Für eine „Prangerwirkung“ gibt es im deutschen Recht keinen Platz
Von Hosea Haag und Dr. Martin Wintermeier

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„Only an idiot would drive on the sidewalk to avoid a schoolbus“ stand auf dem 56 x 56 Zentimeter großen Schild, das eine Frau zweimal je eine Stunde lang nach gerichtlicher Anordnung in Cleveland Ohio an einer Straßenkreuzung halten musste, nachdem sie gerade das zuvor gemacht hatte und dabei von einer Verkehrsüberwachungskamera gefilmt wurde. Das Bild ging mit Name, Wohnort und Alter der Frau im November 2012 durch die Presse, auch in Deutschland. Jenseits der Boulevardpresse sorgte es für Unwohlsein. Jemanden für seine Vergehen bloßzustellen ist eine harte Strafe. Die Diskussion darüber, ob der Staat solche Ehrenstrafen verhängen soll oder nicht, ist alt, zumindest so alt wie die Aufklärung. Ab da wurde der Nutzen des Schandpfahls nicht (mehr) uneingeschränkt bejaht. Der öffentlich Beschämte wird sozial isoliert und stigmatisiert, das Gewaltmonopol wird durchbrochen, weil die Schadenfreude und die Spottlust der Öffentlichkeit für die Bestrafung instrumentalisiert werden. Glaubt man Wikipedia, war daher einer der letzten Fälle in Deutschland der einer Frau, die im Jahr 1853 auf dem Hausvogteiplatz in Berlin wegen Meineids an den Pranger gestellt wurde. Im deutschen Strafrecht kommen Ehrenstrafen im Grunde seither nicht mehr vor.

Aber Kommunitaristen, wie etwa der US-amerikanische Soziologe Amitai Etzioni, versuchen eine theoretische Grundlage für „Shaming Sanctions“ zu entwickeln, und im US-amerikanischen sowie dem englischen Strafrecht finden wir sie wieder, nicht nur im obigen Beispiel der Verkehrssünderin. Vielleicht ist auch die weitgehende freiwillige Aufgabe von Privatsphäre in unserer modernen westlichen Welt ein Faktor, der dem Öffentlichmachen von Vergehen einen Teil seines Schreckens nimmt und damit die Bloßstellung eher wieder möglich macht. Der europäische Gesetzgeber jedenfalls ist hier weniger zimperlich. Vor einem sonderdeliktsrechtlichen, zivilrechtlichen (!) Hintergrund, dem gewerblichen Rechtsschutz, hat er die sogenannte Enforcement-Richtline (2004/48/EG) erlassen und in deren Artikel 15 bestimmt, dass die Gerichte bei Verfahren wegen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums geeignete Maßnahmen zur Verbreitung von Informationen über die betreffende Entscheidung, einschließlich der Bekanntmachung und der vollständigen oder teilweisen Veröffentlichung, anordnen können sollen. Und begründet hat er dies (wohl) damit, dass künftige Verletzer abgeschreckt werden sollen und die breite Öffentlichkeit sensibilisiert werden soll – so der 27. Erwägungsgrund der Richtlinie.

Urteilsveröffentlichung in Deutschland

Die Veröffentlichung von Urteilen auf eigene Kosten ist in Deutschland schon zuvor möglich gewesen, soweit lauterkeitsrechtliche Bestimmungen eingehalten werden und die Verwirklichung möglicher deliktischer Ansprüche ausgeschlossen wird (etwa weil eine Schmähung beabsichtigt ist). Den rechtlichen Rahmen für durchsetzbare Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums brachte die Enforcement-Richtlinie, die durch das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums (DurchsetzungsG) vom 07.07.2008 in nationales deutsches Recht umgesetzt wurde (§ 140e PatG, § 24e GebrMG, § 47 DesignG, § 19c MarkenG, § 12 Abs. 3 UWG und § 103 UrhG). Unter teils anderen Voraussetzungen war die Urteilsveröffentlichung etwa im Urheberrecht vorher schon vereinzelt vorgesehen. Nach dem exemplarisch ausgewählten § 140e Satz 1 PatG besteht der Anspruch aus § 140e der obsiegenden Partei eines Patentverletzungsverfahrens, wenn ein berechtigtes Interesse besteht und das Urteil rechtskräftig ist, vgl. § 140e Satz 4 PatG.

Zu der wichtigsten Voraussetzung des berechtigten Interesses ist kaum veröffentlichte aktuelle Rechtsprechung vorhanden. Die deutschen Gerichte scheinen zurückhaltend mit der Gewährung dieses Anspruchs zu sein. Sie respektieren hierbei den Willen des nationalen Gesetzgebers, der in seiner amtlichen Begründung ausführt, dass Voraussetzung für die Anordnung der Veröffentlichung ein berechtigtes Interesse der obsiegenden Partei ist (das von der Enforcement-Richtlinie nicht gefordert wird), da sich aus der Veröffentlichung erhebliche Nachteile für die unterlegene Partei ergeben können. Bei der gerichtlichen Ermessensentscheidung sollen die durch die Veröffentlichung entstehenden Vorteile der einen und die Nachteile der anderen Partei abgewogen werden. Das Recht der unterlegenen Partei auf informationelle Selbstbestimmung ist zu berücksichtigen. Eine Demütigung ist ausdrücklich nicht erwünscht. Hierfür zitiert der nationale Gesetzgeber ein Urteil aus dem Jahr 1994 zum Wettbewerbsrecht.

