Im Blickpunkt: Ein etwas anderes Modell der Gewinnverteilung – auch in Sozietäten?
Von Markus Hartung und Emma Ziercke

Beitrag als PDF (Download)

Worum es geht

Was haben ein Kaufhaus auf der Oxford Street in London und eine Anwaltskanzlei miteinander zu tun? Mehr, als man denkt. Wir stellen vor: Die „John Lewis“-Kanzlei.

Kanzleien haben alle möglichen Partnervergütungsmodelle ausprobiert: Das Lockstep und Variationen davon (inklusive „Performance-Gateway“ und „Performancepools“), „Eat-what-you-kill“-Systeme und deren Varianten (mit verschiedenen Performancekriterien). Außerdem haben Kanzleien durch die verschiedensten gewinnabhängigen Bonussysteme versucht, ihre Associates zu motivieren. Aber wie wäre es, wenn man noch einmal von vorn anfinge? Wie würde man den Gewinn teilen?

In Großbritannien ist ein neuer Trend entstanden, indem Anwalts- und Steuerberatungskanzleien ein neues Modell ausprobierten. Das Modell ist nach zwei Prinzipien aufgebaut: (1) Gewinnbeteiligung zwischen den (fachlichen) Berufsträgern und den nichtfachlichen (Service-)Berufsträgern und (2) „Belegschaftsbesitz“.

Das „John Lewis“-Kaufhaus auf der Oxford Street gilt in Großbritannien als Vorbild für die These, dass ein mitarbeitergeführtes Unternehmen motiviertere Mitarbeiter habe und deswegen auch finanziell erfolgreicher sein könne. Nun haben britische Kanzleien angefangen, darüber nachzudenken, was sie aus dem „John Lewis“-Modell lernen können.

Was ist „John Lewis“?

„John Lewis“ wurde 1864 gegründet und ist immer noch ein sehr erfolgreiches Einzelhandelsunternehmen. Das Unternehmen ist eine Partnerschaft, was für Einzelhändler (wie zum Beispiel Marks & Spencer oder Debenhams) untypisch ist. Die Handelskette „John Lewis“ umfasst etwa 35 Kaufhäuser und 272 Supermärkte. Eigentümer der Handelskette sind die 91.500 Partner (Mitarbeiter werden bei „John Lewis“ Partner genannt), die den Gewinn (oder Verlust) des Geschäfts teilen. Die Partner, vom CEO bis zum Kassierer, bekommen alle denselben Prozentsatz ihres Jahresgehalts als Bonus.

Ursprünglich ein „Experiment in der Industriedemokratie“, wurde „John Lewis“ als Partnerschaft sowohl im Sinn von kaufmännischen Grundsätzen wie auch im Sinn von demokratischen Grundsätzen gegründet. Die Angestellten beaufsichtigen die Verwaltungsentscheidungen und haben durch gewählte Ausschüsse ein Mitspracherecht bei Entscheidungsprozessen. Ein Unternehmensziel von „John Lewis lautet“, „die Zufriedenheit seiner Angestellten zu maximieren“ – das steht so in der Satzung. Vor ein paar Jahren sprach die britische Regierung von einer „John Lewis Economy“, um die höhere Produktivität von mitarbeitergeführten Unternehmen zu beschreiben. Aber was hat das mit Kanzleien zu tun?

