Im Blickpunkt: Zur Zulassung von Rechtsanwälten beim BGH. Eine Glosse.
Von Markus Hartung
Manchmal erleben wir etwas, das für Juristen so erhaben und anregend ist wie für Kenia-Touristen die Flussüberquerung der „Great Annual Wildlife Migration“: Man sammelt sich schon vorher an der Stelle, an der etwas Unerhörtes geschehen wird, man wird, wenn es dann passiert, Zeuge eines gewaltigen Ereignisses, das in seiner epochalen Wucht und Zwangsläufigkeit einzigartig ist, von etwas, das den Betrachter aufwühlt und mit vielen Emotionen zurücklässt. Wenn es vorbei ist, verlassen wir den Ort des Geschehens, geläutert durch das Erlebte und beschäftigt mit der Frage: Geht es nicht auch anders? Wir sprechen, Sie ahnen es bereits, über die Zulassung von Rechtsanwälten beim BGH.
Der Anlass
Rechtsanwälte können grundsätzlich für ihre Mandanten vor allen Gerichten in allen Verfahrenszweigen auftreten, ohne dass es einer besonderen Erlaubnis oder Zulassung bedürfte. Das gilt in der Instanzgerichtsbarkeit ohnehin, aber auch vor Bundesgerichten: Jeder Rechtsanwalt darf grundsätzlich vor dem BAG, dem BSG, dem BFH, dem BVerwG, dem BGH in Strafsachen und auch vor dem BVerfG auftreten, ohne vorher seine Eignung für die Besonderheiten solcher Verfahren vor Bundesgerichten unter Beweis stellen zu müssen. Die Beschränkung solcher Aktivitäten überlässt der Gesetzgeber den Rechtsanwälten selbst: Es ist eine Frage der Gewissenhaftigkeit, ob ein Anwalt etwa eine Revision in Strafsachen durchführt, und die Einschätzung der dafür erforderlichen Kompetenz obliegt dann dem betreffenden Anwalt. Man kann darüber diskutieren, ob das aus Mandanten- oder Verbrauchersicht ideal ist, aber so ist die Rechtslage.
Anders ist es nur, wenn es um zivilrechtliche Revisionsverfahren vor dem BGH geht. Dafür sind nur spezielle Rechtsanwälte zugelassen, und speziell sind sie in vielerlei Hinsicht: Sie müssen ein sehr aufwendiges und strenges Verfahren durchlaufen und können überhaupt nur zugelassen werden, wenn sie vom Wahlausschuss für Rechtsanwälte beim BGH benannt werden. Schon der Weg dahin ist steinig. Dieser Wahlausschuss prüft aber nicht nur – zum wiederholten Mal – die fachliche Eignung der Kandidaten, sondern befasst sich auch mit dem Bedarf, also der Frage, ob nicht vielleicht viel zu viele Anwälte an die offenbar mit Köstlichkeiten gefüllten Töpfe der zivilrechtlichen Revisionsverfahren drängen.
Der Wahlausschuss
Dieser Wahlausschuss besteht aus zwei Berufsgruppen, nämlich einmal dem Präsidenten und den Senatspräsidenten der Zivilsenate des BGH, und sodann aus den Präsidiumsmitgliedern der BRAK und der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof. Den Vorsitz führt der Präsident des BGH, der, nebenbei bemerkt, auch immer der Vorsitzende des Anwaltssenats beim BGH ist.
Bereits an dieser Stelle stutzt der geneigte Betrachter: Kann das sein? Also, kann es in Deutschland sein, dass über den Bedarf an Anwälten durch ein Gremium entschieden wird, das nicht öffentlich tagt, in dem aber die Anwälte, denen die Konkurrenz erwächst, den Daumen heben oder senken können? Und dies, ohne dass gesetzlich vorgegeben wäre, wonach dieser Bedarf festzustellen sei? Und weiterhin: Kann es sein, dass sich die Senatspräsidenten der Zivilsenate aussuchen können, mit wem sie es später zu tun bekommen? Das wirkt nicht wie von dieser Welt. Lassen wir das aber zunächst einmal so stehen.