In der Literatur wird nun zum Teil vertreten, Rechtsgrundsätze und Urteile zum Recht vor der Umsetzung der Enforcement-Richtlinie seien nicht ohne weiteres auf die neue gesetzliche Veröffentlichungsbefugnis übertragbar. Die herkömmliche Urteilsveröffentlichung hat ihren Hauptzweck in einer (erweiterten) Folgenbeseitigung; vornehmliches Ziel ist es, die entstandene Marktverwirrung zu korrigieren. In der Enforcement-Richtlinie wurde die Urteilsveröffentlichung aber eingeführt, um künftige Verletzer abzuschrecken und zur Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit beizutragen. Damit kommen generalpräventive Intentionen zum Ausdruck. Die Generalprävention kennt man aber vor allem aus strafrechtlichen Gefilden. Dem deutschen Zivilrecht ist sie fremd.
Dass sich der nationale Gesetzgeber für einen Anspruch für die jeweils obsiegende Partei entschieden hat, birgt ein weiteres Spannungsverhältnis zwischen der Enforcement-Richtlinie und §140e Satz 1 PatG. Liegt der Veröffentlichungsanspruch beim obsiegenden Rechteinhaber, so greift Erwägungsgrund 27 der Enforcement-Richtlinie voll durch; der Urteilsveröffentlichung kann dann eine gehörige Portion Sanktionswirkung zugedacht werden. Obsiegt letztlich der zu Unrecht angegriffene Verletzer, ist er Inhaber des Anspruchs auf Urteilsveröffentlichung. Die Veröffentlichung eines solchen Urteils wird aber keine generalpräventive Wirkung entfalten können und keine allgemeine Öffentlichkeit zugunsten der Schutzrechtsinhaber sensibilisieren. Der Urteilsveröffentlichung werden also im Wesentlichen (nur) noch störungsbeseitigende Wirkungen zuzusprechen sein.

Das Prinzip des „Corporate Shaming“

Das „Corporate Shaming“ kommt aus dem Dunstkreis des US-amerikanischen (Wirtschafts-)Strafrechts, das aus deutscher Sicht geradezu brutal wirken kann. So kennt das US-Strafrecht sogenannte „Shaming Sanctions“, wie etwa die Verurteilung einer Gesellschaft dazu, öffentlich in einer Zeitungsanzeige quasi kniend vor dem Leser um Verzeihung für begangene Taten zu bitten. Aber auch im Kapitalmarktrecht hat, nicht zuletzt auch getrieben vom europäischen Gesetzgeber (vgl. etwa die Marktmissbrauchsverordnung), das „Naming and Shaming“ Einzug gehalten. Man befürchtet hier, als skrupellos empfundene anonyme Unternehmen nicht anders zu gesetzestreuem Verhalten bewegen zu können. Ein Beispiel ist etwa die Regelung, wonach die Bundesanstalt für Finanzaufsicht ergangene Bußgeldentscheidungen künftig grundsätzlich unter Nennung der betroffenen Person auf ihrer Internetseite veröffentlichen muss. Die abschreckende Wirkung dieses „Naming and Shaming“ dürfte enorm sein.

„Shaming“ mittels einer Urteilsveröffentlichung im gewerblichen Rechtsschutz

Unabhängig von prinzipiellen Erwägungen wird eine Urteilsveröffentlichung stets einen gewissen „Shaming“-Faktor haben. Diesen kann und sollte man auch legitimerweise nutzen. Insbesondere mittelständische und börsennotierte deutsche Unternehmen werden regelmäßig auf ihren Ruf bedacht sein. Mittels der Urteilsveröffentlichung mag es möglich sein, konkurrenzfähige Wettbewerber und insbesondere auch deren Abnehmer abzuschrecken. Die psychologische Wirkung einer solchen Veröffentlichung darf nicht unterschätzt werden. Der Unterliegende steht, zumindest in der Fachwelt, als (Patent-)Rechtsverletzer da. Allein diese Tatsache kann das öffentliche Ansehen senken und so einen erheblichen Druck erzeugen.

Fazit und Ausblick

Aus juristischer Sicht bietet die Urteilsveröffentlichung eine interessante Spielwiese, die nach neuer Rechtslage kaum Beachtung gefunden hat. Die Errungenschaften der Aufklärung, die nicht zuletzt auch dazu dienen sollen, dem Rechtsbrüchigen den Weg in die Gesellschaft der Rechtstreuen nicht zu verbauen, haben für lange Zeit ein friedliches Miteinander gesichert. Schadenfreude, Spottlust und Rachegelüste haben im deutschen Zivilrecht zu Recht keinen Platz. Den Vorgaben und Begründungserwägungen in der Enforcement-Richtline kann auch durch anonyme Veröffentlichungen der Entscheidungen Genüge getan werden.

haag[at]ampersand.de
wintermeier[at]ampersand.de

24 replies on “Name and Shame – die Urteilsveröffentlichung”

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