Von Daniel-René Weigert, Rechtsanwalt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Nachzügler, die ihre Forderungen im Insolvenzplanverfahren nicht zum Insolvenzplan angemeldet haben, wenn der Schuldner die Forderung bestreitet, eine Entscheidung des Prozessgerichts abwarten müssen, bevor sie dem Schuldner eine Frist gemäß § 255 I Satz 2 InsO setzen. Für den Fall der Nichtleistung des Schuldners können sie durch diese Fristsetzung die Forderung wieder aufleben lassen. Die Entscheidungsgründe sind bislang noch nicht veröffentlicht.
Sachverhalt
Der Kläger war in den Jahren 2007 und 2008 mehrmals kurzfristig als Leiharbeitnehmer für die Beklagte tätig. Im Jahr 2009 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren am Amtsgericht Krefeld eröffnet und ein Insolvenzplan erstellt. Er enthielt eine Klausel, gemäß der alle nicht im Insolvenzplanverfahren angemeldeten Forderungen mit Abschluss des Insolvenzverfahrens erlöschen sollten. Der Insolvenzplan wurde vom Insolvenzgericht im Oktober 2009 bestätigt und rechtskräftig. Im Januar 2011 erhob der Kläger Klage gegen seine ehemalige Arbeitgeberin, in der er sie auf Zahlung der Differenz zwischen seiner 2007 und 2008 erhaltenen Vergütung und der Vergütung einer festangestellten Vergleichsperson in Höhe von 9.845,52 Euro in Anspruch nahm („Equal-Pay-Zahlung“, §§ 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 AÜG).
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, da der Kläger gemäß § 254 I Satz 3 InsO in Verbindung mit der Ausschlussklausel im Insolvenzplan mit den geltend gemachten Ansprüchen von der Teilnahme an der Mittelverteilung gemäß dem Insolvenzplan ausgeschlossen sei. Es könne dahinstehen, ob die Forderungen in der geltend gemachten Höhe bestanden hatten.
Gesetzlicher Rahmen
Im Insolvenzplanverfahren legt der gestaltende Teil des Insolvenzplans fest, wie in die Rechte der Gläubiger, die in Gruppen eingeteilt werden, eingegriffen wird. Gemäß § 254 I InsO tritt die rechtsbeschränkende Wirkung des Insolvenzplans gegenüber den Gläubigern mit Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans ein.
Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen im Insol-venzverfahren nicht angemeldet haben, werden vom Insolvenzplan nicht erfasst, sofern sie keiner der im Insolvenzplan gemäß § 222 InsO festgelegten Gruppe zugehören (OLG Hamm 03.12.2010 – I-30 U 28/10; LAG Sachsen 22.11.2007 – 1 Sa 364/03). Werden sie von einer Gruppe erfasst, gelten die Regelungen des Insolvenzplans gemäß § 254b InsO (bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, i.F. „ESUG“, am 01.03.2012 § 254 I Satz 3 InsO) für und gegen sie.
Das heißt zum einen, dass sie sich der anspruchskürzenden Wirkung des Insolvenzplanes nicht durch Nichtanmeldung ihrer Forderungen entziehen können. Es heißt zum anderen aber auch, dass die Geltendmachung ihrer Forderungen nicht komplett, sondern nur entsprechend der für ihre Gruppe festgelegten Quote ausgeschlossen ist. Dies gilt auch für aus Unkenntnis über die Forderung unterbliebene Anmeldungen (LAG Düsseldorf 15.09.2011 – 11 Sa 591/11).
Daraus ergibt sich für den Schuldner das Risiko, dass sich nach Planbestätigung weitere Gläubiger mit Insolvenzforderungen melden und die zu verteilenden Planmittel dadurch unter Umständen nicht zur Umsetzung des Plankonzepts genügen oder dass dem Schuldnerunternehmen die für eine Fortsetzung der Tätigkeit notwendige Liquidität nachträglich entzogen wird.