Die Elite
Zur Elite kann naturgemäß nicht jeder gehören, und das wiederum versteht nicht jeder. Elite meint hier: Von den im Januar 2014 mehr als 163.000 zugelassenen Rechtsanwälten sind 43 Rechtsanwälte (in Worten: dreiundvierzig) beim BGH zugelassen. Diese 43 Rechtsanwälte bilden die Kammer der beim BGH zugelassenen Rechtsanwälte. Sie ist als solche Mitglied der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer und hat dort, wie jede andere Kammer, eine Stimme. In Zahlen: Die RAK München wird von mehr als 20.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten gebildet und hat in der Hauptversammlung auch nur eine Stimme. „One chamber, one vote“, gute alte demokratische Prinzipien. Das versteht, wie gesagt, nicht jeder, manche halten es gar für verfassungswidrig, aber, wie gesagt: Nicht jeder versteht, dass nicht jeder zur Elite gehören kann.
Eine Besonderheit der BGH-Anwälte drückt sich weiterhin darin aus, dass sie Sozietäten nur untereinander eingehen dürfen, und mehr als zwei Partner darf es nicht geben. Versuchen Sie sich mal für einen kurzen Moment vorzustellen, so etwas gäbe es für die Anwaltschaft in Deutschland … das weitet den geistigen Horizont. Die BGH-Anwälte müssen weiterhin ihre Kanzlei am Sitz des BGH haben und riskieren ihre Zulassung, wenn sie das nicht innerhalb von drei Monaten nach Zulassung bewerkstelligt haben. Überörtliche Sozietäten, Fachanwälte, interprofessionelle Zusammenschlüsse, all das gibt es beim BGH nicht, Letzteres braucht man vermutlich auch nicht.
Der Bedarf
Nun ist es aber nicht so, dass die BGH-Anwälte auch ansonsten wie früher arbeiteten, also persönlich in Handarbeit und ohne Mitarbeiter. Im Gegenteil, hier sind die BGH-Anwälte doch moderner, als es die an Romane von Heinrich Mann gemahnende BGH-Anwaltschaft nahelegt: Jeder BGH-Anwalt hat anwaltliche Mitarbeiter. Wie viele es sind, wissen wir nicht. Im Jahr 2003 gab es 50 in Vollzeit angestellte Rechtsanwälte bei den BGH-Anwälten und eine weitere, nicht bekannte Zahl von freien (anwaltlichen) Mitarbeitern. Zahlen heute? Unbekannt, man redet darüber nicht. Aber die Vermutung, dass es deutlich mehr bei BGH-Anwälten angestellte Anwälte gibt als BGH-Anwälte, ist vermutlich nicht völlig unbegründet.
Wie auch immer: Diese anwaltlichen Mitarbeiter sind hochqualifiziert, dem Vernehmen nach sogar so exzellent, dass sie Mandate völlig eigenständig bearbeiten und auch alleine, ohne den eigentlichen BGH-Anwalt, zum BGH gehen und dort das tun, was eigentlich strikt den BGH-Anwälten vorbehalten ist: nämlich vor dem BGH auftreten. Sie tun dies, ohne ihre fachliche Eignung in dem strengen Zulassungsverfahren bewiesen zu haben. Das ist vielleicht jetzt nicht so direkt im Sinne des Gesetzes, aber das Gesetz verbietet es auch nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich. Bei der Bedarfsprüfung bleibt der Umstand, dass es so viele Anwälte gibt, die im Hinterzimmer eines BGH-Anwalts wie ein solcher arbeiten, vermutlich unbeachtet. Wäre es anders, müssten ja doch viel mehr Anwälte zugelassen werden. Man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, aber so ist es eben, nicht jeder kann das verstehen. Immerhin, als ausgleichende Gerechtigkeit, haben Mitarbeiter von BGH-Anwälten, wenn sie sich bewährt haben, wenn sie niemandem auf den Schlips getreten sind oder Schlimmeres, eine gute Chance, als BGH-Anwalt zugelassen zu werden. Man kennt sich eben. In Köln sagt man: „Mer kenne uns, mer helfe uns“. Das ist hierauf aber schon aus landsmannschaftlichen Gründen natürlich nicht ohne weiteres übertragbar.
