Neue Erfolgsformel für den Powersyndikus – oder: Warum es nicht mehr ausreicht, nur Anwalt zu sein
Von Dr. Bruno Mascello LL.M., EMBA HSG
Die folgenden Ausführungen basieren auf einem Vortrag, den der Autor am 21.04.2016 anlässlich des 1. Frankfurter Frühlingsempfangs für Unternehmensjuristen gehalten hat. Dieser drehte sich um die Frage, was heute einen erfolgreichen Syndikus auszeichnet. Zur bildlichen Darstellung wurden die nach außen erkennbaren Insignien des altrömischen Soldaten herangezogen: Während eines Kriegs konnten die Soldaten einfach anhand ihrer Waffen und Rüstungen („arms“) schnell erkannt werden. In Friedenszeiten war das schwieriger, weshalb sie während dieser Zeit symbolisch wenigstens den Gurt („belt“) trugen, an dem das Schwert befestigt wurde. Die so formulierte Formel „PS = ARMS & BELTS“ kann als Aufhänger benutzt werden, um auf einfache Weise die heute wichtigsten Anforderungen an erfolgreiche Syndizi zusammenzufassen.
Anlass für eine neue Erfolgsformel
Für Juristen, seien sie in einer Kanzlei oder in einer Rechtsabteilung tätig, reicht es heute längst nicht mehr aus, nur Fachexperte für Rechtsfragen zu sein. Die Herausforderungen der Klienten und Kunden haben sich gewandelt, und die Ansprüche sind gestiegen. Sie verlangen heute nicht nur eine Rechtsauskunft, sondern dass der Rechtsrat in ihr Arbeitsumfeld eingepasst wird, damit er ihnen dort den erhofften Nutzen bringt. Dies stellt dann den sichtbaren Mehrwert eines wertvollen Rechtsrats dar, der sich also vom einfachen Tausch „Rechtsauskunft gegen Honorar“ klar abgrenzt. Es sind also neue Aufgaben hinzugekommen, die es gleichzeitig zu erfüllen gilt. Dieses erweiterte Portefeuille an zusätzlichen Anforderungen verlangt nach einer Art „Super Mario“ (oder: Marion) oder eben einem Powersyndikus. Mittels des eingangs genannten Akronyms sollen die einzelnen Elemente untersucht werden.
A wie Anwalt
Grundsätzlich besteht zwischen Anwalt und Kunde ein Informationsgefälle in beide Richtungen: Der Kunde besitzt die Informationen des maßgeblichen Sachverhalts und der Anwalt die rechtliche Fachexpertise. Die gute Nachricht vorab: Welche Informationen ein Anwalt von seinem Kunden zu einem bestimmten Sachverhalt auch bekommen wird, sein Rechtsrat wird – gestützt darauf – immer richtig sein. Nun die schlechte Nachricht: Das Erteilen einer richtigen Rechtsauskunft gehört zwar zur Kernkompetenz von Rechtsberatern, das allein reicht aber nicht aus. Der Rechtsrat muss dem Kunden einen Mehrwert bieten, oder einfacher ausgedrückt: ihm nützlich sein. Dies setzt voraus, dass sich der Anwalt aktiv darum bemühen muss zu verstehen, was die relevanten Sachverhaltselemente sind und zu welchem Zweck sein Rat dienen soll. Das bedingt Kenntnis des Kunden, seines Geschäfts, seiner Branche, seiner Produkte und der Konkurrenten – kurz: das Verständnis eines sachkundigen Unternehmers. Der Anwalt wird sich vom Erbringer von Rechtsauskünften zum vollwertigen Berater entwickeln müssen, der eben auch Rat (sprich: Empfehlungen) erteilen kann und muss. Hierbei sollte er sich bewusst sein, dass er als Dienstleister – bewusst oder unbewusst – nicht so sehr an seiner juristischen Fachexpertise und dem Ergebnis (etwa ob er einen Fall gewinnt) gemessen werden wird, sondern vielmehr am erbrachten Service (etwa der benötigten Reaktionszeit) und an der Beziehungspflege (etwa Verständlichkeit und Freundlichkeit gegenüber dem Kunden).
