Spruchverfahren: OLG Frankfurt am Main überträgt Bewertungsstandard auf frühere Stichtage
Von Andreas Grün und Jochen Fecher
Die gerichtliche Überprüfung, inwieweit Kompensationsleistungen an Minderheitsaktionäre aufgrund aktien- oder umwandlungsrechtlicher Umstrukturierungen angemessen sind, ist aufwendig und langwierig. Spruchverfahren erstrecken sich häufig über Jahre. Währenddessen entwickeln sich die Bewertungsstandards aufgrund aktueller kapitalmarkttheoretischer und empirischer Erkenntnisfortschritte weiter. Das wirft bei diesen Verfahren immer wieder die Frage auf, welcher Bewertungsstandard zugrunde gelegt werden soll. Dazu hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main kürzlich in einem Urteil entschieden, dass der weiterentwickelte Standard IDW S 1 2005 „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“ auch für Bewertungsstichtage anwendbar ist, die noch vor dessen Veröffentlichung im Dezember 2004 liegen (OLG Frankfurt am Main; Beschluss 28.03.2014, 21 W15/11).
Worum es geht
Der Standard S 1 „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“ des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) ist unter Experten als Bewertungsgrundlage anerkannt, wenn es bei Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsverträgen um die Abfindung (§ 305 AktG) und den Ausgleich (§ 304 AktG) geht. Bereits am 28.06.2000 hatte das IDW den Standard IDW S 1 a.F. verabschiedet, mit dem es auf methodische Weiterentwicklungen in der Unternehmensbewertung sowie auf Änderungen im deutschen Steuerrecht – vor allem auf die Einführung des Halbeinkünfteverfahrens im Jahr 2000 – reagierte (vgl. Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung „Steuersenkungsgesetz – StSenkG“ vom 23.10.2000). Dieser Standard kam ab Mitte des Jahres 2000 zum Tragen und wurde dann am 18.10.2005 durch die Verabschiedung des neuen IDW S 1 in der Fassung 2005 abgelöst.
In der gerichtlichen Praxis wurde bei aktien- oder umwandlungsrechtlichen Strukturmaßnahmen, deren Bewertungsstichtag in den Zeitraum von Mitte des Jahres 2000 (Verabschiedung des IDW S 1 a.F.) bis Oktober 2005 (Verabschiedung des IDW S 1 2005) fiel, gewöhnlich der IDW S 1 a.F. zugrunde gelegt. Doch nun hat das OLG Frankfurt am Main entschieden, dass die Rückübertragung eines Bewertungsstandards auf vorangegangene Stichtage sogar geboten sein kann, obwohl ein anderer Standard vorlag.
Rückübertragung trotz Stichtagsbezogenheit, Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung
Im Leitsatz seiner Entscheidung hebt das OLG Frankfurt am Main hervor, dass in der Regel die zum Bewertungszeitpunkt anerkannten Methoden und Standards zur Schätzung des Unternehmenswerts auf Grundlage von § 287 ZPO heranzuziehen sind. Das Gericht betont insoweit zunächst die Stichtagsbezogenheit und den Aspekt der Rechtssicherheit. Ferner führt das Gericht Erwägungen hinsichtlich der Verfahrensbeschleunigung an, um ein Spruchverfahren – neben der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes – innerhalb einer bestimmten Frist handhabbar zu machen. Dies wäre, so das OLG Frankfurt am Main, kaum möglich, wenn eine in der Wissenschaft diskutierte Bewertungsmethode zu einer umfassenden Neubegutachtung oder der Klärung betriebswirtschaftlicher Fragestellungen führen würde.
Dennoch kommt das OLG Frankfurt am Main zu dem Ergebnis, dass die Rückübertragung eines Bewertungsstandards zulässig sei. Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass es sinnvoll sei, einen neuen Standard anzuwenden, wenn er einen nachvollziehbaren echten Erkenntnisfortschritt beinhalte und deswegen für das Bewertungsergebnis von Bedeutung sei. In diesem Zusammenhang betont das OLG Frankfurt am Main, dass mit der Hinwendung vom Standard IDW S 1 a.F. zum Standard IDW S 1 2005 ein Paradigmenwechsel stattgefunden habe.