Das ESUG hat dieses Risiko des Schuldners verringert, indem ihm in § 219a InsO auf Antrag Vollstreckungsschutz für die Dauer von bis zu drei Jahren zugesichert wird, wenn durch die Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Nachzüglern die Durchführung des Insolvenzplans gefährdet wird. Ferner verjähren Forderungen von Nachzüglern zukünftig gemäß § 259b I InsO spätestens nach einem Jahr ab Fälligkeit der Forderung und Rechtskraft des Planbestätigungsbeschlusses.
Nach herrschender Meinung kann § 301 InsO (Wirkung der Restschuldbefreiung) auf das Insolvenzplanverfahren nicht analog angewendet werden, da das Insolvenzplanverfahren und das Restschuldbefreiungsverfahren unterschiedliche Zwecke verfolgen: Das Insolvenzplanverfahren bezweckt die bestmögliche Haftungsverwirklichung, die Restschuldbefreiung stellt eine „Rechtswohltat“ für den redlichen Schuldner da.
Ausschlussklauseln
Trotz der neuen Schuldnerschutznormen bleibt das Restrisiko nachträglich auftauchender unbekannter Gläubiger bestehen. Um dies zu unterbinden, wird regelmäßig empfohlen, im Insolvenzplan vorbeugend eine materielle Ausschlussfrist für nicht angemeldete oder bestrittene Forderungen zu regeln. Ob und inwieweit eine solche wirksam ist, wird jedoch unterschiedlich beurteilt.
Hinsichtlich wirksam bestrittener Forderungen hat der BGH mit Beschluss vom 15.07.2010 (IX ZB 65/10) entschieden, dass eine Ausschlussfrist von zwei Wochen ab Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses wirksam ist.
Bezüglich nicht angemeldeter Forderungen ist dies weiterhin umstritten. § 201 InsO steht Ausschlussklauseln nicht entgegen, er betrifft nur das Regelverfahren. § 254 InsO greift ebenso wenig, denn die Tatsache, dass Nachzügler die Plangestaltungen gegen sich gelten lassen müssen, bedeutet nicht, dass sie auch einen Anspruch auf Behandlung wie diejenigen haben, die ihre Forderungen angemeldet haben. Umstritten ist, ob es mit Artikel 14 Grundgesetz vereinbar ist, dass die Insolvenzordnung ermöglicht, Gläubiger ihrer Ansprüche zu entledigen, möglicherweise ohne dass diese davon wissen und auf das Insolvenzplanverfahren irgendwie Einfluss nehmen können. Das Bundesverfassungsgericht hat, bezogen auf eine entsprechende Regelung in der Gesamtvollstreckungsordnung der DDR, entschieden, dass ein Ausschluss jedenfalls dann zulässig ist, wenn für unverschuldete Nachmeldungen eine Berücksichtigungsfähigkeit vorgesehen ist (BVerfG 26.04.1995 – 1 BvL 19/94). Ob ein auch verschuldensunabhängiger Ausschluss verfassungskonform wäre, bleibt offen.
Die Vorinstanzen des vorliegenden Falls (ArbG Mönchengladbach 31.03.2011 – 3 Ca 3500/10; LAG Düsseldorf 15.09.2011 – 11 Sa 591/11) hielten die Ausschlussklausel, entsprechend der Ansicht des OLG Hamm (03.12.2010 – I-30 U 28/10), für wirksam. Das BAG hat die Frage letztlich offengelassen und sein Urteil im Rahmen von
§ 255 ff. InsO begründet.
Die Wiederauflebensklausel (§ 255 I InsO)
Forderungen, die aufgrund des Insolvenzplans gestundet oder teilerlassen wurden, leben gemäß § 255 I Satz 1 InsO wieder auf, wenn der Schuldner mit ihrer Zahlung erheblich in Rückstand gerät. Ein erheblicher Rückstand ist anzunehmen, wenn die Forderung fällig war und der Gläubiger den Schuldner schriftlich gemahnt und ihm eine zweiwöchige Nachfrist gesetzt hat.
