Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen Aufsichtsratsmitglieder
Von Dr. Annedore Streyl und Dr. Martin Greiser
Ausgangsfall
Eine börsennotierte Aktiengesellschaft (Klägerin) klagte gegen ein Aufsichtsratsmitglied (Beklagter) wegen des Verjährenlassens von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegen ein Vorstandsmitglied gemäß §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 2, 6 AktG (BGH, Urteil vom 18.09.2018 – Az. II ZR 152/17 (OLG Düsseldorf).
Dem liegt zugrunde, dass der Beklagte im Jahr 2002 27,4% der Aktien an der zu dieser Zeit insolvenzreifen Klägerin erwarb. Zugleich war er von 2002 bis 2013 Vorsitzender des Aufsichtsrats der AG. 2002 schloss die Klägerin mit ihren finanzierenden Banken einen Vergleich über deren Ansprüche, der die Zahlung eines Ablösebetrags gegen Verzicht auf den Restsaldo und die Freigabe von Drittsicherheiten vorsah. Diesem Vergleich trat der Beklagte bei und erklärte sich zur Zahlung des hälftigen Ablösebetrags bereit. Dies war eine Gegenleistung für die Abtretung von Kaufpreisansprüchen aus der Veräußerung von GmbH-Geschäftsanteilen durch die Klägerin an den Beklagten.
In den Jahren 2002 und 2003 leistete die Klägerin Zahlungen an den Beklagten, die nach ihrer (späteren) Auffassung teilweise eine unzulässige Einlagenrückgewähr und teilweise eine verbotene Rückzahlung eigenkapitalersetzender Darlehen – nach damaliger Rechtsprechung – darstellten. Die Klägerin verfolgte gleichwohl diesbezüglich keine Schadensersatzansprüche gegen ihren Vorstand; die Ansprüche gegen den Vorstand verjährten im Jahr 2008. Die Klägerin begehrte nun von dem Beklagten die Rückerstattung der vorgenannten Zahlungen. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen und verwies darauf, dass sämtliche denkbaren Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten wegen der Zahlungen jedenfalls verjährt seien. Die Verjährung habe bereits mit der Vornahme der Auszahlungen, also 2002/2003, begonnen und nicht erst mit der Verjährung der Ansprüche gegen den damaligen Vorstand der AG.
Entscheidung
Die Revision beim BGH hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Etwaige Ansprüche gegen den Beklagten seien nicht verjährt.
Zur Begründung führte der BGH aus, dass der Beklagte als Aufsichtsratsmitglied verpflichtet gewesen sei, eigenverantwortlich das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern aus ihrer organschaftlichen Tätigkeit zu prüfen und bestehende Ansprüche im Regelfall zu verfolgen. Diese Verpflichtung ergäbe sich aus der Aufgabe des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen, wovon – so der BGH – auch in der Vergangenheit liegende Geschäftsvorgänge erfasst würden, sowie daraus, dass der Aufsichtsrat die AG gegenüber Vorstandsmitgliedern gerichtlich und außergerichtlich vertrete.
Kommt ein Aufsichtsratsmitglied dieser Pflicht nicht nach, kann es der AG nach §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet sein. Die Verjährung dieses Anspruchs beginnt nach allgemeinen Grundsätzen gemäß § 200 Satz 1 BGB mit der Entstehung des Anspruchs. Dies war nach Auffassung des BGH vorliegend der Zeitpunkt, in dem etwaige Ersatzansprüche der AG gegen den Vorstand wegen der streitgegenständlichen Verhandlungen verjährten. Bis zum Eintritt der Verjährung sei die gebotene Geltendmachung durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrats nämlich noch nachholbar und damit offen, ob ein pflichtwidriges Verhalten des Aufsichtsrats zu einem Schaden führt.
Die BGH-Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn für die Haftung des GmbH-Geschäftsführers gemäß § 43 Abs. 3 GmbHG bei Rückforderungsansprüchen der Gesellschaft nach § 31 Abs. 1 GmbHG wegen verbotener Auszahlungen sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Im GmbH-Recht mache sich ein Geschäftsführer, der wegen einer verbotenen Auszahlung haftet und dann den Erstattungsanspruch nach § 31 Abs. 1 GmbHG gegen den Zahlungsempfänger verjähren lässt, wegen dieser zweiten Pflichtwidrigkeit nicht erneut schadensersatzpflichtig. Neben der fünfjährigen Verjährungsfrist nach § 43 Abs. 4 GmbHG hinsichtlich des Ersatzanspruchs gegen den Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 3 GmbHG beginne folglich keine zweite Verjährungsfrist.
