Zwischenfazit: Licht und Schatten und ein Fragezeichen bei der Kontrolle der Gesetzeseinhaltung
Von Sabine Feindura

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Seit mehr als einem Jahr ist das Mindestlohngesetz (MiLoG) nun in Kraft. Nicht nur Arbeitgeber und Anwälte setzen sich kritisch damit auseinander, auch auf dem politischen Parkett rumort es weiter. Hauptsächlich diskutiert werden die Dokumentationspflichten des Arbeitgebers, die Kontrolle der Einhaltung des MiLoG und unklare Begrifflichkeiten.

Dokumentations- und Meldepflicht

Da Mindestlohn nur effektiv gewährt werden kann, soweit Arbeitszeit zutreffend dokumentiert wird, bürdet das MiLoG Arbeitgebern in den §§ 16, 17 umfangreiche Dokumentations-, Melde- und Aufbewahrungspflichten auf. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Bundesministerium der Finanzen (BMF) haben Rechtsverordnungen erlassen, die diese Pflichten dort einschränken, wo solcher Verwaltungsaufwand offenkundig nicht betrieben werden muss.

Mit Hilfe der seit 01.01.2015 geltenden Mindestlohnmeldeverordnung (MiLoMeldV) hat das BMF eine Vereinfachung des Meldeverfahrens geschaffen für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und inländische Entleiher, denen von Verleihern mit Sitz im Ausland Arbeitnehmer überlassen werden. Betroffen sind allerdings nur Tätigkeiten, bei denen eine gesetzestreue Umsetzung der Meldepflicht etwa wegen ständigen Ortswechsels des Arbeitnehmers zu aufwendig wäre. Nach der Begründung der Verordnung erfordert die in diesen Bereichen anfallende Arbeitsablauforganisation eine Vereinfachung. Von dieser Erleichterung können wohl nur wenige Arbeitgeber profitieren.

Ferner hat das BMAS mit der Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung (MiLoDokV) vom 29.07.2015 weitere Ausnahmetatbestände für Arbeitnehmergruppen geschaffen, bei denen lediglich ein geringes Risiko eines Mindestlohnverstoßes besteht. So finden etwa § 16 Abs. 1 oder 3 MiLoG (schriftliche Anmeldung von Arbeitnehmern), § 16 Abs. 2 oder 4 MiLoG (Versicherung der MiLoG-Einhaltung) sowie § 17 Abs. 1 und 2 MiLoG (Aufbewahrung und Bereithaltung von Arbeitszeitaufzeichnungen) keine Anwendung auf Arbeitnehmer, deren verstetigtes regelmäßiges Monatsentgelt brutto 2.958 Euro überschreitet (§ 1 Abs. 1 Satz 1 MiLoDokV). Angesichts der Tatsache, dass bei diesem Entgelt der Mindestlohn erst über 80 Wochenstunden und damit jenseits der Grenzen des Arbeitszeitgesetzes (für das Gros der Arbeitnehmer) unterschritten würde, ist dies wohl nur die Reparatur eines Geburtsfehlers des MiLoG. Solche Bemühungen verringern den bürokratischen Aufwand nur sehr begrenzt.

Kontrolle

Um die Umsetzung des MiLoG in der Praxis zu gewährleisten, sehen die §§ 14 ff. MiLoG Kontrollmaßnahmen vor. Zuständig sind die Behörden der Zollverwaltung, dort die sogenannte „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“. Die Bundesregierung hatte im Vorfeld des Inkrafttretens des Gesetzes eine intensive Kontrolle in Aussicht gestellt (BT-Drs. 18/3264, S. 4). Julian Würtenberger, Ministerialdirektor im BMF, berichtete im Rahmen der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 14.03.2016 (Protokoll-Nr. 18/67, S. 8) zu einem Antrag der Fraktion Die Linke (BT-Drs. 18/4183) zur Kontrollpraxis, dass sich die Verstöße gegen das MiLoG im Verhältnis zu sonstigen Verstößen gegen Vorschriften, die die Zollverwaltung zu überprüfen habe, in einem überschaubaren Bereich bewegten. Der Vergleich zu sonstigen Verstößen zeige, dass die Unterschreitung des Mindestlohns unerheblich sei. Das klingt beruhigend.

Allerdings wurden die 1.600 Stellen, um die das Stellenkontingent für solche Kontrollen bis zum Jahr 2019 aufgestockt werden sollte (BT-Drs. 18/3264, S. 2), bisher nicht geschaffen. Da liegt allerdings die Vermutung nahe, dass die Umsetzung des MiLoG mangels Personals derzeit gar nicht flächendeckend überprüft wird. Möglicherweise können erst nach einer Aufstockung verlässliche Erkenntnisse über die Anzahl tatsächlicher Verstöße gesammelt und die Situation zutreffend beurteilt werden. Auch wenn mehr Kontrolle grundsätzlich mehr Bürokratie bedeutet, mag doch mancher Unternehmer eine Steigerung der Kontrolldichte zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen herbeiwünschen.

