Die Trends der Arbeit 4.0 erreichen die Anwaltskanzleien

Von Dr. Jo B. Aschenbrenner, LL.M.

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Darum geht es

Die Digitalisierung der juristischen Arbeit ist inzwischen auch in Kanzleien salonfähig geworden: Legal Analysts haben die Anwaltskanzleien erreicht, Kanzleien arbeiten an ihren digitalen Prozessen sowie der Softwarearchitektur, und Legal-Tech-Start-ups erobern Marktanteile auch außerhalb des Verbrauchermarkts. Zudem werden die Forderungen der Associates nach Home-Office und dem Abschied von der Anwesenheitspflicht lauter. Von der Generation Y haben wir aufgezeigt bekommen, welchen Preis die nach dem zweiten Weltkrieg ent­standene Priorisierung von „Work“ zu Lasten von „Life“, Familie, Partnerschaft, Beziehung und Freizeit hat. Den älteren Generationen wird von den jüngeren – zuweilen schmerzlich – vorgelebt, dass es auch anders geht, als sein Leben den beruflichen Herausforderungen und Erfolgen zu verschreiben. Lange ignorierte Fragen nach der eigenen intrinsischen Motivation, nach einem erfüllten Leben, nach Zeit miteinander und mit den eigenen Kindern sind heute unüberhörbar. Dazu kommt, dass die Komplexität der Welt und des eigenen Berufs eine neue Art der Kollaboration erfordert. Keine Expertin und kein Experte dieser Welt können noch alles wissen. Sie sind angewiesen auf digitale Inhalte und Werkzeuge sowie auf persönliche Netzwerke von Kolleginnen und Kollegen.

Jedenfalls in der Welt der Wirtschaftsunternehmen ist der Frust mit dem traditionellen Management gut erforscht und auch in der Tagespresse nicht mehr zu überlesen. Mitarbeiter klagen über Demotivation, die mangelnde oder die von oben vorgegebene Veränderung, sich selbst überschätzende Vorgesetzte und die fehlenden Frühwarnsysteme in Organisationen (man muss nur an die Deutsche Bank, VW oder den Berliner Flughafen denken …). Doch auch viele Start-ups scheitern. Den Studien zufolge liegt dies vor allem an dem mangelnden Product-Market-Fit, ungeeigneten Teams, zu wenig Kapital oder an in die ursprüngliche Idee verliebten Gründern.

Zu diesen arbeitsbezogenen Entwicklungen kommen zahlreiche globale Trends hinzu. Wir sind konfrontiert mit dem drohenden Auseinanderfallen der EU, dem Terrorismus, der sich wandelnden Rolle von Amerika, den Exzessen des Finanzkapitalismus, der Allianz von Banken und Staat und der Migration. Für alle Themen fehlen uns heute noch kluge Antworten.

Die Anwaltschaft hat das Potential und die Ressourcen, um auf diese globalen Trends und die genannten Entwicklungen der Arbeitswelt passende Antworten zu finden. Sie kann die Rolle eines „Game-Changers“ in der Welt übernehmen. Und sie sollte dies auch. Die Bucerius Law School hat für sich drei Kernwerte definiert: Mut, Gemeinschaftssinn und Exzellenz. Wenn uns Juristinnen und Juristen diese Kernwerte bei der täglichen Arbeit leiten, ist schon viel gewonnen. Im nächsten Schritt müssen wir dann konkret werden und überlegen, welche Antworten, Lösungen und nächsten Schritte nicht nur für uns persönlich, sondern auch für die Gesellschaft und die nachfolgenden Generationen notwendig sind. Nach dem Leitsatz „Verändere Dich, bevor Du verändert wirst!“ ist es daher Zeit für Kanzleien, über Alternativen ihrer Strategie und Vision, ihrer Kultur, ihrer Governance-Strukturen und ihrer internen Prozesse (Mandatsbearbeitung, Projektmanagement, HR, IT, BD usw.) nachzudenken. Wie kann das konkret aussehen?

Partnerschaft neu definieren?

