Im Blickpunkt: Die Digitalsteuer der EU-Kommission
Von Dr. Ulrike Bär, LL.M. (Tax)
Die EU-Kommission fordert eine grundlegende Reform der internationalen Steuervorschriften, bei der die Art der Wertschöpfung und der Ort der Besteuerung besser verknüpft werden. Dazu schlägt die Kommission als vorläufige Maßnahme eine Digitalsteuer vor, um den Besteuerungsproblemen im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft entgegenzutreten.
Unzureichende Erfassung digitaler Aktivitäten
Die zunehmende Digitalisierung und die damit verbundene Vielfalt der Geschäftsmodelle stellen die Steuerpolitik vor große Herausforderungen. Das geltende Ertragsteuersystem folgt dem Grundsatz, dass Gewinne am Ort der Wertschöpfung besteuert werden sollen. Seine Ausgestaltung wurde jedoch für „konventionelle Geschäftsmodelle“ konzipiert. Was ein Besteuerungsrecht in einem Land auslöst und wie viel der Unternehmenserträge einem Land zugeordnet werden, wird daher in erster Linie auf der Grundlage einer physischen Präsenz in dem Land bestimmt.
Digitale Aktivitäten werden dadurch nicht hinreichend erfasst. Digitale Unternehmen weisen andere Merkmale als traditionelle Unternehmen in Bezug auf die Frage auf, wie die Wertschöpfung erfolgt. Immaterielle Vermögenswerte, Daten und generell der Beitrag der Endnutzer (Kunden) zur Wertschöpfung spielen die wesentliche Rolle. Eine physische Präsenz in dem betreffenden Land ist nicht erforderlich. Die Anwendung des geltenden Ertragsteuersystems führt daher bei diesen Unternehmen zu einem immer weiteren Auseinanderklaffen zwischen dem Ort der Wertschöpfung und der Besteuerung.
BEPS und GKKB als Grundlage
Das soll sich durch die von der EU-Kommission vorgelegten Vorschläge ändern. Konkret handelt es sich um zwei Richtlinienentwürfe, durch die eine angemessene Besteuerung von digitalen Tätigkeiten sichergestellt werden soll. Die Vorschläge sehen an möglichen Lösungen eine kurz- und eine langfristige Maßnahme vor. Die kurzfristige Zwischenlösung soll Alleingänge einzelner Mitgliedstaaten verhindern, die zu Wettbewerbsverzerrungen und der Zersplitterung des gemeinsamen Marktes führen könnten. Der Druck auf die Mitgliedstaaten, kurzfristig Maßnahmen für eine angemessene Besteuerung digitaler Tätigkeiten zu ergreifen, ist groß.
Bezogen auf die von der Kommission auf EU-Ebene angestrebte gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), stellen die Vorschläge eine wichtige Unterstützung dar. So soll der Inhalt der langfristigen Lösung in die GKKB einfließen. Auch die Arbeiten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Rahmen des Base-Erosion-and-Profit-Shifting-Projekts (BEPS) sollen durch die Vorschläge unterstützt werden.
Langfristige Lösung: Erweiterung des Betriebsstättenbegriffs in der EU
Die langfristige Lösung setzt innerhalb der bereits bestehenden Körperschaftsteuersysteme der Mitgliedstaaten an. Gewinne, die in einem Staat durch digitale Aktivitäten erwirtschaftet werden, sollen auch ohne eine physische Präsenz des betreffenden Unternehmens in diesem Staat besteuert werden. Dies soll durch eine Erweiterung des körperschaftsteuerrechtlichen Betriebsstättenbegriffs um die sogenannte „signifikante digitale Präsenz“ (virtuelle Betriebsstätte) und darauf abgestimmte Regeln zur Gewinnzuordnung erreicht werden.
Die „signifikante digitale Präsenz“ wird mit Hilfe von drei Kriterien bestimmt. Dabei genügt es, wenn mindestens eines der nachfolgenden Kriterien erfüllt ist:
- das Unternehmen erzielt – allein oder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen – Umsatzerlöse aus digitalen Leistungen in einem Mitgliedstaat, die 7 Millionen Euro pro Jahr übersteigen;
- die Anzahl der Nutzer der digitalen Leistungen in einem Mitgliedstaat übersteigt 100.000 pro Jahr; oder
- die Anzahl an abgeschlossenen Onlineverträgen übersteigt 3.000.
