BFH ändert Rechtsprechung zu eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen

Ein Gastbeitrag von Dr. Sven-Joachim Otto

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Wird ein Gesellschafter im Insolvenzverfahren als Bürge für Verbindlichkeiten der Gesellschaft in Anspruch genommen, führt dies nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteil vom 11.07.2017, Az. IX R 36/15, veröffentlicht am 27.09.2017), nach Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008, nicht mehr zu nachträglichen Anschaffungskosten auf seine Beteiligung. Im Wege des Vertrauensschutzes wendet der BFH die bisherige Rechtsprechung für alle Fälle, in denen der Gesellschafter eine eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe bis zum Tag der Veröffentlichung des Urteils am 27.09.2017 geleistet hat oder wenn eine Finanzierungshilfe des Gesellschafters bis zu diesem Tag eigenkapitalersetzend geworden ist, aber weiterhin an.

Sachverhalt

Streitig war die Berücksichtigung von Aufwendungen des Klägers aus der Inanspruchnahme als Bürge bei der Ermittlung eines Auflösungsverlusts nach § 17 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr (2011) geltenden Fassung (EStG). Seit Ende des Jahres 2003 war der Vater des Klägers alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt Angestellter der GmbH. Im Februar 2010 wurden dem Kläger die Anteile an der GmbH im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen. Am 28.03.2006 verbürgte sich der Kläger für vier der GmbH von zwei Banken gewährte Darlehen in Höhe von 51.600 Euro, 20.000 Euro, 99.000 Euro und 52.000 Euro.

Der Kläger beantragte im Februar 2011 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Das Amtsgericht lehnte den Antrag im Mai 2011 mangels Masse ab. Noch im Jahr 2011 leistete der Kläger aufgrund der von ihm eingegangenen Bürgschaften Zahlungen an die Kreditinstitute. In seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2011 machte der Kläger einen Auflösungsverlust in Höhe von 176.156,85 Euro geltend (hiervon 140.610,40 Euro nachträgliche Anschaffungskosten aus der Inanspruchnahme von Bürgschaften). Das Finanzamt (FA) setzte den Auflösungsverlust lediglich mit 17.975 Euro an. Es lehnte insbesondere die Berücksichtigung der Aufwendungen aus der Inanspruchnahme der vom Kläger geleisteten Bürgschaften ab.

Das Finanzgericht (FG) hat der hiergegen erhobenen Klage stattgegeben. Entgegen der Auffassung des FA seien bei der Ermittlung des Auflösungsverlusts die Aufwendungen des Klägers aus der Inanspruchnahme der Bürgschaften als nachträgliche Anschaffungskosten zu berücksichtigen. Der BFH hat diese Entscheidung in seinem oben zitierten Urteil bestätigt.

Bisherige Rechtslage

Zu nachträglichen Anschaffungskosten einer Beteiligung führten nach bisheriger Rechtsprechung des BFH neben offenen und verdeckten Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungs- oder Auflösungskosten waren (BFH-Urteil vom 24.04.1997 VIII R 23/93). Nachträgliche Anschaffungskosten hat der BFH unter anderem angenommen beim Ausfall des Gesellschafters mit seinem Anspruch auf Rückzahlung eines der Gesellschaft gewährten Darlehens oder bei Zahlung des Gesellschafters auf eine Bürgschaft und Wertlosigkeit des gegen die Gesellschaft gerichteten Rückgriffsanspruchs, wenn die Hingabe des Darlehens oder die Übernahme der Bürgschaft durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst waren. Für die Beurteilung, ob eine Finanzierungshilfe durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst war, hat der BFH darauf abgestellt, ob sie eigenkapitalersetzend war (etwa BFH-Urteile in BFH/NV 2001, 23; vom 02.04.2008 IX R 76/06, BFHE 221, 7, BStBl II 2008, 706, und in BFHE 222, 474, BStBl II 2009, 5). Er hat dies bejaht, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft zu einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute nur noch Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft), stattdessen ein Darlehen gewährt, eine Bürgschaft zur Verfügung gestellt oder eine wirtschaftlich entsprechende andere Rechtshandlung i.S. d. § 32a Abs. 1 und 3 GmbHG a.F. vorgenommen hatte (sogenanntes funktionelles Eigenkapital; vgl. BFH-Urteile in BFHE 221, 7, BStBl II 2008, 706, und vom 07.12.2010 IX R 16/10, BFH/NV 2011, 778). Lagen diese Voraussetzungen nicht vor, hatte die Finanzierungshilfe (auch gesellschaftsrechtlich) nicht die Funktion von Eigenkapital, und der Gesellschafter war insofern wie jeder Drittgläubiger zu behandeln (Fremdkapital).

