BAG berücksichtigt Leiharbeitnehmer bei Unternehmensmitbestimmung
Von Dr. David Plitt, LL.M. (LSE)
Leiharbeitnehmer zählen bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat mit. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden (Az. 7 ABR 42/13). Mit seinem Urteil hat das BAG erstmalig Leiharbeitnehmer in einem Teilbereich der Mitbestimmung in Unternehmen mit berücksichtigt. Es bleiben aber noch entscheidende Fragen offen.
Arbeitnehmerbegriff des BetrVG ist entscheidend
§ 9 Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) regelt, ob Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in unmittelbarer Wahl oder Delegiertenwahl gewählt werden. Hat das Unternehmen in der Regel mehr als 8.000 Arbeitnehmer, werden die Arbeitnehmervertreter durch Delegierte gewählt, sofern nicht die wahlberechtigten Arbeitnehmer die unmittelbare Wahl beschließen. Wird der Schwellenwert nicht erreicht, findet eine unmittelbare Wahl statt. Das MitbestG definiert den Begriff „Arbeitnehmer“ jedoch nicht selbst, sondern verweist auf den betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff des § 5 Abs. 1 BetrVG.
Zählen Leiharbeitnehmer jetzt immer mit?
Im jetzt entschiedenen Verfahren stritten die Parteien darum, ob im Unternehmen beschäftigte Leiharbeitnehmer bei der Berechnung des betreffenden Schwellenwerts zu berücksichtigen waren. Bei der Aufsichtsratswahl im Jahr 2011 zählte der Hauptwahlvorstand des Reifenherstellers Goodyear Dunlop Tires Germany mehr als 8.340 Arbeitnehmer. Dabei rechnete er die 444 auf Stammarbeitsplätzen eingesetzten wahlberechtigten Leiharbeitnehmer mit ein und beschloss, die Wahl als Delegiertenwahl durchzuführen. Hiergegen klagten 14 Arbeitnehmer und beantragten, die Arbeitnehmervertreter direkt wählen zu können.
Wie die Vorinstanzen beschied auch das BAG dem Antrag der Arbeitnehmer keinen Erfolg. Der Hauptwahlvorstand durfte die 444 Leiharbeitnehmer in der Gesamtbeschäftigtenzahl im Unternehmen berücksichtigen. Der Beschluss des Hauptwahlvorstandes, eine Delegiertenwahl durchzuführen, entspreche der Regelwahlart des Mitbestimmungsgesetzes. Demnach seien wahlberechtigte Leiharbeitnehmer auf Stammarbeitsplätzen mitzuzählen.
Tendenz bei neuen Urteilen mit Konsequenzen für die Unternehmenspraxis
Ob Leiharbeitnehmer auch bei anderen Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung in die Berechnung einbezogen werden müssen, entschied das Gericht nicht. Diese Frage stellt sich jedoch u.a. bei der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern im Zusammenhang mit dem Drittelbeteiligungsgesetz (§ 1 DrittelbG). Demnach müssen Unternehmen mit 501 bis 2.000 Arbeitnehmern einen Aufsichtsrat einrichten, in dem Beschäftigtenvertreter ein Drittel der Sitze haben.
Darüber hinaus hat ein solches Mitbestimmungserfordernis Auswirkungen auf die Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE). Viele Unternehmen wählen diese Rechtsform auch deshalb, weil sie damit die „Mitbestimmung einfrieren“ können. Das Fenster für solche Gründungen oder Umwandlungen in eine „mitbestimmungsfreie“ SE könnte sich zukünftig schließen.
Das BAG folgt mit seiner Entscheidung einer Reihe neuerer Urteile, nach denen die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern insbesondere von einer sogenannten „normorientierten Auslegung“ des jeweiligen gesetzlichen Schwellenwerts abhängt. Bei der Unternehmensmitbestimmung ist – vergleichbar der Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsgesetz – nunmehr auch eine deutliche Tendenz erkennbar, Leiharbeitnehmer im Rahmen der Schwellenwerte zukünftig mit einzubeziehen. Bestätigt sich dieser Trend, hätte dies erhebliche Konsequenzen: Unternehmen in Deutschland wären gezwungen, zukünftig mitbestimmte Aufsichtsräte einzurichten, je nach Anzahl der eingesetzten Leiharbeitnehmer. Der Einsatz von Leiharbeitnehmern zur – bewussten oder unbewussten – Vermeidung der Unternehmensmitbestimmung wäre nicht mehr möglich.