königreich zu diesem Thema, wird der BGH wahrscheinlich, wie im Verhältnis zu der Schweiz, die die Niederlassungsfreiheit nicht anerkannt hat, die Sitztheorie anwenden. Solange Großbritannien noch der EU angehört, sollten Gesellschafter also einen identitätswahrenden Formwechsel der bestehenden britischen in eine Gesellschaft eines anderen EU-Staats in Betracht ziehen, um ihre Anerkennung in anderen EU-Staaten nach einem Brexit zu sichern.
Europäische Aktiengesellschaften (SEs), die im Vereinigten Königreich gegründet worden sind, verlieren ihre Rechtsgrundlage, wenn die Nachfolgeregelungen im Verhältnis zwischen dem UK und der EU diesbezüglich nichts anderes vorsehen. Wenn diese SEs also im UK fortbestehen sollen, werden sie einen Formwechsel nach englischem Recht vornehmen müssen. Alternativ können sie, solange das Vereinigte Königreich noch zur EU gehört, gemäß Art. 8 VI SE-VO ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, ohne dass dieser Vorgang zu einer Auflösung oder Gründung einer neuen juristischen Person führen würde.
Auswirkungen des Brexits auf M&A-Transaktionen
Infolge des Brexits wird das kurzfristige M&A-Marktumfeld weiterhin von starker Unsicherheit geprägt sein. Schon vor der Abstimmung waren die M&A-Aktivitäten mit Bezug zum Vereinigten Königreich deutlich zurückgegangen. Allerdings können sich aus einer möglichen Pfund-Abwertung auch Chancen für ausländische Investoren ergeben, weil dann der Kaufpreis für britische Unternehmen sinkt. Wie es bei M&A-Transaktionen mit Bezug zum Vereinigten Königreich längerfristig weitergeht, hängt entscheidend vom Ausgang der Verhandlungen über das Austrittsabkommen zwischen dem UK und der EU ab.
Der für M&A-Transaktionen maßgebliche Rechtsrahmen wird sich bis zum Abschluss der Verhandlungen des Austrittsabkommens nicht ändern. Für die Zeit danach kann man derzeit lediglich Prognosen aufstellen: Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass sich der gesamte Rechtsrahmen für M&A-Transaktionen grundlegend ändern wird. Im Detail können sich jedoch in den durch EU-Verordnungen regulierten Bereichen Änderungen ergeben.
Unternehmenszusammenschlüsse fallen derzeit unter die EU-Fusionskontrollverordnung, wenn sie eine EU-weite Dimension haben, was unter anderem vom gemeinschaftsweiten Umsatzvolumen abhängt. Eine der insoweit relevanten Schwellen ist ein gemeinschaftsweiter Umsatz der beteiligten Unternehmen von 2,5 Milliarden Euro. Künftig stellt sich die Frage, ob nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs die alleinige Zuständigkeit der Europäischen Kommission für die Genehmigung bzw. Untersagung des Zusammenschlusses entfällt und stattdessen die Parteien ein paralleles Genehmigungsverfahren im Vereinigten Königreich durchlaufen müssen, mit anderen Worten, ob das Prinzip des „One-Stop-Shops“ für Großbritannien nicht mehr gilt. Diese Frage wäre zu bejahen, sollte im Austrittsabkommen keine anderweitige Regelung getroffen werden. Das würde die Transaktionskosten erhöhen. Zwar gibt es im Vereinigten Königreich keine gesetzliche Verpflichtung zur vorherigen Anmeldung eines Fusionsvorhabens. Um das Risiko eines nachträglichen Einschreitens der britischen Kartellbehörde zu vermeiden, melden Unternehmen, deren Zusammenschluss sich substantiell auf den britischen Markt auswirken könnte, diesen aber auch derzeit schon vorsorglich auf freiwilliger Basis bei der zuständigen Behörde an. Bei einer Entkoppelung des britischen Fusionskontrollrechts vom europäischen entsteht zudem das Risiko, dass die europäische und die britische Kartellbehörde im selben Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Dieses Risiko kann durch einen Informationsaustausch zwischen den Kartellbehörden verringert werden; zum Netz der europäischen Kartellbehörden (European Competition Network) wird die britische Behörde dann aber nicht mehr gehören. Ein Beitritt zum EWR hat für die Unternehmen den Vorteil, dass die Freigabe eines Zusammenschlusses durch die Europäische Kommission sich – wie heute – auch auf Großbritannien erstrecken würde. Das dürfte die Brexit-Befürworter überraschen, die die „norwegische Lösung“ für ihr Anliegen ins Feld geführt hatten. In der Fusionskontrolle führt die „norwegische Lösung“ nämlich zu weniger und nicht zu mehr Kompetenzen für Großbritannien.
Im Hinblick auf Transaktionen zwischen börsennotierten Unternehmen sind keine Änderungen im Vergleich zur bisherigen Rechtslage zu erwarten. Das EU-Übernahmerecht ist vom City Code of Takeovers and Mergers geprägt, so dass die Regelungen im Übernahmerecht, auch wenn sie künftig voneinander abweichen können, zunächst ähnlich bleiben.
Mit Blick auf grenzüberschreitende M&A-Transaktionen wird mit dem Brexit die Geltung der Verordnung Nr. 593/2008 (EG) – Rom I – über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht im Verhältnis zum Vereinigten Königreich enden. Als Folge dürfte es aber nicht zu wesentlichen Rechtsänderungen kommen, denn die Rom-I-Verordnung basiert auf dem seit langem im internationalen Rechtsverkehr etablierten Grundsatz der Parteiautonomie oder, falls eine Rechtswahl fehlt, auf dem Grundsatz, nach dem das Recht derjenigen Partei zur Anwendung kommt, die die vertragscharakteristische Leistung erbringt.
Außerdem stellt sich mit Bezug auf noch nicht vollzogene M&A-Transaktionen mit Beteiligung eines britischen Unternehmens derzeit die Frage, ob bereits das Ergebnis des Referendums eine wesentliche Änderung der vertraglichen Grundlage (MAC) darstellt. Diese Frage ist aber nur relevant, soweit sich die MAC-Klausel auf Veränderungen der allgemeinen Marktbedingungen bezieht, also nicht nur von unternehmensspezifischen Veränderungen abhängt (sog. Market-MAC). Hier kommen der Verfall des Wechselkurses des Britischen Pfunds sowie die Änderung der Bewertungen von Unternehmen wegen des Brexit-Entscheids in Betracht.
hermann.j.knott@luther-lawfirm.com
martin.winkler@luther-lawfirm.com
Hinweis der Redaktion: Die Verfasser danken Frau stud. jur. Charlotte Sillem für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags. (tw)
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