Option ausgeübt! – Deutschland erweitert die Prospektausnahmen für Wertpapieremissionen
Von Eric Romba und Dr. Robert Oppenheim
Die Bundesregierung hat am 11.04.2018 den Entwurf eines Gesetzes zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung und zur Anpassung weiterer Finanzmarktgesetze beschlossen. Der Entwurf sieht vor, dass Anbieter von öffentlichen Wertpapieremissionen von der Pflicht zur Prospekterstellung oder -veröffentlichung befreit sind, wenn der Gesamtgegenwert der Wertpapiere „weniger als“ 8 Millionen Euro beträgt. Grundlage dieser Gesetzesanpassung ist die neue EU-Prospektverordnung vom 14.06.2017 [Verordnung (EU) 2017/1129]. Danach sind künftig Angebote von Wertpapieren unterhalb der Schwelle von 1 Million Euro europaweit von der Prospektpflicht befreit (Art. 1 Abs. 3 der EU-Prospektverordnung). Zudem eröffnet Art. 3 Abs. 2 der EU-Prospektverordnung den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Wertpapieremissionen national von der Prospektpflicht auszunehmen, sofern die Grenze von 8 Millionen Euro nicht überschritten wird. Von dieser Option wird Deutschland nun aller Voraussicht nach Gebrauch machen. Überraschend ist dies vor allem deshalb, weil der Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums zunächst nur die in der Verordnung bereits zwingend vorgeschriebene 1-Million-Euro-Schwelle enthielt. Nach massiver Kritik (vor allem von Mittelstandsvertretern) hat die Bundesregierung nun doch von der erweiterten Optionspflicht Gebrauch gemacht. Dies ist richtig, weil andere europäische Länder bei Ausnahmen von der Prospekterstellung längst deutlich großzügiger sind. So sind im Vereinigten Königreich schon nach dem aktuellen Regelungsregime Angebote von Wertpapieren unter 5 Millionen Euro von der Prospektpflicht befreit.
Die bisherige Rechtslage
Wer Wertpapiere im Inland öffentlich anbietet, muss grundsätzlich zuvor einen Wertpapierprospekt veröffentlichen (§ 3 Abs. 1 WpPG). Dies gilt bisher unter anderem dann nicht, wenn der Verkaufspreis für alle angebotenen Wertpapiere im Europäischen Wirtschaftsraum weniger als 100.000 Euro beträgt, wobei diese Obergrenze über einen Zeitraum von zwölf Monaten zu berechnen ist (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 WpPG). Die schon bisher bestehenden Möglichkeiten der EU-Prospektverordnung hatte Deutschland nicht extensiver genutzt.
Hingegen gibt es für Schwarmfinanzierungen schon heute mehr Spielraum – allerdings im Vermögensanlagenrecht. Anbieter von partiarischen Darlehen, Nachrangdarlehen und sonstigen Anlagen, die eine Verzinsung und Rückzahlung für die zeitweise Überlassung von Geld gewähren, müssen bis zu einem „Verkaufspreis sämtlicher von dem Anbieter angebotenen Vermögensanlagen desselben Emittenten“ von 2,5 Millionen Euro keinen Prospekt erstellen (§ 2a Abs. 1 VermAnlG). Diese Befreiung von der Prospektpflicht gilt allerdings nur dann, wenn die Vermögensanlagen ausschließlich im Wege der Anlageberatung oder Anlagevermittlung über Internetdienstleistungsplattformen vertrieben werden. Zudem sind bestimmte Anlagegrenzen zu beachten: Danach können Anleger – bei einer entsprechenden Selbstauskunft über ihre Vermögens- oder Einkommensverhältnisse – höchstens 10.000 Euro investieren (§ 2a Abs. 3 VermAnlG). Die Ausnahme befreit allerdings nicht von der Pflicht zur Erstellung eines Vermögensanlagen-Informationsblatts, VIB (§ 13 Abs. 1 VermAnlG).
Die neue 8-Millionen-Euro-Grenze für die Prospektfreiheit
Der deutsche Gesetzgeber zieht nun für den Bereich von Wertpapieren nach. Ab 21.07.2018 können Anbieter von Wertpapieren nun von der erweiterten Prospektausnahme Gebrauch machen. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 WpPG-E sieht bei einem Gesamtgegenwert der emittierten Wertpapiere von weniger als (also unter) 8 Millionen Euro keine Pflicht zur Prospekterstellung mehr vor. Die Formulierung „weniger als“ 8 Millionen Euro überrascht insofern, als Art. 3 Abs. 2 lit. b) der EU-Prospektverordnung, auf dem die deutsche Optionsausübung beruht, die Grenze für die Prospektbefreiung erst bei Angeboten von mehr als 8 Millionen Euro überschritten sieht.