R wie Risikomanager
Syndizi haben mittlerweile erfahren, dass von ihnen nicht nur eine mehr oder weniger neutrale Beraterrolle erwartet wird, sondern dass sie auch als Manager gefragt und gefordert sind. Sich auf die gern zitierte Unabhängigkeit zu berufen, die sich ohnehin lediglich auf die rechtliche Beurteilung bezieht, ist nicht mehr möglich. Sie müssen sich aktiv an der Steuerung des Unternehmens beteiligen, die Strategie mitgestalten und Mitverantwortung übernehmen. Deutlich wird das in der Rolle des Compliance-Officers mit Haftungsfolgen und des Risikomanagers mit juristischem Hintergrund. Geht es um Rechtsrisiken, wird hier nicht nur eine scharfe Analyse verlangt, sondern auch die Beurteilung von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenhöhe erwartet, um mögliche Konsequenzen im Jahresfinanzbericht berücksichtigen zu können. Gerade dort zeigt sich die betriebswirtschaftliche Auswirkung der rechtlichen Dienstleistung unmittelbar. Ferner stellen sich unter dem Titel Cyber-Risk aktuell (Stichwort: Panama Papers) weitere Fragen: Wie gut ist ein Unternehmen dagegen geschützt? Wie sieht die Haftung aus? Wird das künftig ein wichtiger Punkt werden bei der Beauftragung externer Anwälte? Wie schützen sich Syndizi gegen entsprechende Risiken?
M wie Manager
Eine Rechtsabteilung zu führen bedeutet, nicht nur für das fachliche Ergebnis, also den Rechtsrat, verantwortlich zu sein. Es fordert vom Syndikus vielmehr auch, laufend sämtliche damit verbundenen Managementfragen professionell zu erledigen, auch wenn er hierfür weder an der Universität ausgebildet noch in der Praxis darauf vorbereitet wurde, noch diese Aufgaben als Anwalt – in den seltensten Fällen jedenfalls – gesucht hat. Von diesen nichtjuristischen Aufgaben gibt es mittlerweile mehr als genug im Leben eines Syndikus. So sind Best Practices zu etablieren und verschiedene Richtlinien aufzustellen (etwa betreffend den Umgang mit externen Beratern), das Personal umfassend zu führen (Zielvereinbarungen, Jahresgespräche, Beförderungen, Nachfolgeplanung, Weiterbildung), die Finanzen zu planen und zu kontrollieren (insbesondere Budget, externe Anwälte), das interne Know-how aufzuarbeiten (etwa in Datenbanken), Verträge und IP-Rechte zu sichern, Leistungs- und Qualitätssicherungsmaßnahmen zu treffen (etwa Prozesse einführen und KPIs bilden), Berichterstattungspflichten zu erfüllen (rechtliche, regulatorische und operative Reportings), Kontrollaufgaben wahrzunehmen (etwa als Compliance-Officer, Risikomanager oder als eigenständig wahrgenommene Assurance-Funktion), und schließlich ist die Rechtsabteilung in strategischer und organisatorischer Hinsicht nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien professionell zu führen. Es verwundert deshalb nicht, dass alle diese Aufgaben irgendwann nicht mehr nur quasi im Nebenamt erfüllt werden können und zur Entlastung der Syndizi und zur professionellen Erledigung der Aufgaben insbesondere größere Rechtsabteilungen dazu übergehen, hierfür neue Rollen zu schaffen. So entsteht das Berufsbild des Operations-Managers oder Chief-Operations-Officers.
S wie Stratege
Ein Syndikus muss sich in strategischer Hinsicht zwar in die Strategie des Unternehmens einordnen. Das bedeutet jedoch nicht, dass er deshalb nur reaktiv handeln muss und keine eigenen Steuerungsmöglichkeiten hat. Er muss für sich selbst eine Vielzahl von Fragen beantworten, die ihm helfen werden, sich in seiner Rolle zurechtzufinden, so etwa: Was ist das Mandat, und wie ist das Verständnis der Rechtsabteilung im Unternehmen? Wie sind die Rechtsabteilung und wie der General Counsel im Unternehmen positioniert (etwa Mitglied der Geschäftsleitung)? Welche Berichterstattungspflichten bestehen, und an wen ist zu berichten? Wird die Rechtsabteilung als sogenannte Assurance-Funktion wahrgenommen? Wie werden die Rechtskosten intern verrechnet? Wer darf Rechtsdienstleistungen beschaffen? Je nachdem, welcher unternehmerische Spielraum dem Syndikus eingeräumt wird, wie die eigene und fremde Wahrnehmung der Rechtsabteilung sind und nicht zuletzt, welche Persönlichkeit den Syndikus auszeichnet, werden die Antworten auf diese Fragen und die ergriffenen Maßnahmen unterschiedlich ausfallen.