Gegen eine verjährungsrechtliche Gleichbehandlung der Haftung des Aufsichtsrats einer AG wegen des Verjährenlassens von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand aufgrund verbotener Einlagenrückgewähr spreche die besondere Funktion des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan der AG, welche die Pflicht zur Anspruchsverfolgung beinhalte. Aus diesem Grund sei der Pflichtverstoß als Aufsichtsratsmitglied, keine Maßnahmen ergriffen zu haben, um die verbotene Einlagenrückgewähr vorbeugend zu verhindern, von der Pflicht zu unterscheiden, nachträglich Verstöße des Vorstands gegen seine Sorgfaltspflichten gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG und daraus resultierende Ansprüche der Gesellschaft gegen den Vorstand zu verfolgen und durchzusetzen. Letzteres ist nach Auffassung des BGH eine gesonderte Pflicht mit eigenem Prüfungsumfang, die neben der Prüfung, ob Ersatzansprüche in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bestehen, auch eine Bewertung des Prozessrisikos und der Durchsetzbarkeit des Anspruchs beinhaltet. Schließlich umfasst dieses abgestufte Prüfungskonzept des Aufsichtsrats nach Auffassung des BHG auch die Prüfung, ob ausnahmsweise wegen gewichtigerer Interessen und Belange der AG oder aber in besonderen Ausnahmefällen aus anderen Gründen von der Verfolgung des Anspruchs abgesehen werden soll.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts scheidet laut BHG ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten auch nicht deshalb aus, weil dieser sich zur Vermeidung der ihm vorgeworfenen Pflichtverletzung habe selbst bezichtigen müssen. Dem Aufsichtsrat stehe bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegen ein Vorstandsmitglied kein unternehmerisches Ermessen zu; vielmehr sei er einzig dem Unternehmenswohl verpflichtet. Dieses verlange grundsätzlich die Wiederherstellung des geschädigten Gesellschaftsvermögens. Die Art und der Umfang des Verbots einer Pflicht zur Selbstbezichtigung erforderten stets eine einzelfallabhängige Abwägungsentscheidung. Im vorliegenden Fall habe das persönliche Interesse des Beklagten, sich nicht selbst bezichtigen zu müssen, aufgrund seines als Aufsichtsratsmitglied besonderen Pflichtverhältnisses zur Klägerin hinter seiner Pflicht, als Aufsichtsrat Ansprüche gegen den Vorstand im Interesse der Gesellschaft zu verfolgen, zurückzustehen. Der BGH argumentiert, dass es die besondere Überwachungs- und Schutzfunktion des Aufsichtsrats unterlaufen würde, wenn man den Aufsichtsrat bereits dann generell von ihrer Erfüllung freistellen würde, wenn er dadurch eine eigene Pflichtverletzung offenbaren müsste.
Fazit und Praxistipp
Der BGH hebt in diesem Urteil die seit der „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung bekannte aus der Überwachungs- und Schutzfunktion des Aufsichtsrats folgende weitreichende Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats bei Pflichtverletzungen der Organe und ersatzpflichtigem Verhalten hervor. Eine generelle Freistellung von dieser Pflicht in Fällen, die die Offenbarung eigenen Fehlverhaltens betreffen und damit eine Selbstbezichtigung beinhalten könnten, lehnt der BGH unter Verweis auf das besondere Pflichtverhältnis eines Aufsichtsratsmitglieds zur AG ab.
Der BGH legt den Verjährungsbeginn der Haftung des Aufsichtsrats bei Verjährenlassen von Ersatzansprüchen einer AG gegen den Vorstand auf den Zeitpunkt der Verjährung des Ersatzanspruchs der AG gegen den Vorstand fest. Die Erwägungen der BGH-Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn für die Haftung des GmbH-Geschäftsführers wegen des Verjährenlassens von Rückforderungsansprüchen der Gesellschaft wegen verbotener Rückzahlungen werden für nicht auf die AG übertragbar erklärt. Dies führt dazu, dass Aufsichtsratsmitglieder bei Pflichtverletzungen des Vorstands doppelt so lange haften können wie die Vorstandsmitglieder selbst. Während Ersatzansprüche gegen jene nach fünf bzw. zehn Jahren bei börsennotierten Gesellschaften und Kreditinstituten verjähren, beträgt dieser Zeitraum für Aufsichtsratsmitglieder gem. §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 6 AktG demnach bei börsennotierten Gesellschaften (und gem. § 51a Abs. 1 KWG bei Kreditinstituten) 20 Jahre und bei anderen Aktiengesellschaften zehn Jahre.
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