Der halbjährliche Praxisüberblick zum Produkthaftungs- und Produktsicherheitsrecht

Von Philipp Reusch

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Produkthaftung und Produktsicherheit erhalten im Praxisalltag eine immer größer werdende Bedeutung. Nicht selten führen Beteiligte im Schadensfall kostspielige Prozesse, teilweise bis zum BGH. Von nun an werden wir Sie halbjährlich im Deutschen AnwaltSpiegel über die aktuelle produkthaftungs- und produktsicherheitsrechtliche Rechtsprechung informieren.

Sachmängelhaftungsrecht
OLG Frankfurtam Main, Beschluss vom 18.02.2019 – 13 U 186/17: Das OLG Frankfurt am Main betont in seinem Beschluss, dass grundsätzlich keine Rechtsgrundlage existiere, die den Hersteller oder Importeur gegenüber dem Endverbraucher verpflichte, Ersatzteile für die gesamte Lebensdauer eines Produkts bereitzuhalten. Regelmäßig bestehe zwischen dem Käufer und dem Hersteller oder Importeur kein Vertragsverhältnis. Der Vertrag zwischen dem Hersteller und dem Händler entfalte weder Schutzwirkung für den Verbraucher, noch stelle er einen Vertrag zugunsten des Verbrauchers dar, weil die jeweiligen Voraussetzungen nicht vorlägen. Ein gesetzliches Schuldverhältnis lasse sich auch nicht grundsätzlich aus einer Vertrauensbeziehung oder aus Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ableiten. Eine Pflicht zur Bereitstellung von Ersatzteilen über die gesamte Lebensdauer eines Produkts gegenüber einem Hersteller kann sich höchstens aus einer Garantieübernahme ergeben, die vorliegend aber nicht vorgetragen wurde.