Der Branchendienst Juve Newsline meldete Anfang November 2016, dass die Magic-Circle-Kanzleien an ihren strukturellen Grundfesten rüttelten, ausgelöst durch den verstärkten Markteintritt von amerikanischen Kanzleien in Deutschland. Es gibt Büroschließungen zu verzeichnen, und Überlegungen werden laut, das Vergütungssystem der Partnerschaft zu flexibilisieren und stärker am individuellen Umsatz auszurichten. Auch muss die Zahl der Equity-Partnerinnen und -Partner sinken, um den Gewinn insgesamt hoch zu halten. Zudem haben die großen wirtschaftsberatenden Kanzleien auch gerade wieder ihre Einstiegsgehälter auf 120.000 oder gar 140.000 Euro pro Jahr erhöht. Hierzu passt die Stellenanzeige von Buse Heberer Fromm von Oktober 2016 mit dem Titel „Auf Partnersuche“. Der Leitspruch ist: „Wir haben Partnerschaft neu definiert“. In der Anzeige und auf der korrespondierenden Internetseite (http://buse.de/partnerschaft/) erfährt die Leserin: „Wenn Sie das Gefühl haben, die Umsatzmeldung Ihrer Kanzlei steht in keinem Verhältnis zu Ihrer Entnahme, sollten Sie mit uns sprechen.“ Auch wenn die Leserin – die jedenfalls nicht ausdrücklich angesprochen wird, denn gesucht werden nur Partner – meint, „Geben und Nehmen entwickele sich zur Einbahnstraße“, sie habe „keinen Bock auf gemeinsame Kasse“ und unter „Partnern (den Männern?) ginge es immer nur ums Prinzip“, dann sei sie bei Buse Heberer Fromm richtig. In dem „Quick-Check“ auf der Internetseite erfahren wir indirekt mehr über die angedachten Lösungen. Es soll eine einfache Mehrheit bei Beschlüssen geben. Eine Geschäftsführung und ein Partnerrat sollen für die Beschlussfassung ausreichen, ohne dass es weiterer „Heads of irgendwas“ bedürfe. Die Höhe und der Zeitpunkt der eigenen Entnahmen sollen selbstbestimmt sein. Auch wenn von außen der Einblick in die konkrete Ausgestaltung der Neudefinitionen von Standorten, Partnerschaft, Vergütungsmodellen und Associate-Gehältern fehlt, so ist in jedem Fall zu begrüßen, dass sich etwas verändert.

Kanzleien neu aufstellen

Meiner Meinung nach ist es jedoch nicht nur Zeit, die Partnerschaft neu zu definieren, sondern auch, die gesamte Kanzlei neu aufzustellen. Das Gleiche gilt für Unternehmen. Nur so können wir Antworten auf die globalen Trends und die Entwicklungen der Arbeitswelt finden, die von uns Menschen ohnehin nicht aufzuhalten sind. Statt überrascht zu werden von Entscheidungen einer Mehrheit oder Auffassungen einer großen Gruppe, die bis dato unterschätzt wurden (siehe die Nachwuchsprobleme der Kanzleien sowie die globalen Themen Brexit, Trump, AfD, Menschen, die sich auf der Schattenseite der Digitalisierung sehen, etc.), sollten wir Kanzleien und Unternehmen anders gestalten. Wenn beide Organisationsformen Orte darstellen, in denen Antworten auf die Fragen unserer Zeit gesucht und gefunden werden, die jeweiligen Strukturen und Prozesse die Teilhabe aller ermöglichen und das gesamte Potential der beteiligten Menschen in den Arbeitsprozess eingebunden wird, haben wir die Grundlage für Veränderung hin zum Besseren gelegt. Kanzleien müssten dann nicht mit Einstiegsgehältern von 140.000 Euro und Partner-entnahmen nach US-amerikanischem Vorbild für eine Tätigkeit bei sich werben. Die administrativen und die anwaltlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen würden kommen, weil sie motiviert wären, an der gemeinsamen Unternehmung teilzuhaben. Die Rolle von Geld und Status würde hinter die der Motivation zurücktreten.

Handlungsempfehlungen

Wie kann das gehen? Meiner Meinung nach stehen dafür drei Wege zur Verfügung.

Kanzleien können ihre eigene Governance und ihre Strukturen den Regeln der Selbstorganisation schrittweise annähern. Sie können etwa alle Mitarbeiter in die Strategieentwicklung einbeziehen, Stellenprofile ganz neu definieren, die spiralförmige statt der linearen Karriere einführen, Entscheidungen in die Teams verlagern oder die Mitarbeiter ihre Löhne selbst festlegen lassen (vgl. „Wir sind Chef“). Wer jetzt denkt: „Das geht doch nicht!“, dem sei zunächst die Lektüre des zitierten Buchs empfohlen.

Zudem könnten Kanzleien oder jedenfalls Kanzleineugründungen den Schritt wagen, sich von vornherein als komplett selbstgeführte Kanzlei aufzustellen (vgl. „Reinventing Organizations“, „Holacracy. Ein revolutionäres Managementmodell für eine volatile Welt“, encode.org „For purpose enterprises“). Was dieser – radikale – Schritt für den Gesellschaftsvertrag, die Gewinnverteilung, die Ausrichtung der Kanzlei an einem inhaltlichen Zweck (der nicht Gewinnmaximierung ist), die Aufgabenerledigung und das Miteinander bedeutet, ist einem anderen Beitrag vorbehalten.

Schließlich können Kanzleien die Beratung von Pionierunternehmen übernehmen, die nach den Regeln der Selbstorganisation und der agilen Netzwerke operieren, und diese so auf dem Weg des Wandels begleiten. Dabei werden die einzelnen beratenden Personen auch viel für die Strukturen und die Organisation der eigenen Kanzlei mitnehmen können.

„Anfangen“ war der Titel der Rede von Carolin Emcke bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2016. Und darum geht es hier auch!

jo.aschenbrenner@law-school.de

 

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