Ein neues Gesetz mit Risikopotential und Handlungsbedarf für fast alle Arbeitgeber
Von Monika Birnbaum
Der Normalfall
Nahezu jede geleistete Zeitstunde unterliegt ab dem 01.01.2015 dem Mindestlohn. Dabei ist grundsätzlich zunächst alles anrechenbar, was der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die geleistete Arbeit zahlt, also auch Sachleistungen wie Jobticket, geldwerter Vorteil für den Dienstwagen, Dienstwohnung, betriebliche Altersversorgung, Prämien und Provisionen, Boni und Tantiemen, wenn – dies ist Voraussetzung – innerhalb der gesetzlich geregelten Fälligkeit die Zahlung erfolgt. Fällig ist der Mindestlohn allerspätestens am letzten Bankarbeitstag des Folgemonats, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde. Problematisch ist deshalb die Anrechnung von Boni, Tantiemen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, die damit allenfalls auf die Leistungen des Zahlungs- und des Vormonats angerechnet werden können. Sie sollten umgestellt werden auf gezwölftelte Zahlungen oder monatliche Vorschusszahlungen auf zukünftige Boni und Tantiemen.
Nicht anrechenbar sind Leistungen, die nicht für die reguläre Arbeit erbracht werden, sondern für eine zusätzliche Erschwernis und deshalb auch so bezeichnet werden, insbesondere Überstunden-, Sonntags-, Spätöffnungs- oder Nachtarbeitszuschläge. Bis auf die Nachtarbeitszuschläge, die schon aufgrund gesetzlicher Regelung an die Arbeitnehmer zu erfolgen haben, können aber, es sei denn der Arbeitgeber ist aus tarifrechtlichen Gründen verpflichtet, die besonderen Zuschläge zu zahlen, diese umgewandelt und als verstetigte Zahlung geleistet werden, um den Mindestlohn zu gewährleisten.
Damit Überstunden auch zukünftig durch Freizeit ausgleichbar bleiben, ist ihre Bezahlung vom strengen Fälligkeitsprinzip ausgenommen, wenn sie auf ein entsprechendes und schriftlich vereinbartes Arbeitszeitkonto und monatlich nicht mehr als 50% der regulären Arbeitszeit eingestellt werden und wenn sie binnen Jahresfrist entweder durch Freizeit ausgeglichen oder bezahlt worden sind.
Für jeden Arbeitgeber (in- und ausländische) gilt, dass er den Mindestlohn für jede in Deutschland erbrachte Arbeitsstunde leisten muss.
Für jeden Arbeitgeber gilt auch, dass die üblichen in Tarifverträgen oder Arbeitsverträgen zu findenden Verfallklauseln/Ausschlussfristen für den Mindestlohn nicht gelten. Damit die im Arbeitsvertrag zu findende Verfallklausel nicht ab 2015 unwirksam wird, sollten die Arbeitgeber ausdrücklich aufnehmen, dass die Ausschlussfrist nicht für Mindestlohnansprüche gilt.
Nicht geklärt ist bisher, ob auch gerichtliche Vergleiche, die nicht ausdrücklich durch schriftlichen richterlichen Vorschlag unterbreitet wurden, ausreichen, den Mindestlohn auszuschließen. Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung und der Rechtsprechung zum Befristungsrecht könnte vermutet werden, dass der „normale“ gerichtliche Vergleich nicht ausreicht, um Mindestlohnansprüche mit der großen Ausgleichsklausel auszuschließen.
Das Gesetz gilt grundsätzlich für alle Arbeitnehmer, es sei denn, es liegt einer der nachstehend behandelten Sonderfälle vor, für die Ausnahmen im Gesetz vorgesehen sind.
Sonderfall Praktikanten, jugendliche Langzeitarbeitslose, Zeitungszusteller, Tarifregelungen
Das Gesetz erweitert den Arbeitnehmerbegriff um die Praktikanten und lässt auch für sie das Mindestlohngesetz (MiLoG), zusätzlich auch das Nachweisgesetz, gelten, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, die wesentlichen Bestandteile des Arbeitsverhältnisses schriftlich zu dokumentieren. Allerdings ist nicht jeder Praktikant erfasst. Ein sogenanntes Schnupperpraktikum, Praktika, die durch Prüfungsordnungen vorgeschrieben sind, und im SGB III oder im Berufsbildungsgesetz vorgeschriebene Praktika fallen nicht unter das MiloG. Gleiches gilt für Jugendliche, Auszubildende und ehrenamtlich Tätige und für sogenannte Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung.