Produkthaftungsrecht
OLG Brandenburg, Urteil vom 26.02.2019 – 6 U 26/18: Für die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) ist die Herstellereigenschaft entscheidend. Der umfangreiche Herstellerbegriff ist in § 4 ProdHaftG geregelt. Das OLG Brandenburg hatte über die Herstellerhaftung einer Netzbetreiberin für Überspannungsschäden zu entscheiden. Es stellte fest, dass auch die Netzbetreiberin Herstellerin im Sinne des ProdHaftG sei, da erst sie den Strom auf eine Spannungsebene transformiere, mit der Verbraucher ihre Geräte nutzen können. Da auch Strom ein Produkt nach dem ProdHaftG sei und eine Überspannung einen Fehler darstelle, hafte die Netzbetreiberin für dadurch entstandene Schäden (vgl. bereits BGH, Urteil vom 25.02.2014 – VI ZR 144/13).
OLG Stuttgart, Urteil vom 11.09.2018 – 6 U 6/15: Das OLG Stuttgart äußerte sich zu der bereits bekannten Thematik, wann ein Schaden im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB ersatzfähig ist, wenn er am fehlerhaften Produkt selbst eintritt. Es ist in solchen Fällen fraglich, ob überhaupt eine Eigentumsverletzung vorliegt. War eine Sache von Anfang an mangelhaft, so ist eine Verletzung des Eigentums nicht möglich. Der Eigentümer eines Kfz behauptete, dass ein fehlerhafter Filter zur Verunreinigung des Hydrauliköls führte, was wiederum das ABC-System seines Kfz beschädigte, und machte deshalb Ansprüche gegen den Hersteller des Kfz geltend. Das OLG stellte klar, dass ein Schaden am fehlerhaften Produkt selbst auch nach § 823 Abs. 1 BGB ersatzfähig sei, wenn das Integritätsinteresse des Geschädigten betroffen sei, soweit also der ursprüngliche Mangelunwert und der später eintretende Schaden nicht stoffgleich seien. Das OLG hielt fest, dass viel für eine Ersatzpflicht spreche, der Anspruch scheiterte allerdings daran, dass sich nicht sicher ausschließen ließ, dass der Schaden auf Verschleiß beruhte.
Gewährleistungsrechtliche und produkthaftungsrechtliche Ansprüche kamen nicht in Betracht, da seit Inverkehrbringen bereits mehr als zehn Jahre vergangen und die Ansprüche daher verjährt waren.
OLG Hamm, Urteil vom 20.07.2018 – 7 U 29/17: Es ist bekannt, dass der Geschädigte das für § 823 Abs. 1 BGB notwendige Verschulden des Herstellers in der Praxis schwer beweisen kann. Deswegen dreht die Rechtsprechung im Rahmen der Produzentenhaftung die Beweislast für dieses Tatbestandsmerkmal um. Der Hersteller hat dann nachzuweisen, dass ihn kein Verschulden trifft. Das OLG Hamm stellte klar, dass sich diese Beweislast­umkehr auf das Verschulden beziehe – und nicht etwa auf die Kausalität des Mangels für den Schaden. Der Geschädigte konnte im vorliegenden Fall nicht nachweisen, dass die vom Hersteller produzierte Zuggabel gerade aufgrund eines gutachterlich nachweisbaren Mangels gebrochen war. Der Nachweis, dass der Mangel zum Schaden geführt hatte, war ihm nicht möglich. Auch die Voraussetzungen für einen Anscheinsbeweis lagen nicht vor, obwohl die Regeln der Technik laut Gutachten nicht eingehalten wurden, was regelmäßig einen solchen Anscheinsbeweis begründet. Für das Vorliegen eines Anscheinsbeweises hätte der Geschädigte einen nach der Lebenserfahrung typischen Geschehensablauf beschreiben müssen – was er nicht konnte.
LG Freiburg, Urteil vom. 15.10.2018 – 1 O 240/10: Mehrfach waren Fragestellungen zu potentiell unzureichenden Gebrauchsanleitungen Gegenstand von Gerichtsverfahren. Wird ein Instruktionsfehler bejaht, haftet der Hersteller bei Hinzutreten der weiteren Voraussetzungen im Rahmen der Produzentenhaftung (§ 823 Abs. 1 BGB) und des Produkthaftungsgesetzes. Das LG Freiburg stellte fest, dass eine OP-Anleitung, die nur einen „leichten Schlag“ zum Einsetzen eines Hüftprothesenteils vorsehe, fehlerhaft sei, wenn das Teil zur Vermeidung von Abrieb tatsächlich mit „hoher Kraft“ eingesetzt werden müsse (Instruktionsfehler). Der Hersteller berief sich auf einen Entwicklungsfehler i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG, bei dessen Bejahung eine Haftung des Herstellers ausgeschlossen ist. Dieser liegt allerdings nur dann vor, wenn ein Produktfehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nach dem Stand von Wissenschaft und Technik objektiv durch jedermann nicht erkannt werden könne. Da es sich im vorliegenden Fall um eine Innovation handelte, hätte diese intensiver und dem Risikopotential angemessen getestet werden müssen, wobei der Fehler hätte erkannt werden können. Die Klage des Geschädigten war daher erfolgreich.
AG Hechingen, Urteil vom 13.03.2019 – 6 C 201/18: In einem weiteren Fall wurde die Bedienungsanleitung für ein Langzeitblutdruckmessgerät nachträglich geändert. Das AG Hechingen stellte fest, dass eine solche Änderung allein nicht den Schluss zulasse, dass ein In­­­struktionsfehler vorliege. Ein inhaltlicher Mangel wurde vom Gericht auch vor der Änderung der Anleitung nicht gesehen. Im Übrigen scheiterte die Klage daran, dass der Kläger den Kausalitätsbeweis zwischen Instruktionsfehler und Schaden nicht führen konnte.