B wie Businesspartner
Es ist immer wieder spannend festzustellen, wie viel Wert Juristen auf Begrifflichkeit legen, wenn es darum geht, wie sie ihre Auftraggeber bezeichnen wollen. Unbestritten sind die Bezeichnungen als „Mandanten“ oder „Klienten“, weil diese die Profession des Anwalts und das gesetzlich geregelte Mandatsverhältnis klar widerspiegeln. Widerstand spürt man jedoch regelmäßig, wenn man die Forderung aufstellt, sie als „Kunden“ zu sehen. Dies wohl aus der Befürchtung, dass die Anwälte als Konsequenz daraus zu (austauschbaren) Dienstleistern würden und ihre besondere Stellung verlieren könnten. Eine solche Sichtweise wäre jedoch nur konsequent, wenn man bedenkt, dass auch Kanzleien ihr Unternehmen als Geschäft (Business) und nach betriebswirtschaftlich erprobten Regeln führen müssen. In dieselbe Richtung geht übrigens der Ruf jener Rechtsabteilungen, die sich als Profitcenter wahrnehmen wollen. Mittlerweile hat sich quasi als Kompromiss der Begriff „Geschäftspartner“ herausgebildet, der sowohl die Orientierung am Kunden und damit den Wunsch nach wirtschaftlichem Nutzen herausstreicht (Business) als auch die Zusammenarbeitsform festschreibt (Partner). Auch wenn sich mit einer (geänderten) Bezeichnung am rechtlich definierten Mandatsverhältnis nichts ändert, kann dadurch dennoch eine Veränderung in doppelter Hinsicht erfolgen: bzgl. der Mentalitätsänderung hin zum Dienstleister und bzgl. der positiven Wahrnehmung des Kunden.
E wie Einkäufer
Geht man von einem globalen Rechtsmarkt von etwa 750 Milliarden US-Dollar aus, versteht sich von selbst, weshalb dieser viele Anbieter von Rechtsdienstleistungen anzieht. Dabei wird oft vergessen, dass dieser Umsatz von den Kunden finanziert werden muss und in der Regel die Syndizi den Einkauf verantworten. Bei diesem Milliardenmarkt dürfte zu Recht vermutet werden, dass bei der Beschaffung dieser Dienstleistung im Interesse des Unternehmens professionell vorgegangen wird. Dabei ist zunächst anhand einer sorgfältigen Analyse der Bedarf des Unternehmens an Rechtsdienstleistungen zu ermitteln. Anschließend ist zu entscheiden, ob es – also aus Sicht des Unternehmens (!) und nicht etwa aus Sicht des Syndikus – diese Leistung mit einer eigenen Rechtsabteilung selbst erstellen (make) oder bei Dritten einkaufen will (buy). Bei der Make-or-buy-Entscheidung spielen viele einzelne Kriterien eine Rolle, die es sorgfältig abzuwägen gilt. Ebenso muss entschieden werden, wo aus geographischer Sicht die Leistungen produziert werden sollen (on-, near- oder offshore). Das richtige Resultat für den Kunden bildet schließlich der für den jeweiligen Einzelfall optimale Mix aus allen verfügbaren Optionen (Rightsourcing).
L wie Leader
Das Thema Leadership legt den Fokus auf die Mitarbeiter der Rechtsabteilung. Auch Leadership gehört noch immer zu den Bereichen, die weder in der Ausbildung zum Juristen gezielt gelernt noch in der Praxis besonders ausgebildet oder unterstützt werden (etwa durch Coaching). Bestenfalls werden einfach Erfahrungen on the Job anhand der Trial-and-Error-Methode auf Kosten des Unternehmens und der Mitarbeiter gewonnen. Die wichtigsten drei Herausforderungen in Sachen Mitarbeiterführung stellen heute hauptsächlich der demographische Wandel (als Beispiele: Babyboomer, Überalterung), der vielzitierte War for Talents und die geänderten Bedürfnisse und Ansprüche der neuen Generationen (etwa Generation Y) dar. Um beim Buhlen um die besten Ressourcen erfolgreich bestehen zu können, muss man nicht nur anfänglich bei der Rekrutierung als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden. Es ist laufend das gesamte Personalmanagement richtig zu steuern: von der Personalgewinnung über die Personalbeurteilung und die Personalhonorierung bis hin zur Personalentwicklung. Überdies wird sich zeigen müssen, wie künftig die – eigentlich ja vorhandenen – Ressourcen der Juristinnen und der erfahrenen Mitarbeitenden (50plus) genutzt werden.
T wie Trust
Anwälte werden nicht müde zu betonen, dass die Rechtsbeziehung zwischen Anwalt und Kunden auf Vertrauen beruht oder basieren soll. Sie wollen sich als sogenannter Trusted Advisor verstanden wissen. Es überrascht deshalb umso mehr, dass gerade Anwälte – zumindest in der Wahrnehmung der Bevölkerung – offenbar keinen besonders guten Ruf zu genießen scheinen. Fragt man danach, wie viel Vertrauen man in bestimmte Berufsgruppen hat, bewegen sich in Deutschland Rechtsanwälte und Richter gerade mal im Mittelfeld. In den USA wird dieser Berufsgruppe zwar Kompetenz attestiert, aber keine Vertrauenswürdigkeit. Man könnte hierfür nun natürlich die vielen Anwaltsserien aus den USA verantwortlich machen. Solange aber für eine Berufsgruppe jährlich die neuen Einkommenslisten der Partner (Profit per Partner) publiziert werden, darf man sich wohl nicht wundern, wenn Kunden Zweifel daran hegen, dass es Anwälten nur um die Vertrauensbeziehung geht. Man könnte diese Rankings natürlich auch so lesen, dass die Kunden mit der Leistung der teuersten Anwälte
offenbar höchst zufrieden scheinen, weil sie diesen anderenfalls ja nicht diese Honorare zahlen würden. Eine solche – zumindest pauschale – Schlussfolgerung scheint mir dann doch etwas zu gewagt, wenn man feststellt, dass Anwälte oft (bewusst) davon absehen, Umfragen zur Kundenzufriedenheit durchzuführen.