Weitere Ausnahmefälle lässt das MiLoG bei den Zeitungszustellern bis Ende 2017 zu und für solche Arbeitsverhältnisse, die unter die Regelungen eines Tarifvertrags repräsentativer Tarifvertragsparteien fallen, wenn sie für alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitgeber mit Sitz im In- und Ausland sowie deren Arbeitnehmer/innen verbindlich gemacht worden sind. Dies gilt auch für solche Arbeitnehmer/innen, die unter Rechtsverordnungen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) oder Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) fallen. Allerdings muss hier bereits ab dem 01.01.2017 der gesetzliche Mindestlohn erreicht werden.
Sonderfall: Dokumentation für sogenannte geringfügig Beschäftigte und besondere Branchen
Zusätzlich regelt das MiloG Nachweis- und Dokumentationspflichten, allerdings nicht für alle Arbeitgeber bzw. nicht für alle Arbeitsverhältnisse. Die Dokumentationspflichten haben zunächst die Arbeitgeber aus den in § 2a des Schwarzarbeiterbekämpfungsgesetzes (SchwarzArbG) genannten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen (Bau, Gaststätte, Beförderung, Spedition und Transport, Schausteller, Forstwirtschaft, Gebäudereinigung, Messebau und Fleischwirtschaft). Aber auch alle übrigen Arbeitgeber müssen dokumentieren, wenn sie geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer (450-Euro-Kräfte) beschäftigen. Ausgenommen sind hier lediglich die Arbeitgeber in Privathaushalten.
Die Dokumentationspflicht umfasst Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit. Die Aufzeichnung muss spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertags erfolgen und ist zwei Jahre aufzubewahren.
Diese Verpflichtung betrifft nicht nur die „normalen Arbeitgeber“, sondern auch die Entleiher, die nach AÜG einen Zeitarbeitnehmer ausleihen. Auch sie müssen, wenn die Branchen nach § 2a des SchwarzArbG tangiert sind, entsprechende Dokumentationen vornehmen.
Zusätzlich sieht das Gesetz, wie auch das AEntG eine Haftung von auftraggebenden Unternehmen für die Löhne der beim Auftragnehmer Beschäftigten vor, indem es auf § 14 AEntG verweist.
Handlungsbedarf für Arbeitgeber
- Überprüfung der Löhne und Gehälter darauf hin, ob unter Einschluss der wirklich anrechenbaren Bestandteile der Mindestlohn erreicht wird.
- Wird der Mindestlohn nicht erreicht: Umwandlung aller grundsätzlich anrechnungsfähigen Bestandteile wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld in monatliche Zahlung, Verzicht auf Zuschläge, soweit tarifvertraglich und gesetzlich (nicht Nachtarbeitszuschläge) zulässig. Zustimmung der Arbeitnehmer ist erforderlich.
- Sicherstellung pünktlicher Zahlung.
- Schriftliche Vereinbarung von Arbeitszeitkonten für Überstunden, um den späteren Freizeitausgleich zu ermöglichen.
- Überprüfung der Arbeitsverträge, damit dort enthaltene Ausschlussklauseln nicht gesetzeswidrig den Mindestlohnanspruch erfassen.
- Überprüfung aller Praktikantenarbeitsverhältnisse, ob sie unter das Mindestlohngesetz fallen.
- Überprüfung der Arbeitsverhältnisse von geringfügig Beschäftigten, die bei einer ausdrücklichen Stundenvereinbarung einen Anspruch haben, zukünftig weiterhin in diesem Umfang, allerdings zu höherem Lohn, zu arbeiten. Vorsicht, wenn in den Verträgen Nettovereinbarungen enthalten sind. In dem Fall sollte ausdrücklich eine Bruttoregelung aufgenommen werden. Anderenfalls, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr als die Grenze von 450,00 Euro verdienen will, sollte eine Umstellung der Verträge auf eine neue Arbeitszeit vorgenommen werden.
- Prüfung der Aufträge von Auftragnehmern, ob anhand der vorgelegten Kalkulation die Mindestlöhne eingehalten werden können, insbesondere Vertragsergänzungen zur Überprüfung und zum Nachweis, dass Mindestlohn gezahlt wird, um aus der Haftung für den Auftragnehmer zu kommen.
Risiko bei Untätigkeit
Die Zollverwaltung prüft die Einhaltung des Gesetzes. Bei Nichteinhaltung drohen erhebliche Bußgelder.
Hinweis der Redaktion: Zum Thema Mindestlohn siehe auch – mit anderer Schwerpunktsetzung – den Beitrag von Sabine Feindura in DeutscherAnwaltSpiegel 15/2014.
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