BGH entscheidet über Gegenleistung, Referenzzeitraum und Stimmrechtszurechnung
Von Dr. Roman Dörfler, LL.M., und Dr. Frank Eggers

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Einleitung

Im Urteil vom 29.07.2014 (Az. II ZR 353/12) hatte der BGH im Kern über die Angemessenheit des Kaufpreises zu entscheiden, den die Deutsche Bank AG (Deutsche Bank) im Jahr 2010 im Rahmen ihres Übernahmeangebots für die Aktien der Deutsche Postbank AG (Postbank) gezahlt hat. Der BGH setzt sich mit dem Umfang des Anspruchs der Aktionäre der Deutsche Postbank AG (Postbank) auf Zahlung einer angemessenen Gegenleistung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG (Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz), dem für die Bemessung dieser Gegenleistung maßgeblichen Referenzzeitraum im Sinne der §§ 4, 5 WpÜG-AngVO, der Zurechnung von Stimmrechten in Treuhandverhältnissen gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG sowie der Möglichkeit zum Erwerb durch eine Willenserklärung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG auseinander.

Sachverhalt

Gegenstand der Entscheidung des BGH sind eine von der Deutschen Bank und der Deutsche Post AG (Post) im September 2008 geschlossene Vereinbarung (Ursprungsvereinbarung) sowie eine die Ursprungsvereinbarung modifizierende Vereinbarung vom Januar 2009 (Nachtragsvereinbarung). Ausweislich der zunächst geschlossenen Ursprungsvereinbarung sollte die Deutsche Bank im ersten Quartal 2009 29,75% der Aktien der Postbank zu einem Preis von 57,25 Euro erwerben. In einem weiteren Schritt wurde der Deutschen Bank die Option eingeräumt, in einem Zeitraum von zwölf und 36 Monaten nach dem Abschluss des Erwerbs der Minderheitsbeteiligung weitere 18% der Postbank-Aktien für 55,00 Euro je Aktie zu erwerben. Die Post wiederum erhielt die Option, im Zeitraum zwischen 21 und 36 Monaten nach dem Abschluss des Erwerbs der Minderheitsbeteiligung 20,25% der Aktien der Postbank zuzüglich einer Aktie für 42,80 Euro je Aktie an die Deutsche Bank zu veräußern. Die Ende des Jahres 2008 durch eine Kapitalerhöhung über 54,8 Millionen Euro geschaffenen Anteile wurden überwiegend von der Post gezeichnet, wodurch sich der Anteil der Post von 50% auf 62,35% erhöhte. Mit der Nachtragsvereinbarung regelten die Deutsche Bank und die Post, den Vollzug der Ursprungsvereinbarung zu verschieben und die Übernahme der Postbank in drei Schritten wie folgt durchzuführen: (i) die Deutsche Bank sollte zunächst 22,9% der Postbank-Aktien zu je 23,92 Euro von der Post erwerben, (ii) weitere 27,4% der Postbank-Aktien sollten zu je 45,45 Euro über eine Pflichtwandelanleihe fällig zum 25.02.2012 erworben werden, (iii) die restlichen 12,1% sollten über Call- und Put-Optionen zum Preis von je 48,85 Euro für die Call-Option und je 49,42 Euro für die Put-Option in dem Zeitraum zwischen 28.02.2012 und 25.02.2013 erworben werden. Im Anschluss daran erwarb die Deutsche Bank über eine Tochtergesellschaft 22,9% der Postbank-Aktien und zeichnete die Wandelanleihe.