Diese Regelung wird laut Rechtsprechung (OLG Celle 14.07.2011 – 13 U 26/11) auf nicht angemeldete Forderungen analog angewendet. Auch eine nicht zum Insolvenz-plan angemeldete Forderung kann somit grundsätzlich wieder aufleben.
Bezüglich bestrittener Forderungen sowie der Höhe nach nicht feststehender Ausfallforderungen absonderungsberechtigter Gläubiger normiert § 256 I InsO, dass ein Rückstand (§ 255 I Satz 2 InsO), der ein Wiederaufleben von Forderungen (§ 255 I Satz 1 InsO) ermöglicht, nur dann eintreten kann, wenn das Insolvenzgericht (sofern es keine Entscheidung über das Stimmrecht des Gläubigers bei der Abstimmung über den Plan i.S.d. § 256 I Satz 1 InsO getroffen hat) auf Antrag des Schuldners oder Gläubigers nachträglich festgestellt hat, in welcher Höhe der Schuldner die Forderung vorläufig zu berücksichtigen hat. Ob und wie diese Norm analog auf Forderungen von Nachzüglern, deren Forderungen der Schuldner bestreitet, anzuwenden ist, war bis dato umstritten. Es wurde vertreten, dass nachträgliche, bestrittene Forderungen wie einfach bestrittene Forderungen zu behandeln sind mit der Folge, dass ein Antrag des Schuldners oder Gläubigers auf Feststellung der vorläufig zu berücksichtigenden Forderungshöhe (§ 256 Abs. 1 Satz 2 InsO) zu stellen ist, um die Voraussetzungen für einen Rückstand (§ 255 I InsO) zu schaffen. Das BAG vertrat zur Zeit der Geltung des § 97 I VerglO, der im Wesentlichen vergleichbaren Vorgängernorm des § 256 I Satz 2 InsO, dass die Voraussetzungen eines Rückstands einen Feststellungsantrag des verspäteten Gläubigers bedingen. Das BAG hat sich nunmehr der für Nachzügler strengsten Auffassung angeschlossen: Bestrittene Forderungen von Nachzüglern können erst dann wiederaufleben im Sinne des § 255 I InsO, wenn das Prozessgericht über die Forderung entschieden hat. Eine bloß vorläufige Feststellung gemäß § 256 I Satz 2 InsO durch das Insolvenzgericht genügt nicht.
Damit folgte das BAG im Ergebnis den Vorinstanzen, allerdings mit einer gänzlich abweichenden Begründung. Über die große Frage der Zulässigkeit und Voraussetzungen der Ausschlussklausel, die die Vorinstanzen für wirksam gehalten haben, hat das BAG nicht entschieden.
Stattdessen komplettiert das BAG mit dem Urteil den durch das ESUG erweiterten Schuldnerschutz gegen Nachzügler: Ein Jahr nach Fälligkeit der Forderung und Rechtskraft des Insolvenzplans verjähren Forderungen von Nachzüglern ganz (§ 259b InsO). Sofern die Plandurchführung gefährdet würde, sichert § 219a InsO dem Schuldner vorläufig Vollstreckungsschutz für drei Jahre. Außerdem müssen bestrittene Forderungen von Nachzüglern in Zukunft nicht mehr vorläufig befriedigt werden. Das Risiko, dass – letztlich möglicherweise doch unbegründete – Forderungen von Nachzüglern vorläufig befriedigt werden müssen und so die Sanierung von Unternehmen erschwert wird, schließt das BAG zu Lasten von Nachzüglern aus, die fortan das Urteil des Prozessgerichts abwarten müssen.
Da die Frage nach der Rechtmäßigkeit von Ausschlussklauseln weiterhin ungeklärt ist, bleibt Insolvenzschuldnern zu empfehlen, auch in Zukunft Ausschlussklauseln zu verwenden, um das Risiko von Nachzüglerforderungen weiter zu minimieren. Ob dem BAG-Urteil Hinweise darauf zu entnehmen sind, wie der Senat zur Rechtmäßigkeit von Ausschlussklauseln steht, wird sich erst mit der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe erkennen lassen.
Kontakt: aniel-rene.weigert@luther-lawfirm.com
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