Bereitschaftszeit gleich Arbeitszeit?

Mit Inkrafttreten des MiLoG stellte sich erneut die Frage, inwieweit Bereitschaftszeit als Arbeitszeit zu qualifizieren ist und also mit dem Mindestlohn vergütet werden muss, beispielsweise wenn während der Bereitschaftszeit geschlafen werden kann. Bereitschaftsdienste kommen etwa im Bereich der Energieversorgung, bei Sicherheitsdiensten, in Krankenhäusern und Heimen vor. Die Rechtsprechung hat Bereitschaftszeit aber bereits vor Erlass des MiLoG als vergütungspflichtige Arbeitszeit anerkannt (etwa BAG vom 19.11.2014 – 5 AZR 1101/12). Entsprechend ist sie mindestlohnpflichtig, auch wenn dies etwa bei dem Heimerzieher, der nur für seltene Notfälle eine Nacht pro Monat im Heim übernachtet und also schlafend in Bereitschaft ist, schon bizarr wirkt. Es bedürfte einer Gesetzesänderung, um hier aus Sicht des Arbeitgebers Abhilfe zu schaffen. Vermutlich wird es insoweit aber bei dem Rückgriff auf die Begriffsbestimmungen der Rechtsprechung zum Begriff der Arbeit(szeit) bleiben.

Anrechnung von Entgeltbestandteilen auf den Mindestlohn

Das Gesetz gibt ferner keine Auskunft darüber, welche Bestandteile der Vergütung herangezogen werden dürfen, um zu ermitteln, ob der Mindestlohn eingehalten wird. Natürlich ist bei der Klärung dieser Fragen von der existenzsichernden Funktion des Mindestlohns auszugehen. Auf Grundlage bestehender Rechtsprechung zur Anrechnung von Entgeltbestandteilen auf tarifliche Mindestlöhne (EuGH, ECLI:EU:C:2013:711) wird vertreten, dass nur solche Vergütungsbestandteile angerechnet werden dürften, die eine synallagmatische Leistung des Arbeitnehmers vergüten. Die Honorierung von Sonderleistungen ist also nicht anrechnungsfähig. Das BAG erachtet nur solche Vergütungsbestandteile als mindestlohnrelevant, die „funktional gleichwertig“ mit dem Grundlohn sind (BAG 18.04.2012 – 4 AZR 139/10). Nicht anrechnungsfähig sind demnach Vergütungsbestandteile, die zeitlichen Mehraufwand, qualitativ höherwertige Tätigkeit oder erschwerte Anforderungen abdecken sollen. Der EuGH hält sich zurück; entscheidend für die Anrechenbarkeit seien die „Rechtsvorschriften und nationalen Gepflogenheiten des Mitgliedstaats“ (EuGH, ECLI:EU:C:2013:711), so dass die Anrechenbarkeit einer Leistung auf den Mindestlohn stets vor dem Hintergrund des nationalen Verständnisses und nationaler Rechtsvorschriften erfolgen müsse. Soweit Leistungen des Arbeitgebers in größeren als monatlichen Abständen gewährt werden, etwa jährlich, können sie außerhalb des Fälligkeitszeitraums des § 2 MiLoG schon wegen des Existenzsicherungszwecks nicht in eine Durchschnittsberechnung einbezogen werden. Weiter kommt es in solchen Fällen ebenfalls auf die Funktion solcher Leistungen an. Der Gesetzgeber könnte auch hier mehr Klarheit schaffen, indem Anrechnungsmöglichkeiten durch einen Katalog der wesentlichen Fälle typisiert würden. Derzeit besteht sogar Uneinigkeit zwischen den Arbeitsgerichten und dem Zoll, was die diesbezügliche Auslegung des MiLoG angeht.

Fazit

Die Maßnahmen zur Beschränkung des durch das MiLoG geschaffenen erheblichen zusätzlichen bürokratischen Aufwands sind sparsam ausgefallen. Immerhin hat der Verordnungsgeber recht zeitnah nach dem Inkrafttreten des Gesetzes gehandelt. Der Gesetzgeber könnte durch Begriffsbestimmungen und/oder Katalogtatbestände Erleichterungen für die Praxis schaffen. Ob die Umsetzung des MiLoG unproblematisch ist, weil die Anwender überwiegend rechtstreu sind oder Verstöße bisher nur mangels Kontrollpersonals nicht aufgedeckt wurden, ist schwierig zu beurteilen.

feindura@buse.de

 

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