Nachträgliche Anschaffungskosten minderten den Veräußerungs- oder Auflösungsgewinn oder erhöhten einen entsprechenden Verlust.

Eigenkapitalersatzrecht aufgehoben

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008 hat der Gesetzgeber allerdings das Eigenkapitalersatzrecht aufgehoben und durch eine insolvenzrechtliche Regelung ersetzt. Das bedeutet: Darlehen, die ein Gesellschafter seiner Gesellschaft gegeben hat, sind danach im Insolvenzverfahren der Gesellschaft nachrangig zu erfüllen. Eine Kapitalbindung tritt nicht mehr ein. Seitdem war umstritten und höchstrichterlich ungeklärt, welche Auswirkungen dies steuerrechtlich auf die Rechtsprechung zu nachträglichen Anschaffungskosten hat.

Einschränkung gegenüber der bisherigen Praxis

Der BFH hat jetzt entschieden, dass mit der Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts die gesetzliche Grundlage für die bisherige Annahme von nachträglichen Anschaffungskosten entfallen ist. Nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung sind deshalb – wie auch ansonsten im Einkommensteuerrecht – nur noch nach Maßgabe der handelsrechtlichen Begriffsdefinition in § 255 HGB anzuerkennen. Darin liegt eine wesentliche Einschränkung gegenüber der bisherigen Praxis.

BFH gewährt Vertrauensschutz für Altfälle vor dem 27.09.2017

Die bisherigen Grundsätze zur Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen sind nach Auffassung des BFH weiter anzuwenden, wenn der Gesellschafter eine eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe bis zum Tag der Veröffentlichung dieses Urteils (27.09.2017) geleistet hat oder wenn eine Finanzierungshilfe des Gesellschafters bis zu diesem Tag eigenkapitalersetzend geworden ist. Der Senat hielt es aus Gründen des Vertrauensschutzes für geboten, die neuen Rechtsprechungsgrundsätze nur mit Wirkung für die Zukunft anzuwenden (vgl. zum Vertrauensschutz bei Änderung einer langjährigen, höchstrichterlichen Rechtsprechung auch den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17.12.2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, dort beginnend unter D.IV.2.b). Angesichts der großen Bandbreite der zur steuerlichen Problematik nach Wegfall des Eigenkapitalersatzrechts vertretenen Auffassungen  und der mangelnden Vorhersehbarkeit, wie die höchstrichterliche Rechtsprechung hierauf reagieren würde, konnten die Steuerpflichtigen trotz fehlender Vertrauensgrundlage nach Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts ihr Finanzierungsverhalten nicht rechtssicher auf die geänderte Rechtslage einstellen. Diese Fälle sind daher, wenn es für die Steuerpflichtigen günstiger ist, weiterhin nach den bisher geltenden Grundsätzen zu beurteilen. So lag es im Streitfall. Die Bürgschaften des Klägers waren bereits im Zeitpunkt ihrer Hingabe eigenkapitalersetzend.

Ausblick

Die Entscheidung des BFH hat große Auswirkung auf die Finanzierung von Kapitalgesellschaften durch Gesellschafterdarlehen und die Absicherung von Darlehen durch Bürgschaften des Gesellschafters. In einer Reihe weiterer Fälle wird der BFH demnächst die neuen Grundsätze konkretisieren.

sven-joachim.otto@de.pwc.com

28 replies on “Neues Kapitel aufgeschlagen, Konkretisierung folgt”

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