Oder: „We are doing it for the money“
Von Dr. Jo B. Aschenbrenner, LL.M.
Wenn Sie nach der Lektüre von Teil 1 dieser Artikelserie (siehe dazu HIER) zustimmen, dass es nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Kanzleien Zeit ist, etwas zu ändern, dann stellt sich die Frage nach dem Was und dem Wie. Der erste Hebel für Veränderung ist meiner Meinung nach, das eigene Verständnis von Erfolg unter die Lupe zu nehmen. Wenn wir Erfolg als Zielerreichung definieren, dann schließt sich die Frage an, welche Ziele in Kanzleien verfolgt werden.
Umsatz- und Gewinnmaximierung als Leitziel
Die These dieses Artikels ist, dass Kanzleien, wie auch der Mainstream an Wirtschaftsunternehmen, in Ermangelung von etwas Besserem als alleiniges oder jedenfalls vorrangiges Ziel die Umsatz- und Gewinnmaximierung verfolgen. Die kanzleiinternen Stichwörter lauten: Profit per Equity-Partner (PEP), Umsatz pro Berufsträger (UBT), Billable Hours usw. – auch wenn das keine Kanzlei auf ihrer Internetseite ausdrücklich so sagt. Dieser Zielsetzung folgt dichtauf die Wachstumsmaxime in Bezug auf Mitarbeiter, Standorte, Produktivität und Effizienz. Bei diesem Blick auf Kanzleien könnten wir auch sagen: „Juve lässt grüßen.“ Auch wenn es für die genannte These keinen empirischen Beleg gibt, so konnten wir doch in zahlreichen Leadership-Seminaren des Bucerius Center on the Legal Profession erleben, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über die verschiedenen Ziele und Zielfelder von Kanzleien diskutierten.
Nach Fredmund Malik sollen Unternehmen in sechs Zielfeldern aktiv sein, ohne dass die Auflistung einer Reihenfolge entspricht. Diese sechs Bereiche sind: Gewinn und Rendite, Produktivität, Liquidität und Cashflow, Marktstellung, Attraktivität für gute Mitarbeiter und Innovationsleistung. Stellten wir dieses Modell zur Diskussion, wurde selten bis nie geäußert, dass die Frage des Gewinns eine Folge des Erreichens anderer Ziele sein könnte oder sollte. Niemand meinte, Innovation oder die Attraktivität für gute Leute sollten zuerst kommen. Die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei den Seminaren war sich einig, dass Kanzleien zuerst Gewinn brauchen, um sich dann auch den anderen fünf Zielfeldern zuwenden zu können. Darüber hinaus stellte keine Person die intrinsische Motivation der Mitglieder einer Kanzlei an die erste Stelle. Motivation wird vielmehr vorausgesetzt oder durch materielle Anreize zu befördern versucht. Die Frage nach dem Sinn der eigenen Arbeit tauchte in den Diskussionen nicht auf. Keiner fragte, warum „Gewinn und gewinnen“ gut sind. Doch geht es auch anders?
Die Schattenseiten der Umsatz- und Gewinnmaximierung
An dieser Stelle möchte ich klarstellen: Gewinn- und Umsatzmaximierung ist die vorherrschende Ausrichtung in der Wirtschaft und bestimmt in vielen Fällen die Spielregeln für Unternehmer und ihre Anwältinnen und Anwälte. Wer nicht mitmacht, ist außen vor. Gewinn- und Umsatzsteigerungen verleihen zudem Status, finanzielle Zufriedenheit und Einfluss. Sie sind angenehm und befriedigend. „Gewinn und gewinnen“ sollten daher immer wichtige Ziele der Unternehmens- oder Kanzleiführung sein.
Die Schattenseiten der Fokussierung auf Gewinnmaximierung zeigen sich jedoch in unserer Welt auch sehr deutlich. Leadership gerät auf das Abstellgleis (vgl. das hervorragende Buch Leadership BS von J. Pfeffer), das Miteinander wird von Effizienzkriterien geleitet, Konflikte werden unter den Teppich gekehrt, die persönliche Weiterentwicklung wird auf die Zeit des Rentenalters verschoben, und dem eigenen Ego wird in diesem System eine perfekte Spielfläche geliefert. Durch unseren Konsum beuten wir die Weltressourcen aus, ohne dass wir Antworten für die Generationen unserer Kinder und Enkel haben. Derzeit fehlen uns auch tragfähige Antworten zu Migration und Flüchtlingsströmen. Je mehr wir als Anwälte durch Beratung oder Schiedsrichtertätigkeit das System von Wirtschaftsunternehmen dieser Prägung stützen, desto mehr stützen wir indirekt die weltweiten Probleme von unter anderem Migration aus Afrika oder globaler Erwärmung.