Mitarbeitergeführte Unternehmen wachsen

Dass mitarbeitergeführte Unternehmen motivierte Arbeitnehmer haben, ist gerade für Kanzleien ein wichtiger Grund, um genauer hinzuschauen. Mitarbeiter, die an einem Strang ziehen, um den Erfolg und damit den Gewinn der Gesellschaft zu vergrößern, weil der Gewinn eine direkte und deutliche Wirkung auf ihr Individualeinkommen hat – das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Ein stärkeres Engagement der Mitarbeiter führt zu besserer Produktivität, was wiederum zu einem höheren Gewinn führt. Die Mitarbeiterbindung in einem mitarbeitergeführten Unternehmen wird gestärkt, was für Kanzleien im „War for Talents“ mit allen seinen unschönen und kostentreibenden Auswüchsen von besonderer Bedeutung sein kann. Außerdem ist ein mitarbeitergeführtes Unternehmen während einer Wirtschaftskrise widerstandsfähiger als eine normale Gesellschaft. Ein mitarbeitergeführtes Unternehmen, dessen Anteile in einer Treuhandgesellschaft zusammengeführt sind, motiviert die Eigentümer zu gemeinsamen Entscheidungen und macht ein solches Unternehmen für feindliche Übernahmen unattraktiv. Das ergibt eine stabile, langfristige Unternehmensstruktur. Zudem bietet die britische Regierung attraktive steuerliche Anreize für mitarbeitergeführte Unternehmen.

Forschungsergebnisse aus Studien in Großbritannien zu mitarbeitergeführten Unternehmen besagen, dass Mitarbeiterbeteiligungsmodelle bessere Geschäftsergebnisse zur Folge haben. Zwei Börsenindizes, die sich auf das Börsensegment „britische mitarbeitergeführte Unternehmen“ (3% oder 10% Mitarbeiteranteil) beziehen, haben diesen Erfolg ausdrücklich bestätigt: Langfristig gesehen, weist ein mitarbeitergeführtes Börsenunternehmen eine höhere Leistung aus als „normal strukturierte“ im FTSE gelistete Unternehmen.

Was bedeutet das für Anwaltskanzleien?

Das ist alles nicht nur Theorie, im Gegenteil: Stephens Scown LLP ist eine mittelgroße regionale Kanzlei mit Hauptsitz in Exeter und mit rund 300 Mitarbeitern, 50 Partnern und 17 Millionen Pfund Umsatz. Im März 2016 wurde bekanntgegeben, dass man ein neues Partnerschaftsmodell, nach „John Lewis“-Art, einführen werde. Stephens Scown LLP will für eine verbesserte Mandantenzufriedenheit engagierte und besser motivierte Arbeitnehmer haben. Die Annahme ist: Wenn jeder einen Anteil an der Kanzlei hat, werden alle gemeinsam das Ziel verfolgen, langfristige und stabile Mandantenbeziehungen aufzubauen. Außerdem erhalten Angestellte einen Anteil am Gewinn als Teil ihres Jahresgehalts, und zwar, wie bei „John Lewis“, unabhängig von der Funktion, also von der Empfangssekretärin bis zum Senior Associate.

Wie funktioniert das Modell?

Es gibt in Großbritannien viele verschiedene Modelle für Mitarbeiterbeteiligungssysteme. „John Lewis“ benutzt das folgende Modell: Mitarbeiter sind auch Aktionäre des Unternehmens und erhalten eine Dividende als Bonus. Die Aktien werden treuhänderisch für die Mitarbeiter gehalten. Die Dividende ist als Prozentsatz des Jahresgehalts berechnet. Das bedeutet, dass jeder Mitarbeiter einen Bonus von zum Beispiel 10% seines Jahresgehalts erhält, unabhängig davon, ob der Mitarbeiter der CEO, ein Kaufhausmanager oder ein Kassierer ist. Der Prozentsatz hängt von der Leistung der Partnerschaft ab und wird jedes Jahr neu berechnet. Im Jahr 2010 erhielten die Mitarbeiter 18%, im Jahr 2015/2016 bekamen sie nur 10%. Aber nicht nur der Gewinn der Partnerschaft wird zwischen den Mitarbeitern verteilt, sondern auch der Einfluss. Ein System von delegierter Vollmacht und von Steuerungsmechanismen sorgt dafür, dass alle Mitarbeiter eine Stimme haben.

Und für Anwaltskanzleien?