S wie Soft Skills
Rechtskenntnisse sind das eine, deren Kommunikation und Umsetzung zum Nutzen des Kunden etwas anderes. Zieht man das vorgenannte Vertrauensverhältnis in Betracht, überrascht es nicht, dass die Person oder Persönlichkeit des Anwalts regelmäßig als eines der wichtigsten Selektionskriterien erscheint. Geht man der Einfachheit halber, weil die Mess- und Vergleichbarkeit dieser Komponente ohnehin schwierig ist, davon aus, dass der Rechtsrat aller Anwälte richtig (Ergebnis) und gleich gut (Service) ist, würde am Ende einzig die Person den Ausschlag über Erfolg und Misserfolg in der Kundenbeziehung geben. Nachdem Anwälten eine ausgezeichnete Verhandlungskompetenz attestiert wird, sollte man meinen, dass sie offenbar auch gute Kommunikatoren sein müssten. Nun, die Erfahrung zeichnet hingegen oft ein anderes Bild. Von einer erwarteten Fachkompetenz automatisch auch auf entsprechende Führungs-, Sozial- und Persönlichkeitskompetenzen zu schließen, ist ein Fehler. Um als Anwalt im Wettbewerb und in der Pflege der Kundenbeziehung bestehen zu können, sind deshalb auch exzellente Kommunikations- und Präsentationsfähigkeiten sowie perfekte Umgangsformen von elementarer Bedeutung, weil diese gerade die unterschätzten, nicht kognitiven Bereiche der Wahrnehmung treffen und beeinflussen.
Konsequenz für Anwaltskanzleien und andere Berater
Und was bedeutet diese Erkenntnis nun für externe Berater? Zunächst einmal, dass sie sich dieser neuen Ansprüche ihrer Kunden bewusst sein sollten. Dann, dass sie sich überlegen sollten, wie sie ihre Rechtsdienstleistung anpassen können und wollen, um für den Kunden nutzbringend(er) zu werden. Denn eines ist sicher: Dieses neue Anforderungsprofil an Syndizi wird in der einen oder anderen Form an Anwaltskanzleien und andere Dienstleister durchgereicht werden. Unternehmen werden diese Ansprüche direkt oder – wenn sie über eine Rechtsabteilung verfügen, über die sie mit Anwaltskanzleien die Beziehung pflegen – indirekt stellen. Dieses neue Profil wird entlang der gesamten Wertschöpfungskette abgefragt und ständig neu beurteilt werden, also nicht nur bei der Auswahl, sondern auch nachher bei der Beurteilung der erbrachten Dienstleistungen. Und schließlich wird der erzielte Erfüllungsgrad sich in der Kundenzufriedenheit niederschlagen und damit im Urteil, ob eine erneute Mandatierung oder eine solche zu denselben Konditionen erfolgen wird. Wer also als externer Berater fälschlicherweise meint, dass die neue Erfolgsformel ein rein „unternehmensinternes“ Problem der Syndizi sei und ihn nicht weiter betreffe, wird künftig Schwierigkeiten haben, seinen Nutzen und seine USP klar zu machen und im härter werdenden Wettbewerb zu bestehen.
Fazit
Woran werden CEOs und Headhunter künftig die erfolgreichen Powersyndizi erkennen? Daran, wie gut sie die an sie gestellten vielfältigen Anforderungen der ARMS & BELTS optimal erfüllen können und wollen. Jederzeit alle Aufgaben vollständig abzudecken ist zwar erstrebenswert, aber weder nötig noch möglich und vielfach ohnehin vom Einzelfall abhängig. Klar ist jedoch, dass es für einen Syndikus – und für einen beratenden externen Anwalt – nicht mehr ausreichen wird, seine Rolle als die eines lediglich Rechtsauskunft erteilenden Anwalts zu verstehen. Deshalb wird in diesem Zusammenhang, wenn nicht die Forderung des „more for less“, so doch auf jeden Fall jene des „more for the same“ bemüht werden müssen.