Produktsicherheitsrecht
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.02.2019 – 6 U 181/17: Der Verbraucher ist es gewohnt, zu fast allen Produkten eine Gebrauchsanleitung zu erhalten. So sieht es § 3 Abs. 4 ProdSG auch ausdrücklich vor, wonach einem Produkt eine Gebrauchsanleitung in deutscher Sprache beizufügen ist. Das OLG Frankfurt am Main hat allerdings unterstrichen, dass es nach dem ProdSG gleichgültig sei, in welcher Form die Anleitung mitgegeben wird. Ausreichend sei es, die Anleitung als Mail per PDF bereitzustellen. Etwas anderes ergebe sich weder aus der Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit noch aus der Verordnung über die Sicherheit von Spielzeug. Vorliegend setzte der Kläger gegen die Beklagte erfolgreich einen Unterlassungsanspruch nach dem UWG durch, da keine deutsche Anleitung bereitgestellt worden war (außerdem war die verwendete Batterie in die falsche Kategorie des Batterieregisters eingetragen).
Diese Herangehensweise steht im Widerspruch zur Maschinenrichtlinie, im Rahmen derer nach wie vor die Bereitstellung einer Anweisung in Papierform vorgesehen ist.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom. 29.11.2018 – 6 U 111/17: In einer weiteren relevanten Entscheidung entsprachen Sektionaltore nicht den Anforderungen der Maschinenrichtlinie und waren somit unsicher. Das OLG Frankfurt am Main stellte fest, dass unter Umständen auch ein Händler nach § 6 Abs. 5 ProdSG für den Vertrieb unsicherer Verbraucherprodukte verantwortlich sein kann. Zwar habe der Händler praktisch keine Einflussmöglichkeiten auf konstruktive und formale Aspekte, gleichwohl habe er nach § 6 Abs. 5 Satz 1 ProdSG dazu beizutragen, dass sich nur sichere Produkte auf dem Markt befänden. Was für einen Beitrag er zu leisten habe, werde in § 6 Abs. 5 Satz 2 ProdSG konkretisiert. Wisse er, dass das Produkt unsicher ist, oder hätte er es aufgrund der ihm vorliegenden Informationen wissen müssen, so dürfe er das Produkt nicht bereitstellen. Ist ein Händler Generalvertreter des Herstellers in mehreren Ländern und vertreibt er ausschließlich Produkte des Herstellers, so könne davon ausgegangen werden, dass er erhebliche Kenntnisse über das Produkt und somit über konstruktive Mängel habe. Da diese Voraussetzungen auf den Händler zutrafen, hätte er das Produkt nicht bereitstellen dürfen.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom. 05.07.2018 – 6 U 28/18: Ob ein Produkt sicher ist, kann gemäß § 5 Abs. 1 ProdSG auch mit Hilfe von Normen und anderen Spezifikationen wie DIN-Normen bestimmt werden.
Allerdings unterstrich das OLG Frankfurt am Main, dass solche Normen zugrunde gelegt werden können – nicht müssen. Außerdem müssten diese Normen dann auch zum jeweiligen Sachverhalt passen. In dem vom OLG zu entscheidenden Fall entsprach ein Tisch, der für den privaten Gebrauch bestimmt war, nicht den DIN-Normen für Bildungseinrichtungen. Das OLG betonte, dass nur solche DIN-Normen herangezogen werden könnten, die für das jeweilige Produkt Geltung entfalteten, was vorliegend nicht der Fall war. Eine Gefährdung von Sicherheit und Gesundheit von Personen i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 1 ProdSG konnte somit nicht festgestellt werden, so dass die Tische auch nicht als unsicher eingestuft wurden.
VG Düsseldorf, Urteil vom 26.02.2019 – 3 K 9147/18: Dass auch den Händler produktsicherheitsrechtliche Pflichten treffen, unterstrich das VG Düsseldorf. Die Behörde forderte einen Händler von sogenannten Balanceboards dazu auf, Auskünfte nach dem ProdSG zu erteilen.