Die nutzerbasierten Kriterien sollen die verschiedenen Arten digitaler Geschäftsmodelle abdecken, bei denen über digitale Kanäle eine intensive Interaktion zwischen dem Unternehmen und den Nutzern stattfindet. Die Schwellenwerte dienen dazu, Bagatellfälle auszuschließen und Unternehmen nicht übermäßig durch steuerrechtliche Compliancekosten zu belasten.
Die Gewinnzurechnung zu dieser signifikanten digitalen Präsenz folgt weiterhin dem Grundsatz, dass Gewinne am Ort der Wertschöpfung besteuert werden. Das erfordert neue Regeln, da sich bei digitalen Unternehmen die Wertschöpfung anders als bei herkömmlichen Unternehmen maßgeblich mit Hilfe der Nutzer vollzieht. Kommt es bei herkömmlichen Betriebsstätten entscheidend auf die „Personalfunktionen“ an, sind bei virtuellen Betriebsstätten in Form einer signifikanten digitalen Präsenz die über die digitale Schnittstelle ausgeübten Funktionen maßgeblich. Diese Funktionen sind anhand der über die digitale Schnittstelle ausgeübten „wirtschaftlich signifikanten Tätigkeiten“ zu ermitteln. Dazu zählen etwa:
- Erhebung, Speicherung, Verarbeitung, Analyse, Bereitstellung und Verkauf von Daten auf Nutzerebene;
- Erhebung, Speicherung, Verarbeitung und Anzeige nutzergenerierter Inhalte;
- Verkauf von Onlinewerbeflächen;
- Bereitstellung von Inhalten Dritter über einen digitalen Marktplatz.
Kurzfristige Zwischenlösung: Digitalsteuer auf bestimmte digitale Tätigkeiten
Die Zwischenlösung sieht eine Steuer auf Erträge aus der Erbringung bestimmter digitaler Dienstleistungen vor (Digitalsteuer). In erster Linie sollen Geschäftsmodelle erfasst werden, bei denen die Nutzer einer Plattform besonders intensiv an der Wertschöpfung des Unternehmens beteiligt sind. Das betrifft vor allem die großen US-Digitalunternehmen (Google, Apple, Facebook und Amazon). Deren Erträge werden bislang nicht wirksam besteuert. Die Digitalsteuer soll dieses Defizit kompensieren und den Mitgliedstaaten dadurch zusätzliche Einnahmen verschaffen, bis sich die Staaten auf eine endgültige Lösung geeinigt haben.
Von der Digitalsteuer sollen folgende Tätigkeiten erfasst werden:
- die Platzierung von Werbung auf einer digitalen Schnittstelle, die sich an die Nutzer dieser Schnittstelle richtet;
- die Bereitstellung einer mehrseitigen digitalen Schnittstelle für Nutzer, die es diesen ermöglicht, andere Nutzer zu finden und mit ihnen zu interagieren, und die darüber hinaus die Lieferung zugrundeliegender Gegenstände oder Dienstleistungen unmittelbar zwischen Nutzern ermöglichen kann;
- die Übermittlung gesammelter Nutzerdaten, die aus den Aktivitäten der Nutzer auf digitalen Schnittstellen generiert werden.
Um Start-up- und Scale-up-Unternehmen nicht zu belasten, fallen in den Anwendungsbereich nur Unternehmen mit einem globalen Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro pro Jahr und einem Umsatz aus steuerpflichtigen digitalen Leistungen von mindestens 50 Millionen Euro pro Jahr in der EU.
Als Bemessungsgrundlage der Digitalsteuer ist der Bruttoertrag aus den relevanten digitalen Tätigkeiten vorgesehen; Umsatzsteuer und ähnliche Steuern sind davon abzuziehen. Der Steuersatz soll 3% betragen.
Um den Complianceaufwand zu minimieren, wird für die Erklärung und Erhebung der Digitalsteuer auf EU-Ebene ein Vereinfachungsmechanismus vorgeschlagen. Er basiert auf dem sogenannten „One-Stop-Shop“-Modell der Umsatzsteuer. Das Besteuerungsrecht soll dabei den Staaten zustehen, aus denen die kommerzialisierten Daten stammen oder in denen die Nutzer ansässig sind, die für die Plattformnutzung zahlen.
Umsetzung fraglich
Die Umsetzung beider Richtlinienvorschläge in den Mitgliedstaaten ist für 2020 vorgesehen. Ob dieses Ziel und überhaupt eine politische Einigung auf EU-Ebene erreicht werden können, ist fraglich. Einzelne Mitgliedstaaten haben bereits Widerstände insbesondere gegen die Digitalsteuer angekündigt. Die beiden Vorschläge werden nun dem Rat zur Annahme und dem Europäischen Parlament zur Konsultation vorgelegt.