Causa Libro oder: vermeintliches Verschieben von Konzernvermögen – OGH-Urteil mit grenzüberschreitender Signalwirkung

Von Susanne Schröder und Dr. Berit Kochanowski

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Die österreichische Justiz stellte vor wenigen Wochen zwei Vorstände einer AG erneut zwecks Überprüfung der Entscheidungen der Vorinstanz an den strafrechtlichen Pranger. Anlass war deren Beschuldigung wegen Untreue: Sie befolgten eine Weisung des Aufsichtsratsvorsitzenden. Der OGH (OGH 30.01.2014, 12 Os117/12s – Causa Libro) befand die Vorstände trotz Weisung des Aufsichtsrats für schuldig und reduzierte lediglich wegen der langen Verfahrensdauer die bedingten Freiheitsstrafen. Angeklagt sind auch der Aufsichtsratsvorsitzende der AG sowie der beauftragte Wirtschaftsprüfer, der für einen überhöhten Bilanzgewinn den Bestätigungsvermerk erteilt hatte und dadurch die umstrittene Sonderdividende in Höhe von etwa 32 Millionen Euro erst ermöglicht haben soll; deren Verfahren wurden wegen Feststellungsmängeln an die erste Instanz zurückverwiesen.

Vermögensverschiebungen zwischen verschiedenen Gesellschaften bleiben folglich strafrechtlich hochsensibel. Insbesondere bei internationalen Konzernen, die in Österreich tätig sind, müssen sich die Organe der österreichischen Tochtergesellschaften auf den jedenfalls aus strafrechtlicher Sicht verschärften Sorgfaltsmaßstab einstellen, denn im Fall des Tatorts oder Erfolgsorts in Österreich nach § 25 bzw. § 36 öst. StPO wird die gerichtliche Zuständigkeit auch für deutsche Staatsangehörige in Österreich liegen.

Zum Sachverhalt

Die beiden Vorstände der AG planten eine Verschmelzung mit der Alleinaktionärin der AG, um danach einen Börsengang im Jahr 1999 zu ermöglichen. Voraussetzung für die geplante Downstream-Verschmelzung war die Schuldenfreiheit der Alleinaktionärin. Die Alleinaktionärin selbst war wiederum eine AG mit einer Mehrheit von Aktionären (H-AG). Um die Schuldenfreistellung der Alleinaktionärin zu erreichen, schütteten die Vorstände eine Sonderdividende an die Alleinaktionärin der H-AG aus. Diese Sonderdividende stellte nach Auffassung des OGH eine unzulässige Einlagenrückgewähr nach § 52 öst. AktG (vergleichbar § 57 AktG in Deutschland) dar.

Ermöglicht wurde die Auszahlung der Sonderdividende dadurch, dass in der Bilanz der AG tatsachenwidrig ein durch verschiedene bilanzielle Maßnahmen ermittelter überhöhter Gewinn ausgewiesen wurde. Die Organe gingen dabei zweifelsohne, wenn auch zu Unrecht, davon aus, den zulässigen Bewertungsspielraum nicht überschritten zu haben. Gleichzeitig wurde ein Darlehen aufgenommen, um die Mittel zur Auszahlung der „Sonderdividende“ zu finanzieren. Dadurch wurden die Passiva der AG erhöht. Dies beurteilte der OGH in seiner Ex-post-Betrachtung als Vermögensnachteil zu Lasten der ausschüttenden AG.

Zustimmung schützt vor Strafe nicht

Untreue im Sinne des § 153 öst. StGB begeht, wer seine durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbraucht und dadurch demjenigen, dem das Vermögen zuzurechnen ist, einen Vermögensnachteil zufügt. Das österreichische Recht verlangt, anders als die vergleichbare deutsche Bestimmung (§ 266 StGB), wissentliches Handeln, bedingter Vorsatz genügt nach österreichischem Recht nicht.

Bei einer zu Lasten einer Aktiengesellschaft begangenen Untreue ist nach der aktuellen Entscheidung nicht der mittelbare Schaden der Alleinaktionärin, sondern der unmittelbare Nachteil der ausschüttenden AG maßgebend. Vermögensverschiebungen innerhalb von Konzernunternehmen können deshalb eine Schädigung darstellen, weil dem Konzern keine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt.

Die Untreuestrafbarkeit kann auch durch die Zustimmung der Aktionäre oder der Alleinaktionärin grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Auch eine „Weisung“ oder eine Zustimmung der Hauptversammlung zur Vornahme von Geschäftsführungsakten, die, weil vermögensschädigend, gegen das Unternehmensinteresse verstoßen, ist nicht geeignet, von der gegenüber der Gesellschaft bestehenden Treuepflicht zu „dispensieren“. So sieht es der OGH und begründet dies auch mit der fehlenden Weisungsbefugnis gegenüber dem Vorstand (OGH 30.01.2014, 12 Os117/12s – Causa Libro, S. 20). Der Grundsatz der Vermögensbindung gilt auch und gerade im Konzern für jedes einzelne Konzernunternehmen.