Am 07.10.2010 veröffentlichte die Deutsche Bank ein freiwilliges Übernahmeangebot von je 25,00 Euro je Aktie, das von der Klägerin angenommen wurde. Mit der Klage beansprucht die Klägerin die Zahlung des Differenzbetrags zwischen der Gegenleistung aus dem freiwilligen Übernahmeangebot und der nach ihrer Meinung geschuldeten Gegenleistung aus einem aufgrund der Ursprungsvereinbarung zu veröffentlichenden Pflichtangebot. Hilfsweise wurde von der Klägerin geltend gemacht, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, aufgrund der Nachtragsvereinbarung ein Pflichtangebot zu veröffentlichen, und zwar zu unterschiedlichen, hilfsweise gestaffelten Zeitpunkten. Nach dem Vortrag der Klägerin habe die Nachtragsvereinbarung überdies eine Interessenschutzklausel enthalten, wonach die Post bis zum Vollzug der Pflichtwandelanleihe die Rechte aus den Aktien nur unter Berücksichtigung der Interessen der Deutschen Bank habe ausüben dürfen. Das Landgericht Köln hatte die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht Köln hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Entscheidung

Nach der herrschenden Meinung (h.M.) hat ein Aktionär, der ein Angebot angenommen hat, einen Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen der angebotenen und der angemessenen Gegenleistung aus dem mit dem Bieter geschlossenen Kaufvertrag und § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG i.V.m. § 3 ff. WpÜG-AngVO, den er vor den Zivilgerichten durchsetzen kann. Ein solcher Nachzahlungsanspruch kann außerdem Gegenstand eines Musterverfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) sein.

Der BGH lehnt die teilweise im Schrifttum vertretene Auffassung ab, nach der ein Aktionär lediglich einen Anspruch auf die von dem Bieter angebotene Gegenleistung habe und im Übrigen lediglich Schadenersatz gerichtet auf den Differenzbetrag nach § 12 WpÜG verlangen könne.

Mit der h.M. in der Literatur spricht der BGH den Aktionären einen zivilrechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrags zwischen der angebotenen und der tatsächlich angemessenen Gegenleistung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG i.V.m §§ 3 ff. WpÜG-AngVO zu. Der BGH begründet dies mit dem Zweck und der Systematik des WpÜG im Allgemeinen und der Systematik des § 31 WpÜG im Besonderen:

Zum einen müsse der Bieter bereits gemäß § 31 Abs. 4 und 5 WpÜG bei Parallel- oder Nacherwerben die Differenz zwischen dem Angebotspreis und dem bei dem Parallel- oder Nacherwerb erzielten Preis an die Aktionäre zahlen. Deshalb sei es nur folgerichtig, wenn ein Anspruch auch dann besteht, wenn die angebotene Gegenleistung von vornherein unangemessen ist.

Zudem überprüfe die BaFin das Übernahmeangebot des Bieters lediglich innerhalb einer Frist von zehn bis 15 Werktagen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2, Satz 3 WpÜG) und unter einem eingeschränkten Prüfmaßstab (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG). Die Prüfung im Rahmen eines Rechtsstreits vor Zivilgerichten gehe darüber hinaus und umfasse auch eine Unternehmensbewertung der Zielgesellschaft (vgl. § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO).

Der Auffassung, nach der eine Verzögerung von Übernahmen zu befürchten sei, die durch das WpÜG eigentlich schnell und möglichst rechtssicher abgewickelt werden sollten, erteilt der BGH ebenfalls eine Absage. Weder werde durch einen zivilrechtlichen Anspruch der Aktionäre die Durchführung der Transaktion gestört, noch würden Risiken geschaffen, die nicht ohnehin schon aufgrund des drohenden Schadenersatzanspruchs aus § 12 WpÜG bestünden.

Zudem habe der Schadenersatzanspruch gemäß § 12 WpÜG eine andere Schutzrichtung als der Anspruch des Aktionärs auf eine angemessene Gegenleistung gemäß § 31 WpÜG. Daher könne der dem Aktionär im Falle unrichtiger oder unvollständiger Angaben in der Angebotsunterlage zur Seite stehende Schadenersatzanspruch (§ 12 WpÜG) den auf eine angemessene Gegenleistung gerichteten Anspruch des Aktionärs ebenfalls nicht ausschließen. Denn während § 12 WpÜG die angemessene Information der Aktionäre der Zielgesellschaft sicherstellen wolle, solle § 31 WpÜG bewirken, dass den Aktionären ein zumutbarer Ausstieg bei einem drohenden oder schon eingetretenen Kontrollerwerb ermöglicht wird.