Der Händler meinte, nicht Hersteller zu sein, es existiere keine Rechtsgrundlage für das behördliche Verlangen. § 28 Abs. 2 Satz 1 ProdSG ermächtigt die Behörde unter anderem dazu, Unterlagen und Muster anzufordern. Adressat dieser Maßnahmen ist der jeweilige Wirtschaftsakteur, wobei neben dem Hersteller unter anderem auch der Händler Adressat der Maßnahme sein kann. Abgesehen davon bejahte das VG auch die Herstellereigenschaft des Händlers. Als Hersteller gelte nach dem ProdSG auch derjenige, der an das Produkt etwa seinen Namen oder seine Marke anbringe. Zur Bejahung der Herstellereigenschaft reichte dem Verwaltungsgericht der Inhalt der Betriebsanleitung und der EU-Konformitätserklärung, insbesondere befand sich der Name der Marke des Händlers auf der Verpackung der Balance­boards.
VG Münster, Urteil vom 18.05.2018 – 7 K 2477/15: Über die Rechtmäßigkeit eines Kostenbescheids für die Prüfung von Tierspielzeug hatte das VG Münster zu entscheiden. Einer Händlerin wurde unter anderem vorgeworfen, dass einige Tierspielzeuge der Spielzeugrichtlinie unterfielen und deren Vorschriften nicht eingehalten worden seien. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, wurden eine Sichtprüfung und eine sicherheitstechnische Überprüfung durchgeführt, deren Kosten die Händlerin tragen sollte. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Kosten von der Händlerin nur soweit zu tragen seien, wie produktsicherheitsrechtliche Vorschriften nicht eingehalten worden seien, vgl. § 28 Abs. 1 Satz 4 ProdSG. Die Behörde stellte sich auf den Standpunkt, dass es sich bei dem Tierspielzeug dem äußeren Anschein nach um Spielzeug handele – und es deswegen die Vorgaben der Spielzeugrichtlinie erfüllen müsse.
Spielzeuge sind laut Spielzeugrichtlinie aber nur solche Produkte, die dazu bestimmt oder gestaltet sind, von Kindern unter 14 Jahren benutzt zu werden.
Während eine derartige Bestimmung unstreitig nicht vorlag, wurde darüber diskutiert, ob die Produkte wie Spielzeug gestaltet waren. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Tierspielzeuge – trotz ihrer äußeren Anziehungskraft auf Kinder – aufgrund der Beschriftung und Bebilderung auch wie Tierspielzeug gestaltet waren. Der Kostenbescheid war trotzdem teilweise in Höhe der Kosten für die Sichtprüfung rechtmäßig, da einige Tierspielzeuge kein CE-Kennzeichen aufwiesen und deswegen nicht die Anforderungen des ProdSG erfüllten.

Versicherungsrecht
OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.09.2018 – 8 U 27/17: Im Skandal um Silikonimplantate des Herstellers PIP forderte eine deutsche Geschädigte vom französischen Haftpflichtversicherer des Herstellers Schadensersatz und Schmerzensgeld. PIP hat über Jahre Brustimplantate veräußert, die unzulässigerweise mit Industriesilikon befüllt waren.
Ansprüche gegen PIP können allerdings nicht mehr durchgesetzt werden, da der Hersteller inzwischen insolvent ist. Der Haftpflichtversicherer behauptete im laufenden Prozess, der Deckungsschutz sei ausschließlich auf Frankreich begrenzt. Entsprechendes ist auch in den Versicherungsbedingungen vermerkt.
Das OLG Frankfurt am Main geht davon aus, dass dies eine mittelbare Diskriminierung darstellt. Im Rahmen des Prozesses hat das OLG dem EuGH die Frage vorgelegt, ob auch Private, mithin der Haftpflichtversicherer, Adressat des Diskriminierungsverbots des Art. 18 Abs. 1 AEUV seien.

p.reusch@reuschlaw.de

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