BVerfG kippt die Ersatzbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 2 GrEStG – die Praxisauswirkungen im Überblick
Von Ulrich Siegemund und Wladimir Leonhard
Bemessung der Grunderwerbsteuer und Vorlage des BGH
Die Grunderwerbsteuer bemisst sich gemäß § 8 Abs. 1 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) nach dem Wert der Gegenleistung, also insbesondere nach dem Kaufpreis. Beim Fehlen einer Gegenleistung, bei Umwandlungen, Einbringungen und anderen Erwerbsvorgängen auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage sowie bei Übertragung oder Vereinigung von mindestens 95% der Anteile an grundstücksbesitzenden Gesellschaften in einer Hand bemisst sich die Grunderwerbsteuer nach der Ersatzbemessungsgrundlage gemäß § 8 Abs. 2 GrEStG, die in der Regel zu einer unter dem Verkehrswert liegenden Bemessungsgrundlage führt. Aufgrund der Verweisung des § 8 Abs. 2 GrEStG auf § 138 Abs. 2 und 3 Bewertungsgesetz (BewG) gelten differenzierte Bewertungsregelungen, wobei die Grundbesitzwerte je nach Art des Grundbesitzes auf unterschiedliche Art und Weise festgestellt werden. Dadurch entsteht eine erhebliche Diskrepanz zum Marktwert der Grundstücke. In dem Regelbemessungsfall (§ 8 Abs. 1 GrEStG) wird bei der Festsetzung der Grunderwerbsteuer vom Kaufpreis, in der Regel also vom Verkehrswert, ausgegangen. Nach § 8 Abs. 2 GrEStG wird dagegen das Verkehrswertniveau aufgrund diverser Abschläge oder vereinfachter Bewertungsregeln in der Regel nicht erreicht.
Der BFH hielt § 8 Abs. 2 GrEStG mit dessen Verweisung auf § 138 Abs. 2 und 3 BewG für unvereinbar mit dem Gleichheitssatz nach Artikel 3 Abs. 1 GG (Az. II R 23/10 und II R 64/08). Daher setzte er das Ausgangsverfahren aus und holte die Entscheidung des BVerfG ein.
Beschluss
Der Erste Senat des BVerfG hat am 23.06.2015 entschieden, dass § 8 Abs. 2 GrEStG verfassungswidrig sei. Die Ersatzbemessungsgrundlage gemäß § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. den Bewertungsvorschriften des Bewertungsgesetzes führe zu einer erheblichen Ungleichbehandlung der Steuerschuldner, deren Grunderwerbsteuer auf der Grundlage der (höheren) Regelbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 1 GrEStG berechnet werde. Das BVerfG verpflichtet den Gesetzgeber, spätestens bis zum 30.06.2016 rückwirkend zum 01.01.2009 eine neue Regelung zu treffen.
Das BVerfG stellt eine Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen fest, bei denen die Grunderwerbsteuer nach dem Kaufpreis (§ 8 Abs. 1 GrEStG) ermittelt wird. Der Kaufpreis entspreche regelmäßig dem Wert des Grundstücks, da Käufer und Verkäufer gegenläufige Interessen vertreten. Im Fall des § 8 Abs. 2 GrEStG sieht das Bewertungsgesetz dagegen unterschiedliche Wertansätze vor. Das BVerfG stellt fest, dass die steuerlichen Werte bebauter Grundstücke im Durchschnitt 50% unter dem Kaufpreis liegen, weil diese im Wege des vereinfachten Verfahrens (§ 146 Abs. 2 BewG) bewertet werden. Unbebaute Grundstücke erreichten nur rund 70% des gemeinen Werts, weil deren Wert sich nach dem um 20% ermäßigten Bodenrichtwert ermittelt. Der land- und forstwirtschaftliche Grundbesitzwert stellt im Endergebnis lediglich 10% des Verkehrswerts dar. Dies führt zu einer Ungleichbehandlung.
Die Unterschiede in der Bewertung sind nach den Ausführungen des Beschlusses verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Dem Gesetzgeber werden im Steuerrecht durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit Grenzen gesetzt. Die Steuerpflichtigen müssen rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Der Gesetzgeber hat die einmal getroffene Belastungsentscheidung hinsichtlich aller Steuerpflichtigen möglichst gleichmäßig und folgerichtig umzusetzen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Divergenz der Grundstücksbewertung kann nicht mit dem Lenkungs- und Förderziel des § 8 Abs. 2 GrEStG, also letztlich dem fiskalischen Ziel, gerechtfertigt werden. Die weitreichende und gravierende Steuerbreite der Bewertungsergebnisse ist vielmehr zufällig und willkürlich. Der Grundsatz der Lastengleichheit verbietet es dem Gesetzgeber, eine Ersatzbemessungsgrundlage zu schaffen, deren Ergebnisse von den Ergebnissen der Regelbemessungsgrundlage wesentlich abweichen.
Das BVerfG hat schon in dem Beschluss vom 07.11.2006 (Az. 1 BvL 10/02) zur Verfassungsmäßigkeit der damaligen Erbschaftsteuerregelungen ausgeführt, dass die Bewertung nach §§ 138 ff. BewG im Rahmen der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage zur Ungleichbehandlung führe und diese verfassungswidrig sei. Das BVerfG verpflichtete in dem damaligen Beschluss den Gesetzgeber, bis zum 31.12.2008 eine verfassungskonforme Regelung zu treffen. Dem ist der Gesetzgeber hinsichtlich der Bewertung für die Zwecke der Erbschaftsteuer durch die Schaffung neuer Vorschriften nachgekommen. Die §§ 138 ff. BewG und die Bezugnahme von § 8 Abs. 2 GrEStG auf diese wurden dagegen nicht angepasst, obwohl dies vor dem Hintergrund gleicher Problematik geboten war.
Auswirkungen
Es wird erwartet, dass das Gesetz so geändert wird, dass es in den Fällen, in denen die Ersatzbemessungsgrundlage anwendbar ist, zu höherer Grunderwerbsteuer kommt.
Für Fälle, die sich vor 2009 ereignet haben, muss nach der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts das Gesetz nicht rückwirkend geändert werden.
Vorgänge, die seit 2009 der Grunderwerbsteuer nach der Ersatzbemessungsgrundlage unterlegen haben, sind von der angeordneten Gesetzesänderung nicht mehr betroffen, wenn das entsprechende Grunderwerbsteuerfestsetzungsverfahren bereits endgültig abgeschlossen ist.
Für noch nicht abgeschlossene Fälle dürfte die Anmerkung des Bundesverfassungsgerichts wichtig sein, dass nach dessen Entscheidung vom 07.11.2008 festgestanden habe, dass die Bewertungsregeln mangelhaft gewesen seien. Es habe dem Gesetzgeber, der Verwaltung und den Steuerpflichtigen klar sein müssen, dass die Regeln zu Ungleichheiten führten. Das BVerfG geht von rückwirkenden Änderungen aus, die allerdings nur „soweit nach geltendem Recht zulässig“ erfolgen dürften. Das Gericht verweist auf die Vertrauensschutzregeln in der Abgabenordnung. Grunderwerbsteuerbescheide, die nach dem Aussetzungsbeschluss des BFH vom 02.03.2011 mit dem Vermerk der Vorläufigkeit ergangen sind, können – abhängig von der neuen gesetzlichen Regel und im Rahmen eventuellen Vertrauensschutzes – nach der nun bevorstehenden Gesetzesänderung vom Finanzamt geändert werden, was voraussichtlich zu einer Erhöhung der Steuer führen wird.
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wladimir.leonhard[at]luther-lawfirm.com