Ferner zeige ein Blick auf das KapMuG, dass der Gesetzgeber von Streitigkeit über zivilrechtliche Ansprüche im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 KapMuG ausgegangen ist. Denn Erfüllungsansprüche aus Verträgen, die auf einem Angebot nach dem WpÜG beruhen, sollen Gegenstand von Musterverfahren sein. Der BGH schließt sich auch insoweit der h.M. in der Literatur an, wonach § 1 KapMuG nicht nur Ansprüche aus Parallel- und Nacherwerben erfasse, sondern auch Ansprüche aus Verträgen, denen von Anfang an keine angemessene Gegenleistung im Sinne der § 3 ff. WpÜG-AngVO zugrunde liegt.

Schließlich stellt der BGH klar, dass der von ihm vertretene Ausschluss von Ansprüchen der Aktionäre der Zielgesellschaft gegen einen Kontrollerwerber, der es unterlässt, ein Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 WpÜG zu veröffentlichen (so BGH, Urteil vom 11.06.2013 – II ZR 80/12, ZIP 2013, 1565 Rn. 9 ff.), den Anspruch des Aktionärs auf eine angemessene Gegenleistung infolge eines veröffentlichten Übernahmeangebots nicht ausschließe. Denn bei einem Verstoß gegen die Angebotsveröffentlichungspflicht ist der Bieter gemäß § 59 WpÜG bereits gehindert, Rechte aus Aktien auszuüben. Dadurch würden die Aktionäre vor einem Kontrollerwerb bereits ausreichend geschützt. Erlangt der Bieter aber Kontrolle, wenn und weil er ein Übernahmeangebot veröffentlicht hat, bedarf es eines Schutzes der Aktionäre im Hinblick auf die angemessene Gegenleistung für ihren Austritt.

Im Hinblick auf den § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG folgt der BGH der herrschenden Auffassung, nach der allein das Tragen der Chancen und Risiken aus den betreffenden Aktien für eine Zurechnung nicht ausreiche. Vielmehr müsse die Möglichkeit hinzutreten, auf die Stimmrechtsausübung des Inhabers der Aktien Einfluss zu nehmen.

Für den § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG entschied der BGH, dass nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes die scharfe Rechtsfolge eines Pflichtangebots nur denjenigen treffen soll, der, wenn schon kein Eigentum an den Aktien, so doch jedenfalls eine dem Eigentum gleichkommende gesicherte Erwerbsmöglichkeit habe. Eine solche gesicherte Erwerbsmöglichkeit begründe nur eine dingliche Anwartschaft und nicht schon einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übereignung.

Fazit

Der BGH folgt der h.M. in der Literatur zum Bestehen eines unmittelbaren Anspruchs der Aktionäre auf die Zahlung einer angemessen Gegenleistung, zur Frage der Verlängerung des Referenzzeitraums sowie zur Frage der (Nicht-)Zurechnung schuldrechtlicher Optionen nach § 30 Abs. 1 Nr. 5 WpÜG und des Erfordernisses der Möglichkeit einer Einflussnahme auf die Ausübung von Stimmrechten gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG. Dies ist zu begrüßen. Für den Vortrag eines „acting in concert“ hat der BGH die Schwelle für die Substantiierungslast vergleichsweise niedrig angesetzt. Die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen sind nunmehr von dem OLG zu treffen. Die sich daran anschließende und für die Praxis spannende Frage der rechtlichen Bewertung der Interessenschutzklausel durch den BGH bleibt abzuwarten.

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