Im Blickpunkt: Vereinfachte Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen Kartellverstößen in Europa
Von Dr. Michael Weigel
Einführung EU-Recht/Kartellrecht
Kürzlich hat sich das Europäische Parlament mit dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Vereinfachung der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen Verstößen gegen das nationale und europäische Kartellrecht auseinandergesetzt, den die Kommission (GD Comp) vor knapp einem Jahr am 11.06.2013 veröffentlicht hatte.
Neben einer Reihe von Regelungen, die in Deutschland ohnehin bereits geltendes Recht sind, wie etwa der gesamtschuldnerischen Haftung aller Kartellbeteiligten für alle Schäden nicht nur der unmittelbaren, sondern auch der mittelbaren Abnehmer von Kartellbeteiligten, der Bindungswirkung bestandskräftiger Entscheidungen der Kartellbehörden über das Vorliegen von Wettbewerbsverstößen, der Hemmung der Verjährung während der Dauer behördlicher Ermittlungsverfahren und der Möglichkeit, dass die Höhe des Schadens durch das Gericht gerade dann geschätzt wird, wenn eine Abwälzung des Schadens auf die nächste Handelsstufe, sogenannte Passing-on-Defense, in Frage steht, und einigen weiteren Einzelvorschriften, die die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen erleichtern, sollte hierdurch insbesondere ein gerichtliches Verfahren eingeführt werden, das es Anspruchstellern ermöglicht, von den Kartellbeteiligten oder Dritten Unterlagen als Beweismittel zu erhalten.
Handlungsbedarf wegen erkannter Informationsasymmetrie
Hintergrund der hierzu vorgeschlagenen Regelungen ist eine für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen Kartellverstößen festgestellte Informationsasymmetrie zwischen den Beteiligten, die die erfolgreiche Geltendmachung solcher Ansprüche, die wesentlicher Teil des sogenannten Private Enforcements ist oder sein soll, erschwert oder sogar verhindert. Die sich hieraus ergebenden – im Grundsatz allerdings bei der Geltendmachung jeglicher Schadenersatzansprüche bestehenden – Probleme bei Darlegung und Nachweis des Schadenersatzanspruchs sowie insbesondere seiner Höhe sollen dadurch beseitigt oder zumindest gemildert werden, dass eine Art Pre-Trial-Discovery eingeführt wird, wie sie in ähnlicher Form in Europa bislang allenfalls das englische Recht kennt. Die deutsche ZPO sieht zwar ebenfalls die Möglichkeit vor, dass das Gericht dem Beklagten oder einem Dritten aufgibt, Unterlagen herauszugeben. Dies setzt allerdings voraus, dass der Inhalt dieser Unterlagen bereits in das Verfahren eingeführt wurde und diese so genau bezeichnet werden, dass eine konkrete Herausgabeanordnung möglich ist. Demgegenüber soll nach der Vorstellung der EU-Kommission eine allgemeine Beschreibung ausreichen, soweit eine weitere Konkretisierung anhand der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Informationen nicht möglich ist.
Beschränkungen bei Kronzeugen
Wohl in der klaren Erkenntnis, dass die Verfolgung von Kartellverletzungen in Europa in den vergangenen Jahren vor allem wegen der Existenz von Kronzeugenprogrammen so oft erfolgreich war, sollen durch die Richtlinie auch Neuregelungen für die Akteneinsicht geschaffen werden, die den Zugang zu Unterlagen verhindern, die von Kronzeugen eingereicht wurden. Hintergrund ist offensichtlich ein unlängst von einem Geschädigten des Papier- und Kartonagenkartells betriebenes Akteneinsichtsgesuch, das bis zum Europäischen Gerichtshof getragen wurde, der die Entscheidung, ob Kronzeugenunterlagen im Wege der Akteneinsicht den Geschädigten zugänglich gemacht werden können, den nationalen Gerichten zuwies, nur damit die deutschen Gerichte dies dann letztlich verneinten. Inzwischen hat allerdings ein anderes deutsches Gericht die Beiziehung auch von Kronzeugenunterlagen, die sich in den Akten der Kartellbehörden befinden, zumindest dann als möglich erachtet, wenn die Akten nicht von dem Geschädigten selbst, sondern von dem Zivilgericht, bei dem er seine Schadenersatzansprüche geltend macht, angefordert werden. Das hat das BVerfG inzwischen bestätigt. Inwieweit die Zivilgerichte vor dem Hintergrund der zuerst erwähnten Entscheidungen nach geltendem Recht bereit sind, auch auf den Inhalt der Bonusakte zuzugreifen oder diesen dem Geschädigten zugänglich zu machen, bleibt abzuwarten.