Stephens Scown LLP hat uns auf Nachfrage Grundzüge der gesellschaftsrechtlichen Struktur erläutert: Zunächst musste eine neue Gesellschaft gegründet werden, die Mitglied der LLP ist. Diese Gesellschaft erhält einen Gewinnanteil der LLP. Die Anteile der neuen Gesellschaft gehören einer Treuhandgesellschaft (an welcher alle berechtigten Mitarbeiter teilhaben). Eine solche Struktur, in der Nichtjuristen eine Kanzlei „besitzen“, ist nach englischem Recht (Legal Services Act 2007) erlaubt.

Alle Gewinne, über einem Mindestbetrag, werden zu einem Pool hinzugefügt. Dieser Pool wird hälftig zwischen der LLP und der Treuhandgesellschaft geteilt. Das ist insoweit anders als im ursprünglichen „John Lewis“-Modell: Es gibt dort keine Trennung zwischen Partnern und Nichtpartnern. Arbeitnehmer von „John Lewis“ erhalten alle denselben Prozentsatz ihres Jahresgehalts (und der, der ein höheres Gehalt hat, erhält einen höheren Bonus). Bei Stephens Scown erhalten alle Mitarbeiter denselben Bonus, ohne Unterschied nach Funktion in der Sozietät.

Stephens Scown LLP benötigte eine Genehmigung von der Finanzbehörde (HMRC) sowie von der Aufsichtsbehörde (Solicitors Regulation Authority, kurz SRA). Das Genehmigungsverfahren dauerte mehrere Jahre, aber nun hat Stephens Scown die Tür für andere Kanzleien geöffnet, die ihre Vergütungsmodelle entsprechend ändern möchten. Mishcon De Reya, eine Wirtschaftskanzlei mit Sitz in London und New York und mit rund 120 Partnern/Direktoren und 400 fachlichen Berufsträgern, ist noch in Diskussionen mit ihren Partnern über ein neues Konzept, das auch das „John Lewis“-Modell einschließt. Weiterhin hat Signature Litigation (eine Spin-off-Kanzlei in Großbritannien) auch ein Beteiligungsprogram eingeführt, in dem jeder Mitarbeiter (und nicht nur Rechtsanwälte) einen Teil des Gewinns bekommt. Grant Thornton LLP (Warth & Klein Grant Thornton) ist sogar mit „John Lewis“ über ein neues Partnerschaftsmodell in Diskussionen. Das Modell heißt „Shared Enterprise“ und basiert auf dem Teilen der Verantwortung, der Ideen und des Gewinns. Grant Thornton LLP hat zum Beispiel ihren Businessplan durch Crowdsourcing entwickelt. Die Firma hat ihre Arbeitnehmer in strategische Entscheidungen einbezogen, alle Mitarbeiter haben einen Anteil am Gewinn der Partnerschaft.

Es gibt natürlich ein breites Spektrum mit zahlreichen Variationen für die Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmen, also am Gewinn, an der Führung der Sozietät sowie an wichtigen Entscheidungen. Es gibt Möglichkeiten von einem kleinen Bonuspool für eine Handvoll Anwälte bis zu einem großen Bonuspool für alle Mitarbeiter und von einzelnen Arbeitnehmervertretern bis zum „John Lewis“-System mit integrierten Reportings und Entscheidungsprozessen. Die Grundsätze des Modells sind aber klar: „Die Arbeitnehmer haben einen Anteil am Unternehmen, und dadurch stehen die Arbeitnehmer im Unternehmen an der ersten Stelle“.

Fazit

Ist das revolutionär? Das Modell selbst kommt einem eher bekannt vor, allerdings nicht in Kanzleien. Wir sind noch etwas im „alten Denken“ verhaftet. Vielleicht machen wir es auch wie immer: Wir lassen die Engländer mal ausprobieren, bevor wir uns dann entschließen, etwas zu tun.

markus.hartung@law-school.de
emma.ziercke@law-school.de

22 replies on “„The John Lewis Partnership“”

Comments are closed.

Aktuelle Beiträge