Kehrtwende des BAG: Anforderungen an die Erfüllungswirkung der Urlaubsanrechnung in einer Freistellungserklärung
Von Dr. Eva Rütz und Peter Dworski

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In einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 10.02.2015 – Az. 9 AZR 455/13) beschäftigt sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Frage der Urlaubsgewährung nach fristloser Kündigung. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf die Gestaltung der Freistellungserklärung für eine hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung.

Sachverhalt

Der seit 1987 bei der Beklagten beschäftigte Kläger wurde im Mai 2011 fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31.12.2011 gekündigt.
Zur Freistellung des Klägers enthielt das Kündigungsschreiben folgenden Passus: „Im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung freigestellt.“
Im Rahmen eines Kündigungsschutzstreits einigten sich die Parteien sodann gütlich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf des 30.06.2011. Streitig war im Nachgang daran aber, ob der noch bestehende Urlaubsanspruch des Klägers bereits erfüllt war oder ob die Freistellungserklärung vorliegend ins Leere ging, so dass dem Kläger – nunmehr – ein Urlaubsabgel-tungsanspruch zustand.

Instanzgerichtliche Entscheidungen

Erstinstanzlich konnte der Kläger mit seinem Begehren nicht durchdringen (vgl. ArbG Dortmund, Urteil vom 29.03.2012 – Az. 6 Ca 4596/11). Es stünde dem Kläger kein Urlaubsabgeltungsanspruch zu, weil ihm der zustehende Erholungsurlaub vollständig in Natur gewährt und von ihm genommen worden sei.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm (Urteil vom 14.03.2013 – Az. 16 Sa 763/12) änderte das Urteil des Arbeitsgerichts jedoch (teilweise) ab und verurteilte die Beklagte zur Urlaubsabgeltung des nach Auffassung des LAG noch nicht erfüllten Urlaubsanspruchs.
Entscheidungstragend war, dass die Freistellungserklärung in der Kündigung nicht zu einer Erfüllung des Anspruchs auf Abgeltung der Urlaubsansprüche geführt habe. Das LAG stützte seine Argumentation dabei darauf, dass der Urlaubsanspruch – entgegen der bisher vom BAG vertretenen Auffassung – ein einheitlicher Anspruch sei. Dies folge aus den europarechtlichen Vorgaben. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) bzw. der Vorgängerrichtlinie 93/104/EG gelte die sogenannte Einheitstheorie. Der EuGH behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und den Anspruch auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen einheitlichen Anspruchs. Daraus folgen strenge Anforderungen an die Erfüllung des Urlaubsabgeltungsanspruchs. Beide Komponenten des Urlaubsanspruchs müssten bedient werden, sowohl die Freistellung als auch die Zahlung des Urlaubsentgelts. Anderenfalls komme eine den Urlaubsanspruch erfüllende Freistellung nicht in Betracht.

Entscheidung des BAG

Das BAG hat die Entscheidung des LAG in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung bestätigt. Bisher vertrat das BAG in gefestigter Rechtsprechung, dass der Urlaubsanspruch gerade kein einheitlicher Anspruch sei. Er richte sich (nur) auf die Befreiung von der Arbeitspflicht (siehe dazu mit weiteren Nachweisen BAG, Urteil vom 14.08.2007 – Az. 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473 ff.). Der 9. Senat des BAG geht indes nun davon aus, dass der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers gemäß § 1 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) auf zwei Komponenten gerichtet ist: zum einen die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung zu entbinden, und zum anderen die Verpflichtung, das vereinbarte Urlaubsentgelt zu zahlen. Er vertritt damit ausdrücklich die vormals abgelehnte Einheitstheorie.
Ein Arbeitgeber gewähre deshalb durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben „nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt.“

Fazit und Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG vom 10.02.2015 bedeutet zunächst, rein dogmatisch betrachtet, eine Kehrtwende im Verständnis des BAG vom Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers gemäß § 1 BUrlG. Denn seit 1982 vertrat das BAG die Auffassung, dass der Urlaubsanspruch aus § 1 BUrlG lediglich auf Freistellung gerichtet sei, ohne eine Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung von Entgelt (vgl. BAG, Urteil vom 28.01.1982 – Az. 6 AZR 571/79, BAGE 37, 382 ff.). Nunmehr schließt sich das BAG jedoch der – vor allem auf europäischer Ebene maßgeblichen – Einheitstheorie an, die sowohl Freistellung als auch Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einheitlichen Anspruchs ansieht.
Spannend ist die Entscheidung vor allem aus rein praktischen und nicht (nur) dogmatischen Erwägungen. Es ist nunmehr nicht nur die Frage zu beantworten, welche Anforderungen an eine wirksame unwiderrufliche Freistellung und die damit bezweckte Anrechnung von Urlaubs- und Zeitkontenguthabenansprüchen zu stellen sind, sondern auch die Frage, ob dieses Ziel überhaupt – bei strenger Anwendung der Vorgaben der Rechtsprechung – erreicht werden kann.
Bisher liegen die Entscheidungsgründe des BAG noch nicht vor. Allerdings betonte das LAG – dem das BAG im Ergebnis und, soweit aus der Pressemitteilung ersichtlich, auch in der Begründung gefolgt ist – als Ausfluss des Einheitsprinzips, dass die Zahlung des Urlaubsentgelts vor Urlaubsantritt eine unabdingbare Voraussetzung für die wirksame Urlaubsgewährung sei. Dies wird – trotz der gesetzlichen Vorgabe in § 11 Abs. 2 BurlG – aber nicht der gelebten Praxis entsprechen. Hinzu kommt, dass es in dem Fall einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung lebensfremd wäre zu glauben, dass der Arbeitgeber, der das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund zu beendigen beabsichtigt, rein vorsorglich diesem Arbeitnehmer noch ein Urlaubsentgelt für den Fall zahlt, dass die außerordentliche Kündigung vielleicht nicht hält.
Wäre die Pflicht zur tatsächlichen vorherigen (Aus-)Zahlung des Urlaubsentgelts demnach Voraussetzung, um die Erfüllungswirkung des Urlaubsanspruchs während der unwiderruflichen Freistellung zu erzielen (Anrechnung des Urlaubs während der ordentlichen Kündigungsfrist), lässt sich dieses Ziel kaum erreichen.
Allerdings lässt die Pressemitteilung des BAG hier ein wenig Hoffnung zu, indem darauf abgestellt wird, dass durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben nur dann wirksam Urlaub gewährt wird, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt. Die letzte Alternative ist damit der Rettungsanker für die Erfüllungswirkung der Freistellungserklärung. Es muss bei der Gestaltung der Freistellung für die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung deshalb darauf geachtet werden, dass die Freistellung nicht nur ausdrücklich unwiderruflich erfolgt, sondern auch darauf, dass die Zahlung des Urlaubsentgelts auch ausdrücklich und vorbehaltlos zugesagt wird. Ferner sind in der Freistellungserklärung sowohl der Grund der Freistellung (Erfüllung des Anspruchs auf Urlaub) als auch der konkrete Freistellungszeitraum (Resturlaubstage) anzugeben.

Eva.ruetz[at]luther-lawfirm.com
peter.dworski[at]luther-lawfirm.com

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