Im Blickpunkt: Verjährungsbeginn kartellrechtlicher Schadenersatzansprüche
Von Dr. Ulrich Schnelle und Dr. Volker Soyez

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Einleitung

Kartellrechtliche Schadenersatzklagen haben in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Dies ist im Wesentlichen mit den Verfahrenserleichterungen zu erklären, von denen Kartellgeschädigte seit der 7. GWB-Novelle (2005) profitieren. Hierzu gehören insbesondere die Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen für die Zivilgerichte, die Verzinsungspflicht ab Schadeneintritt sowie auch die Verjährungshemmung im Zeitpunkt der Einleitung eines kartellbehördlichen Verfahrens. Die Achillesferse der effektiven Geltendmachung kartellrechtlicher Schadenersatzansprüche stellt indes nach wie vor die Frage des Verjährungsbeginns dar. In der kartellrechtlichen Literatur und Rechtsprechung besteht keine Einigkeit, welche konkreten Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn kartellrechtlicher Schadenersatzansprüche vorliegen müssen. Im Gegenteil: In der Judikatur existieren geradezu diametral gegenläufige Entscheidungen.

Kartellrechtliche Schadenersatzansprüche verjähren in drei Jahren ab positiver Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis

Für Schadenersatzansprüche nach § 33 Abs. 3 Abs. 1 GWB gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren gemäß § 195 BGB. Der Fristbeginn bestimmt sich nach § 199 Abs. 1 BGB. Danach ist der Schluss des Jahres maßgeblich, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH liegt die für den regelmäßigen Verjährungsbeginn gemäß § 199 Abs. 1 BGB erforderliche positive Kenntnis dann vor, wenn dem Anspruchsgläubiger diejenigen Umstände bekannt sind, die es ihm erlauben, eine hinreichend aussichtsreiche – wenn auch nicht risikolose – Klage zu erheben oder diese schlüssig zu begründen. Es muss dem Geschädigten bei einer Gesamtbetrachtung zumutbar sein, aufgrund seiner Kenntnisse hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs Klage zu erheben, wenn auch mit dem verbleibenden Prozessrisiko.
Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung („Verschulden gegen sich selbst“) vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat (vgl. im Einzelnen m.w.N. Soyez, ZWeR 2011, 407).

Teils wird die Auffassung vertreten, dass Presseberichte bereits die notwendige Kenntnis vermitteln

In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die notwendige Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis gemäß § 199 Abs. 1 BGB sich bereits aus dem „Bekanntwerden eines Verfahrens der Kartellbehörde“ ergibt (Bechtold, GWB-Kommentar, 7. Auflage 2013, § 33 Rz. 37) bzw. im Zeitpunkt der Zustellung einer formellen Entscheidung der Kartellbehörde vorliegt (vgl. Reher in International Competition Litigation – a multijurisdictional handbook, 2012, DE-042). Es wird insofern als ausreichend erachtet, dass das Verfahren der Kartellbehörde oder die kartellbehördliche Entscheidung im Rahmen von Pressemitteilungen an die Öffentlichkeit dringen.

Dem ist auch das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 20.02.2009 (Az. I-22 U 135/08, Rz. 43) gefolgt. Es vertrat die Auffassung, dass „die Kartellrechtssituation aufgrund von Zeitungsartikeln jedenfalls ab Februar 2007 allgemein bekannt“ war und leitete hieraus ab, dass in diesem Zeitpunkt auch die für den Verjährungsbeginn notwendige positive Kenntnis vorlag (der Fall betraf die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung durch die Kartellanten, die gemäß § 124 BGB innerhalb Jahresfrist ab positiver Kenntnis zu erklären ist).
Nach dieser Auffassung wären Kartellgeschädigte gehalten, ihre Ansprüche alsbald geltend zu machen oder wenigstens verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen, sobald in der Tagespresse von Kartellverstößen berichtet wird, aus denen sich mögliche Ansprüche der Kartellgeschädigten ergeben könnten.

LG Stuttgart: Eine auf Presseberichte gestützte Klage ist unsubstantiiert

Unvereinbar mit der dargestellten Auffassung scheint indes die Rechtsprechung des LG Stuttgart in seinem Urteil vom 31.01.2013 (Az. 41 O 39/12 KfH Kart). In diesem Fall ging es um Schadenersatzansprüche einer bayerischen Gemeinde wegen des Löschfahrzeugkartells, das vom Bundeskartellamt aufgedeckt und im Jahr 2011 empfindlich sanktioniert worden war (Az. B 12-11/09).
Die bayerische Gemeinde hatte ihre Klage im Wesentlichen auf Pressemitteilungen des Bundeskartellamts gestützt und auf der Grundlage der Angaben in den Pressemitteilungen argumentiert, dass es durch das Kartell übervorteilt worden sei. Insofern stellte das LG Stuttgart fest: „Der Vortrag mit Vorlage der Pressemitteilungen des Bundeskartellamts vom 10.02.2011 (Anlage K1) und vom 27.07.2011 (Anlage K2) genügt einer Substantiierung nicht. Inwieweit derartige Pressemitteilungen, die vorwiegend der Unterrichtung der Öffentlichkeit dienen, überhaupt zur Darlegung und zum Beweis eines Kartellverstoßes geeignet sind, kann dahingestellt bleiben, da die Darlegung eines Kartellverstoßes durch die in Bezug genommenen Pressemitteilungen bereits aus anderen Gründen nicht gelingt“.