Neuorientierung bei Ermittlung des Kapitalisierungszinsfußes
Die zentrale Änderung war demnach eine Neuorientierung bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinsfußes, der von der Abkehr vom Anrechnungsverfahren (bis einschließlich 2000) hin zum Halbeinkünfteverfahren veranlasst war und in beiden Bewertungsstandards unterschiedlich abgebildet wurde. Nach Einschätzung des Gerichts bildet der IDW S 1 2005 die Prämisse der Rendite der Alternativanlage besser ab, die in jeder Bewertung eine zentrale Rolle spielt. Der Grund: Im Standard IDW S 1 a.F. wurde bei der Berücksichtigung persönlicher Steuern ein festverzinsliches Wertpapier unterstellt, während der IDW S 1 2005 als Alternativanlage ein Aktienportfolio vorsieht. Würde man als Alternativanlage ein festverzinsliches Wertpapier unterstellen, führte dies „zwingend zu einer Überbewertung des Bewertungsobjektes“, so das OLG Frankfurt am Main in seiner Begründung (OLG Frankfurt am Main, Rn. 60).
Halbeinkünfteverfahren
Ferner war mit dem Halbeinkünfteverfahren im Gegensatz zum Anrechnungsverfahren die bis dato unterstellte Vollausschüttung der Gewinne steuerlich regelmäßig nicht mehr vorteilhaft. Sie führte im Vergleich zu thesaurierten Gewinnen tendenziell zu niedrigeren Unternehmenswerten. Beim IDW S 1 2005 werden folgerichtig realitätsnahe Annahmen zum erwarteten Ausschüttungsverhalten der zu bewertenden Gesellschaften getroffen und entsprechend berücksichtigt.
Dem Halbeinkünfteverfahren wurde außerdem bei der Besteuerung von Dividenden sowie bei der damals bestehenden Steuerfreiheit von Kursgewinnen bei der Bemessung des Risikozuschlags Rechnung getragen. So wird im IDW S 1 2005 der Kapitalisierungszinsfuß auf Grundlage des sogenannten Tax-CAPM ermittelt. Im Vergleich zum Standard CAPM bildet er die unterschiedliche Besteuerung von Kursgewinnen und Dividenden explizit ab. Im Ergebnis gibt das OLG Frankfurt am Main dem Tax-CAPM den Vorzug. Auch vor diesem Hintergrund ist es geboten, den IDW S 1 2005 auch für davorliegende Bewertungsstichtage anzuwenden. Denn das Halbeinkünfteverfahren wirkt sich bereits mit seiner rechtswirksamen Verabschiedung aus.
Marktrisikoprämie
Im Hinblick auf den Kapitalisierungszinssatz geht das OLG Frankfurt am Main auch explizit auf die Höhe der Marktrisikoprämie nach persönlichen Steuern ein. So erachtet das OLG Frankfurt am Main grundsätzlich eine Marktrisikoprämie von 5,5% nach Steuern als sachgerecht, wie sie auch vom IDW auf Grundlage des IDW S 1 2005 in Ansatz gebracht wird. In dem konkreten Fall zieht das OLG Frankfurt am Main jedoch eine Marktrisikoprämie unterhalb der vom IDW empfohlenen Bandbreite von 5% bis 6% heran. Das Gericht begründet das lediglich damit, dass zugunsten der Antragsteller eine niedrigere Marktrisikoprämie gerechtfertigt sei, was auch dem ermessensbehafteten Schätzgedanken nahekommt. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive erscheint diese niedrigere Marktrisikoprämie – unter Zugrundelegung der zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Untersuchungen von Prof. Richard Stehle – allerdings als nicht sachgerecht.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die vom OLG Frankfurt am Main genannten Gründe sprechen dafür, den Standard IDW S 1 2005 generell auf Bewertungsstichtage anzuwenden, die in den Zeitraum von Mitte 2000 bis Oktober 2005 fallen. Zu diesen Gründen zählen vor allem die Einführung des Halbeinkünfteverfahrens im Jahr 2000 und der damit verbundene Paradigmenwechsel. Ferner sollte für diesen Zeitraum eine Marktrisikoprämie in Höhe von 5,5%, als Mittelwert der vom IDW verlautbarten Bandbreite von 5% bis 6%, in Ansatz gebracht werden.
andreas.gruen@de.pwc.com
jochen.fecher@de.pwc.com
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