Verbesserung der Rechtsstellung von In-house-Counsel – der „Abelia“-Beschluss des EFTA-Gerichtshofs
Von Dr. Philipp Speitler
Mit Beschluss vom 29.08.2014 in der Rechtssache E-8/13 hat der EFTA-Gerichtshof – Schwestergerichtshof des EuGH im Europäischen Wirtschaftsraum und zuständig für die EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen – eine Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung der EFTA-Überwachungsbehörde (ESA) über angebliche staatliche Beihilfen zugunsten von Unternehmen, die Räumlichkeiten an öffentliche Schulen vermieten, abgewiesen. Geklagt hatte Abelia, der Wirtschafts- und Arbeitgeberverband der wissens- und forschungsbasierten Unternehmen in Norwegen. Abelia ist wiederum Mitglied des norwegischen Unternehmensverbands NHO. NHO repräsentiert 1.250 Unternehmen einschließlich mehrerer Privatschulen.
Sachverhalt
Der Kläger begehrte die Aufhebung einer Entscheidung der ESA, mit der ohne Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens festgestellt wurde, dass die angefochtenen Regelungen des norwegischen Mehrwertsteuer- und Mehrwertsteuerausgleichsgesetzes nicht als Beihilfe im Sinne von Art. 61 Abs. 1 EWR-Abkommen zugunsten von öffentlichen Schulen oder von Vermietern von Räumlichkeiten für öffentliche Schulen anzusehen waren. Der Gerichtshof wies die Klage aus prozessualen Gründen ab.
Er nahm auch zu einem Problem Stellung, das im EU-Recht zu großen Kontroversen geführt hat, nämlich zur Frage, ob ein Verbands- bzw. Unternehmensjurist eine Partei in einem solchen Verfahren vertreten darf. Nach Art. 17 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs müssen andere Parteien als ein EFTA-Staat, die ESA, die EU und die Kommission durch einen Anwalt vertreten sein, der an einem Gericht eines EWR-Staates zugelassen ist.
Der Gerichtshof untersuchte das Verhältnis zwischen dem Kläger und seinen zwei Anwältinnen. Die Unabhängigkeit der einen Anwältin wurde nicht durch ihre Funktion als Leiterin der Abteilung „Wirtschaftsrecht“ von NHO beeinträchtigt, da dem Gerichtshof keine Informationen vorlagen, die eine überwiegende Interessensübereinstimmung zwischen dem Kläger und NHO nachwiesen. Die Unabhängigkeit der anderen Anwältin als Angestellte einer unabhängigen Anwaltskanzlei, die – unabhängig von einem Vertrag zwischen NHO und der Kanzlei über die vorübergehende Inanspruchnahme ihrer Dienstleistungen – ihr Gehalt weiterhin von der Kanzlei erhielt, wurde ebenfalls als ausreichend angesehen. Der Kläger war damit wirksam vor dem Gerichtshof vertreten.
In-house-Counsel: die Sicht des EFTA-Courts
Der Gerichtshof ließ es aber nicht bei diesen Erwägungen, sondern machte grundsätzliche Ausführungen zum Vertretungsrecht von In-house-Counsel. Er stellte fest, die Voraussetzung, dass eine Partei vor dem Gerichtshof durch einen unabhängigen Dritten vertreten werde, bedeute nicht, dass eine Vertretung durch Mitarbeiter oder durch diejenigen, welche finanziell von ihm abhängig sind, generell ausgeschlossen sei. Das Wesen der vom EWR-Recht vorgeschriebenen Voraussetzung sei, dass private Parteien daran gehindert werden sollten, Klagen ohne Rückgriff auf eine geeignete Mittelsperson selbst zu erheben. Soweit es um juristische Personen gehe, solle das Erfordernis der Vertretung durch einen Dritten eine ausreichende Distanz des Vertreters zu der vertretenen juristischen Person sicherstellen. Ob das der Fall sei, müsse der Gerichtshof von Fall zu Fall prüfen.
Daher dürften finanzielle oder strukturelle Beziehungen, die der Vertreter mit seinem Klienten habe, nicht von einer Gestalt sein, dass sie Anlass zu Verwechslungen zwischen den Eigeninteressen des Klienten und den persönlichen Interessen des Vertreters gäben. Der Vertreter müsse im Gegenteil objektiv als eine echte Mittelsperson zwischen seinem Mandanten und dem Gerichtshof wahrgenommen werden, wenn er mit der bestmöglichen Vertretung der Interessen seines Mandanten betraut sei. Bei der Auslegung von Art. 17 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs sei der entscheidende Faktor, ob die Beziehung zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten, unabhängig von ihrer Art, so beschaffen sei, dass die nach EWR-Recht geforderte Unabhängigkeit dieses Rechtsanwalts in Frage gestellt werde.
Bewertung
Der Ansatz des EFTA-Gerichtshofs ist liberaler als der, den der EuGH in einem vergleichbaren Fall (Verb. Rs. C-422/11 P und C-423/11 P „Prezes vs. Kommission“) verwendet hat. Die ESA hatte den EFTA-Gerichtshof aufgefordert, sich dieser Rechtsprechung anzuschließen. Sie machte geltend, Art. 17 der Satzung sei dahingehend auszulegen, dass jeder Anwalt, der in einer Firma oder einem Verband angestellt sei, vom Recht auf Vertretung ausgeschlossen sei. Es bestehe immer das Risiko, dass der Anwalt in seiner Meinungsbildung von seiner Arbeitsumgebung beeinflusst werde. Dass ein zweites Anstellungsverhältnis mit einer unabhängigen Anwaltskanzlei bestehe, ändere nichts.
Die „Abelia“-Rechtsprechung ist unter Berücksichtigung der Rechtswirklichkeit zu begrüßen. Es gibt Rechtsanwälte, die in Anwaltskanzleien arbeiten, aber einem Mandanten gegenüber praktisch keine Unabhängigkeit haben. Umgekehrt sind unternehmensinterne Anwälte in manchen Fällen unabhängiger als externe Rechtsvertreter. Die Vertretung eines Unternehmens durch einen externen Rechtsanwalt treibt die Kosten in die Höhe. Entscheidend müssen daher, wie der EFTA-Gerichtshof entschieden hat, die Verhältnisse des Einzelfalls sein.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass das Anwaltsprivileg nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache C-550/07 P „Akzo Nobel“ nur externen Anwälten zukommt. Unternehmensanwälte sind davon ausgeschlossen. Die unternehmensinterne Kommunikation mit hausinternen Juristen darf daher von der Kommission beschlagnahmt werden. Auch in diesem zentralen Punkt weist der
„Abelia“-Beschluss des EFTA-Gerichtshofs möglicherweise einen neuen Weg.