Das LG Stuttgart hat der klagenden bayerischen Gemeinde mithin ins Stammbuch geschrieben, dass eine lediglich auf Pressemitteilungen gestützte Klage nicht der zivilprozessualen Substantiierungspflicht genügt, und damit festgestellt, dass die in solchen Pressemitteilungen beschriebenen Umstände es Kartellgeschädigten gerade nicht erlauben, eine hinreichend aussichtsreiche Klage zu erheben oder diese schlüssig zu begründen.

Bewertung: Das LG Stuttgart hat recht!

Es offenbart sich ein Wertungswiderspruch. Es kann nicht sein, dass Pressemitteilungen auf der einen Seite die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis vermitteln sollen, auf der anderen Seite hingegen nicht den zivilprozessualen Substantiierungsanforderungen genügen. Das OLG Düsseldorf hatte ja unmissverständlich festgestellt, dass für die Frage nach dem Vorliegen der erforderlichen Kenntnis für den Verjährungsbeginn gerade ausschlaggebend sein soll, dass es dem Anspruchsgläubiger möglich ist, mit Hilfe der betreffenden Informationen eine schlüssige Klage zu formulieren. Damit muss im Ergebnis entweder die oben dargestellte Meinung, betreffend den Verjährungsbeginn, oder aber die Auffassung des LG Stuttgart, betreffend die fehlende Substantiierung durch Pressemitteilungen, falsch sein und abgelehnt werden.

Es sprechen im Ergebnis gute Gründe dafür, der Auffassung des LG Stuttgart den Vorzug zu geben und die oben dargestellte Auffassung zum Verjährungsbeginn abzulehnen.
Zum einen dürfte ein Abstellen auf Pressemitteilungen für den Verjährungsbeginn nicht den Anforderungen gerecht werden, die der BGH an das Vorliegen der erforderlichen Kenntnis stellt. Zwar hat der BGH festgestellt, dass ein Geschädigter, der sich die erforderliche Kenntnis in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe verschaffen kann, es nicht in der Hand haben darf, einseitig die Verjährungsfrist dadurch zu verlängern, dass er die Augen vor der sich aufdrängenden Kenntnis verschließt. Auf der anderen Seite müssen für den Gläubiger indes stets konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein und sich ihm der Verdacht einer möglichen Schädigung aufdrängen. Der Informationsstand der Öffentlichkeit ist nach Auffassung des BGH insofern gerade nicht ausschlaggebend, sondern kann allenfalls ein Indiz für ein „Kennenmüssen“ sein. Der BGH hat explizit festgestellt, dass eine grob fahrlässige Unkenntnis nicht schon dann vorliegt, wenn sich die für die Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände notwendigen Informationen aus zugänglichen Schriftstücken ergeben, der Geschädigte aber deren Lektüre unterlassen hat. Es besteht auch keine allgemeine Pflicht, solche Schriftstücke beim Bestehen eines Anfangsverdachts eingehend zu studieren (vgl. im Einzelnen m.w.N. Soyez, ZWeR 2011, 407). Mit dieser Rechtsprechung dürfte es unvereinbar sein, das Vorliegen der notwendigen Kenntnis allein aus der Veröffentlichung von Pressemitteilungen zu folgern. So hat z.B. auch das LG Berlin (Urteil vom 08.08.2013 – Az. 16 O 193/11 Kart, S. 17) festgestellt, dass in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall allein die Berichterstattung der Presse über die Ermittlungen der Kommission der Klägerin nicht die zur Begründung der Klage erforderlichen Informationen über den Zeitraum und die Dauer des Kartells sowie seine Funktionsweise verschaffte.

Umgekehrt dürfte der vom EuGH geforderte Effektivitätsgrundsatz (vgl. EuGH, Urteil vom 13.07.2006 – Az. C-295/04, Rz. 63 – „Manfredi“) der dargestellten Auffassung zum Verjährungsbeginn entgegenstehen. Nach dem Effektivitätsgrundsatz darf die Durchsetzung kartellrechtlicher Schadenersatzansprüche nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden. Dies stünde jedoch zu befürchten, wenn die Verjährung grundsätzlich bereits in dem Moment zu laufen beginnen würde, in dem ein kartellbehördliches Verfahren in der Presse Erwähnung findet.

Schließlich dürften auch Gründe der Rechtspflege für die Auffassung des LG Stuttgart sprechen. Es ist zu verhindern, dass mögliche Anspruchsgläubiger kartellrechtlicher Schadenersatzansprüche durch zu laxe Anforderungen an die verjährungsauslösende Kenntnis zur Einreichung verfrühter und unsubstantiierter Klagen „ins Blaue hinein“ verleitet werden. Vielmehr sollte auch das Verjährungsregime dazu beitragen, dass die Landgerichte nur mit fundierten und im Einzelnen substantiierten kartellrechtlichen Schadenersatzklagen behelligt werden.

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