Über den besonderen Schutz der Kronzeugenunterlagen hinaus soll durch die Richtlinie die Möglichkeit von Kronzeugen, denen tatsächlich ein Straferlass bewilligt wurde, Schadenersatz zu erlangen, zumindest in den Fällen beschränkt werden, in denen Ersatzansprüche bei anderen Kartellbeteiligten durchgesetzt werden können, wobei dann auch deren Rückgriffsansprüche beschränkt werden sollen.
Stellungnahme
In seiner Entschließung vom 17.04.2014 hat das Europäische Parlament den Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission in vielen Einzelpunkten modifiziert. Auch wenn mangels detaillierter Begründung der einzelnen Änderungsvorschläge nicht immer ganz deutlich ist, welche Intentionen hinter den Modifikationen stehen, soll hierdurch offensichtlich insbesondere der Anwendungsbereich für das von der EU-Kommission vorgeschlagene neue Verfahren, über das Gericht Unterlagen zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen zu erlangen, beschränkt werden. Dies schon dadurch, dass ein solcher Anspruch danach nicht in einem separaten Verfahren, sondern nur im Rahmen einer Schadenersatzklage bei dem in der Sache befassten Gericht erhoben werden können soll, nachdem anhand der mit zumutbarem Aufwand zugewiesenen Unterlagen bereits plausibel dargelegt wurde, dass ein Ersatzanspruch dem Grunde nach besteht, wobei die herauszugebenden Unterlagen so genau beschrieben sein müssen, wie es – wieder unter Zugrundelegung der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Informationen – möglich ist.
Auch mit den vom Europäischen Parlament eingeführten Beschränkungen würde durch eine umfassende Vorlage von Dokumenten durch Gegner und/oder Dritte – nur für den Bereich des Kartellrechts – massiv in den dem deutschen Zivilprozess zugrundeliegenden Beibringungsgrundsatz eingegriffen, der vorsieht, dass jede Partei zu den für ihre Rechtsposition günstigen Umständen aufgrund der ihr vorliegenden Informationen selbst vortragen muss, ohne von der anderen Seite Informationen oder Unterlagen verlangen zu können.
Auch wenn nicht zu verkennen ist, dass bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen Kartellverletzungen gerade die Bezifferung des Schadens heutzutage so stark erschwert ist, dass die Durchsetzung solcher Ansprüche bislang selbst in den Fällen nur selten möglich war, in denen das Vorliegen eines Kartellverstoßes aufgrund einer entsprechenden Entscheidung der Verfolgungsbehörden bereits feststand, wird den Geschädigten durch die Einführung eines solchen Verfahrens ein Bärendienst erwiesen. Die Schwierigkeiten, den durch ein Kartell verursachten Schaden zu beziffern, rühren im Wesentlichen daher, dass die Höhe des durch das Kartell gegenüber normalen Marktbedingungen verursachten Mehrpreises sich nur durch aufwendige und teure Sachverständigengutachten ermitteln lässt und dass sich daran im Regelfall die – mit der Einholung ebenso aufwendiger und teurer Sachverständigengutachten verbundene – Auseinandersetzung anschließt, ob und in welchem Umfang der Schaden von dem Abnehmer des Kartellbeteiligten auf spätere Handelsstufen abgewälzt wurde. Hieran würde sich durch die Möglichkeit, von den Kartellbeteiligten Unterlagen zu erlangen, nur wenig ändern. Im Gegenteil: Durch die den Beklagten in dem Richtlinienvorschlag auch nach den Vorstellungen des Europäischen Parlaments ausdrücklich zugebilligte Möglichkeit, ebenfalls auf Unterlagen des Anspruchstellers zuzugreifen, würde die Schadenermittlung wahrscheinlich noch weiter erschwert und verteuert.