Bei der Beurteilung des Vermögensnachteils kommt es aus strafrechtlicher Sicht nur auf die Vermögenssituation des Geschädigten vor und nach der missbräuchlichen Handlung an. Der Vermögensnachteil muss nicht dauerhafter Natur sein. Die Tat ist mit dem Abfluss der Mittel vollendet. Zivilrechtlich können hingegen auch später eingetretene Vermögensvorteile, hier die Gewinne aus dem Börsengang, mit den zuvor eingetretenen Vermögensnachteilen verrechnet werden, so dass ein Schaden im zivilrechtlichen Sinn möglicherweise gar nicht eingetreten ist.

Damit entwickeln sich Aktienrecht und Strafrecht auseinander. Legt man die streng formale Betrachtung des OGH als Maßstab auch an andere gesellschaftsrechtliche Maßnahmen an, so sind diese mit einem immer größeren strafrechtlichen Risiko für die Beteiligten, seien es nun Vorstände oder Geschäftsführer einer GmbH, verbunden. Auch nach deutschem Recht droht den Organen der Gesellschaft die Strafbarkeit wegen Untreue (§ 266 StGB); dazu genügt unter Umständen schon bloßes Unterlassen.

Die aktuelle Entscheidung, die Presseberichten zufolge konträr zur Auffassung der Generalprokuratur (das ist in Österreich die beim Obersten Gerichtshof eingerichtete staatsanwaltliche Behörde) gefällt wurde, hat Befürchtungen laut werden lassen, unter diesen Umständen könne ein Konzern nicht mehr geführt werden.

Was folgt daraus für die Gesellschaftsorgane?

Die aufgezeigte strafrechtliche Relevanz von häufig vorkommenden Vermögensverschiebungen in Konzernen zeigt: Compliance ist kein Selbstzweck. Die Beachtung von Compliance innerhalb von Regelungen und die Einführung eines entsprechenden Systems liegen nicht zuletzt auch im Interesse der handelnden Organe selbst.

Im Einzelnen bedeutet dies für Organe deutscher oder österreichischer Gesellschaften:

Ein Organ darf sich nicht blind darauf verlassen, bei kritischen Handlungen durch Beschlüsse der Eigentümer gedeckt zu sein. Neben einer möglichen zivilrechtlichen Haftung droht die strafrechtliche Verurteilung. Die Vorstände hätten als eigenverantwortlich und weisungsfrei agierende Organe gegen den nichtigen Beschluss der Hauptversammlung der AG mit Nichtigkeitsklage vorgehen müssen (§§ 77 bis 84 öst. AktG; §§ 249; 253 dt. AktG. Siehe auch Strasser in Jabornegg/Strasser AktG, 5. Aufl., § 70 RZ 10 und §§ 77 bis 84 RZ 115).

Ein im Gegensatz zu Vorständen einer AG der Gesellschafterversammlung gegenüber weisungsgebundener GmbH-Geschäftsführer müsste zur Vermeidung der Strafbarkeit notfalls das Amt niederlegen (§ 16a öst. GmbHG, § 38 GmbHG, siehe auch OGH 06.03.2014 12Os 156/13h).

Mitglieder von Aufsichtsräten geraten selbst in das Strafvisier, wenn sie scheinbar wirtschaftlich gerechtfertigte, jedoch gesetzwidrige Vorgehensweisen „absegnen“.

Die Grundsätze der Business Judgement Rule und des Arm’s-length-Prinzips sind in Deutschland kodifiziertes Recht, werden aber auch als strafrechtlicher Maßstab für das Handeln von Organen zunehmend bedeutsam. Insbesondere müssen das Handeln im Verhältnis von Konzerngesellschaften dem Fremdvergleich standhalten und Entscheidungen von Organen auf Grundlage ausreichender Informationen getroffen werden.

Rechtslage in Deutschland

Auch das LG München I hat in seiner Entscheidung (LG München I, Az. 5 HKO 1387/10 – nicht rechtskräftig) vom 10.12.2013 zu den Anforderungen an eine Complianceorganisation betont, dass das Vorstandsmitglied bei Bekanntwerden von Gesetzesverletzungen verpflichtet sei, ausreichende Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung einzuleiten, aufgedeckte Verstöße abzustellen sowie die Verstöße der betreffenden Mitarbeiter zu ahnden (siehe dazu Knigge, in Deutscher AnwaltSpiegel). Denn unabhängig von einer internen Ressortaufteilung ist es Aufgabe jedes einzelnen Vorstandsmitglieds, darauf hinzuwirken, dass innerhalb des Vorstands ein funktionierendes Compliancesystem beschlossen wird. Mag es auch Formulierungsunterschiede zwischen österreichischem und deutschem Aktienrecht geben, für beide Länder gilt, dass Compliance in den Verantwortungsbereich des Gesamtvorstands fällt.

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Susanne.schroeder@btu-group.de

Berit.kochanowski@btu-group.de

 

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