Zurück zu unserem Wahlausschuss, dem mit der besonderen Zusammensetzung. Wenn so viel juristischer Sachverstand zusammensitzt – wie gesagt, BGH-Präsident, Senatspräsidenten, Präsidiumsmitglieder der BRAK und der RAK der BGH-Anwälte –, dann kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen. Dass auch Entscheidungen dieses Gremiums mitunter kritisiert werden, nun ja, das ist eben so in Deutschland, hier wird alles kritisiert, und es fand auch nicht jeder gut, dass wir Fußballweltmeister geworden sind.
Das BMJ
Aber hier geht offenbar so viel schief, dass das Bundesministerium der Justiz, das für die Zulassung letztlich zuständig ist, in den letzten beiden Durchgängen einfach mehr Anwälte zugelassen hat, als es der Wahlausschuss für richtig hielt. Im Jahr 2006 hatte das BMJ anstelle der sieben Vorgeschlagenen fast doppelt so viele Kandidaten zugelassen (nämlich 13), damit waren alle potentiellen Kläger sozusagen erledigt. Im 2013er Durchgang waren acht Kandidaten vorgeschlagen worden, das BMJV, wie es heute heißt, hat dann zunächst zwei und kurz darauf noch einen weiteren Kandidaten zugelassen. Bedarfsänderung im Wochentakt. Einer der Glücklichen war vorher Mitarbeiter bei einer BGH-Anwältin. Damit sind die Kläger klaglos gestellt.
Alle? Nein, nicht alle. Einer der Bewerber führt die Auseinandersetzung weiter. Es handelt sich um Prof. Dr. Volker Römermann, unter anderem ein sehr bekannter Berufsrechtler. Er hatte im Jahr 2006 einen der abgelehnten Bewerber vertreten und war vielleicht mit ursächlich dafür, dass das BMJ doppelt so viele Bewerber wie vorgeschlagen zugelassen hatte – und zwar ohne dass irgendein Gericht das so entschieden hätte. Irgendwie erschien dem BMJ das sicherer zu sein, man weiß ja nie, was das BVerfG zu diesen Sachen sagt. Dass damit der Wahlausschuss desavouiert wurde, muss man als Kollateralschaden sehen, immerhin gibt es ihn noch, was bei einer Befassung durch das BVerfG nicht gesichert wäre.
Im Anschluss daran gab es ein wissenschaftliches Pro und Kontra zwischen Prof. Dr. Römermann und Prof. Dr. Rudolf Nirk, einem der bekanntesten BGH-Anwälte. Er verteidigte die Singularzulassung als seit über 100 Jahren bewährt und „unerlässlich“, und er schloss seine Ausführungen mit einer vielleicht nicht direkt ausgewogenen Bemerkung über die deutsche Anwaltschaft: „Erhebliche Belange des Gemeinwohls stehen nicht entgegen. Anstatt der 42 BGH-Rechtsanwälte ca. 148.000 ¸lernfähige‘ Anwälte (…) zuzulassen stellt keine Alternative dar.“ (in: ZRP 2007, S. 207). Man spürt geradezu körperlich das Niveau, auf dem ein führender BGH-Anwalt den wissenschaftlichen Diskurs führt. „Us and them“, Ihr da oben, wir hier unten. Elite eben, nicht jeder kann dazugehören, und das versteht naturgemäß nicht jeder.
Der Prozess findet in der Öffentlichkeit statt, nämlich im Internet, wo man alle Schriftsätze und Schriftstücke nachlesen kann. Das gefällt dem BGH nicht; in einem richterlichen Hinweis wurde der Betreffende ermahnt, er „missbrauche“ die Öffentlichkeit. Die Grenze zwischen Herstellung von Öffentlichkeit und ihrem Missbrauch ist anscheinend schmal. Wie auch immer: Es ist eben alles so erhebend und aufwühlend wie The Great Migration, wenn es dann durch den Fluss geht.
Hinweis der Redaktion: Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder.
markus.hartung@law-school.de
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