Für die Bestimmung der Obergrenze ist – wie schon bisher – auf Angebote im Europäischen Wirtschaftsraum und einen Zeitraum von zwölf Monaten abzustellen. Maßgeblich sollen dabei nicht alle Angebote des Emittenten sein, sondern es kommt auf die konkret angebotene Wertpapierart an. Ein Emittent kann also innerhalb von zwölf Monaten unterschiedliche Wertpapiere öffentlich ohne Prospekt anbieten, sofern jede Wertpapierart für sich genommen die Obergrenze nicht überschreitet (vgl. von Kopp-Colomb/Mollner, in: Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, 3. Aufl. 2017, § 3 WpPG Rn. 42). Hierin liegt ein ganz entscheidender Unterschied zu der Prospektausnahme für Schwarmfinanzierungen nach § 2a Abs. 1 VermAnlG. Für die Berechnung der dort geltenden 2,5-Millionen-Euro-Grenze sind alle angebotenen Vermögensanlagen desselben Emittenten zu berücksichtigen. Einen zeitlich begrenzten Emissionsrahmen gibt es nicht, weshalb die Privilegierung erst mit vollständiger Tilgung der Vermögensanlage erneut genutzt werden kann (Mass, in: Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, 3. Aufl. 2017, §§ 2a–2d VermAnlG Rn. 11).
Bei einem Angebot von Wertpapieren ab einem Gesamtgegenwert von 1 Million Euro oder mehr greift die Prospektausnahme allerdings nur dann, wenn die Wertpapiere ausschließlich im Wege der Anlageberatung oder Anlagevermittlung über ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen vermittelt werden und bestimmte Einzelanlageschwellen (10.000 Euro bei entsprechender Selbstauskunft) beachtet werden (§ 3c WpPG-E). Der Vertrieb der Wertpapiere über einen Finanzanlagenvermittler nach § 34f GewO genügt nicht, um die Prospektausnahme vollständig in Anspruch nehmen zu können.
Das Wertpapier-Informationsblatt als Informationsgrundlage
Anbieter, die von der Prospektausnahme Gebrauch machen, dürfen Wertpapiere ab einem Gesamtgegenwert von 100.000 Euro im Inland allerdings erst dann öffentlich anbieten, wenn sie ein sogenanntes Wertpapier-Informationsblatt (WIB) erstellen, bei der BaFin hinterlegen und veröffentlichen (§ 3a Abs. 1 WpPG-E). Das WIB ist – wie das für Vermögensanlagen zu erstellende VIB – eine deutsche Besonderheit. Die in kurzer und verständlicher Weise dargestellten wesentlichen Informationen sollen es dem Anleger ermöglichen, unterschiedliche Wertpapiere miteinander zu vergleichen. Das WIB darf nicht mehr als drei DIN-A4-Seiten umfassen und muss insbesondere Angaben zu Risiken, Kosten und Provisionen sowie der geplanten Verwendung der voraussichtlichen Nettoemissionserlöse enthalten (§ 3a Abs. 3 WpPG-E). Demselben Prinzip folgen die sogenannten Basisinformationsblätter (BiB) nach der europäischen PRIIPs-Verordnung für verpackte Anlageprodukte (etwa strukturierte Finanzprodukte wie Optionsscheine, die in Versicherungen, Wertpapiere oder Bankprodukte verpackt sind). Für das Verhältnis der unterschiedlichen Informationsblätter gilt: Das BiB geht vor und ersetzt die anderen Kurzinformationsblätter.
Ein Plädoyer für das Wertpapier
Bislang vertreiben Crowdfundingplattformen häufig „nur“ Vermögensanlagen bis zu einem Gesamtbetrag von 2,5 Millionen Euro aufgrund der Prospektausnahme für Schwarmfinanzierungen (§ 2a Abs. 1 VermAnlG). Der neue Befreiungstatbestand für Wertpapiere kann neue Marktchancen eröffnen. Die Wertpapieremission bietet gegenüber der Vermögensanlage nicht nur den Vorteil eines größeren prospektfreien Volumens. Das Wertpapier als kapitalmarktfähiges Anlageprodukt schafft auch eine mögliche Handelbarkeit des Investments, was aus vertrieblicher Sicht häufig ein wichtiges Argument darstellt. Für den Vertrieb von Wertpapieren genügt der Crowdfundingplattform allerdings die Erlaubnis nach § 34f GewO nicht, sondern sie benötigt die Erlaubnis nach § 32 KWG als Anlagevermittler. Damit einher gehen deutlich erhöhte aufsichtsrechtliche Anforderungen. Während bislang lediglich die Informations- und Organisationspflichten der Finanzanlagenvermittlerverordnung (FinVermV) zu beachten sind, müssen Anlagevermittler von Wertpapieren die gesamten Verhaltens- und Organisationspflichten des WpHG beachten, die im Zuge der Umsetzung der MiFID II deutlich verschärft wurden. Allerdings wird erwartet, dass die FinVermV noch im Lauf des Jahres an die MiFID II angepasst wird, so dass sich das Pflichtenprogramm des Finanzanlagenvermittlers dem des Anlagevermittlers nach § 32 KWG annähern wird. In Konsequenz werden sich „§ 34f“ler fragen müssen, ob nicht die Zulassung nach § 32 KWG die bessere Alternative ist.