Auch 50 Jahre an Managementliteratur und zehn bis 15 Jahre der intensiven Befassung mit Konfliktmanagement in der Wirtschaft konnten an dem generellen Befund zu den genannten Schattenseiten nichts ändern. Zwar spricht rational vieles für alternative Konfliktlösungsverfahren wie Mediation (siehe dazu Hammes/Hartog, in Dispute Resolution, HIER) oder für Leadership, Feedback und Coaching (siehe dazu die bekannten Gallup-Studien), aber sie werden nicht angewandt. Das ist doch spannend. Meiner Meinung nach liegt die Lösung nicht in weiterer Aufklärung über die Vorteile von Mediation und Leadership, nicht in moralischen Appellen zu einer anderen Haltung und nicht in Trainingsmaßnahmen für diese Kompetenzen. Der Schlüssel zur Veränderung liegt in neuen Systemen, Strukturen und Prozessen. Unternehmen und Kanzleien brauchen ein anderes „Betriebssystem“. Mit anderen Worten: „Fix the System!“
Ein neues Betriebssystem für Unternehmen und Kanzleien
Wie könnte eine Kanzlei mit einem neuen Betriebssystem aussehen? Eine Möglichkeit ist, eine „For Purpose Law Firm“, kurz FPLF, zu werden (so wie Unternehmen FPEs, „For Purpose Enterprises“, werden können). Eine „For Purpose Law Firm“ folgt den von F. Laloux erforschten Grundsätzen sogenannter evolutionärer Organisationen. Diese Organisationen haben das vorherrschende Paradigma des Wirtschaftsunternehmens moderner Prägung auf der Suche nach etwas anderem hinter sich gelassen. Mittels Strukturen und Prozessen haben sie ihre Arbeit selbst organisiert.
Ein erprobtes System der Selbstorganisation der Arbeit ist Holacracy. Es bedeutet den Abschied von der Organisationsstruktur einer Kanzlei in Form einer Pyramide und stattdessen das Bekenntnis zu agilen Netzwerken. Diese Unternehmen folgen zudem dem sogenannten evolutionären Zweck des Unternehmens. In Abkehr von der klassischen Strategie und den Tätigkeiten von Vorhersage und Kontrolle werden der inhaltliche Zusammenhalt und die Ausrichtung des Unternehmens von diesem evolutionären Zweck geleitet. Er beantwortet die Frage nach dem „Warum“ des Unternehmens.
Laloux hat in seinem Buch weltweit zwölf Unternehmen mit jeweils über 100 Mitarbeitern näher untersucht, die ihrem evolutionären Zweck folgen und damit hochprofitabel sind. Evolutionäre Unternehmen sind darüber hinaus auf der Suche nach Ganzheitlichkeit, wie sie es nennen. Es geht darum, dass alle Mitglieder des Unternehmens sich nicht nur von ihrer professionellen Seite zeigen dürfen und sollen, sondern mit allen Facetten ihres Menschseins – ganzheitlich eben, mit ihren Wünschen und Bedenken sowie mit ihren Kompetenzen und ihren Unzulänglichkeiten. Evolutionäre Unternehmen haben daher auch Praktiken entwickelt, bei denen dieses Verständnis im Alltag Platz findet.
Die rechtlichen, finanziellen und sozialen Regeln für evolutionäre Organisationen
Evolutionäre Unternehmen brauchen darüber hinaus spezifische Gesellschaftsverträge, um die rechtlichen und finanziellen Aspekte des gemeinsamen Wirtschaftens so zu gestalten, dass sie Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und evolutionären Zweck fördern und nicht durch die Hintertür wieder zunichte machen. Sie brauchen auch soziale Regeln, um das Miteinander zu stärken und Konflikte auszuräumen – sei es durch internes Konfliktmanagement oder das geteilte Bekenntnis zu persönlicher Weiterentwicklung.
Fazit
Für die eine oder den anderen mag das alles utopisch klingen oder zu schön, um wahr zu sein. Fakt ist, es gibt Unternehmen, die erfolgreich so operieren, und das seit Jahren. Meines Wissens gibt es weltweit noch keine Kanzlei, die so vorgeht. Es ist also Zeit für die erste Trendsetterkanzlei! Zu dem gezeichneten Bild gehört hinzu, dass die Entwicklung zur „For Purpose Law Firm“ oder zum „For Purpose Enterprise“ nicht umsonst zu haben ist. Es erfordert Mut, die traditionellen Wege zu verlassen. Die Selbstorganisation der Arbeit, gerade mit Holacracy, erfordert sehr viel Meetingdisziplin und das Einhalten von Regeln. Die persönliche Weiterentwicklung ist nicht immer nur angenehm. Doch unter dem Strich ist es eine wunderbare Möglichkeit, vollständig intrinsisch motiviert zu arbeiten. „Working, earning and living on purpose“ lässt grüßen!
jo.aschenbrenner@law-school.de
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