Das von der Europäischen Kommission und jetzt auch vom Europäischen Parlament vorgeschlagene Discovery-Verfahren hat insofern nur zur Folge, dass sich ein Anspruchsteller genötigt sieht, einen Sachverständigen zu beauftragen, um die Unterlagen zu bezeichnen, die er über das Gericht von dem Kartellbeteiligten zu erlangen versucht, damit auf dieser Grundlage in die Schadenermittlung eingetreten werden kann. Einfacher und billiger wird die Geltendmachung von Schadenersatz dadurch nicht. Von der Idee, dass Kartelle von privaten Anspruchstellern aufgedeckt werden, hat sich offensichtlich auch Brüssel bereits vorher verabschiedet, da in dem Richtlinienvorschlag davon ausgegangen wird, dass Ansprüche erst dann geltend gemacht werden, wenn ein Kartell von den Verfolgungsbehörden festgestellt und entsprechende Bußen verhängt wurden.
Eigener Vorschlag
Wenn die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen für Kartellgeschädigte tatsächlich fühlbar erleichtert werden soll, wäre es demgegenüber viel sinnvoller, mit dem unter der Dispositionsmaxime gebräuchlichen Instrumentarium zu arbeiten und Beweiserleichterungen einzuführen. So würde es etwa naheliegen, in Fällen, in denen ein Kartell behördlich festgestellt und bestandskräftig mit Bußen belegt wurde, in Ermangelung konkreterer Feststellungen hierzu auf der Grundlage der von den Kartellbehörden ermittelten Durchschnittssätze eine Beweisvermutung für eine kartellbedingte Preiserhöhung um einen bestimmten Prozentsatz aufzustellen. Den Kartellbeteiligten – die ja ohnehin über die insoweit relevanten Informationen verfügen – müsste man dann lediglich die Möglichkeit eines Gegenbeweises eröffnen. In ähnlicher Weise könnte auch die Problematik der Preisabwälzung vereinfacht werden, wobei die Anspruchsteller sich bei Akzeptierung der durchschnittlichen Prozentsätze auch der Notwendigkeit enthoben sehen würden, ihre Preiskalkulation offenzulegen, wenn darüber verhandelt wird, ob und in welchem Umfang sie den Schaden auf andere Handelsstufen abgewälzt haben.
Sammelklagen?
Zu der Frage, ob parallel zu der Einführung neuer Regeln für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen Kartellverletzungen auch über diesen Bereich hinaus ein Verfahren zur kollektiven Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen eingeführt werden soll, hat sich das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 17.04.2014 nicht geäußert. Die in dem Richtlinienvorschlag von vornherein enthaltene Regelung, wonach für den Bereich des Kartellrechts kein besonderes Kollektivklageverfahren eingeführt werden soll, hat das Europäische Parlament unverändert übernommen, ohne sich zu der von der Europäischen Kommission (GD Sanco) am 11.06.2013 gleichzeitig empfohlenen europaweiten Einführung eines Verfahrens zur kollektiven Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen bei der Verletzung Europäischen Rechts zu äußern. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Dinge hier weiter entwickeln. Das von der Kommission im vergangenen Jahr gewählte Instrumentarium einer bloßen Empfehlung und die darin enthaltenen wenig präzisen Regelungen lassen vermuten, dass es auch auf diesem Wege in absehbarer Zeit nicht zu einer wirklichen Erleichterung der Geltendmachung begründeter Ansprüche kommen wird. Wie die restriktive Haltung der Gerichte, die zuletzt noch einmal durch die Entscheidung des OLG Düsseldorf zur Unwirksamkeit der Abtretung von Schadenersatzansprüchen an CDC dokumentiert wurde, überwunden werden soll, bleibt dabei ohnehin offen.
michael.weigel@kayescholer.com
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