Von Dr. Michael Weigel

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Einleitung
Der Grundgedanke ist ebenso einfach wie bestechend: Die Rechtsverfolgung durch Erhebung einer Klage hemmt nach § 204 BGB die Verjährung – unter anderem – von Schadensersatzansprüchen. Wer diesen rechtssichernden Weg beschreitet, steht vor der Herausforderung, die entsprechenden Ansprüche im Regelfall auch beziffern zu müssen. In der Rechtsprechung ist seit vielen Jahren anerkannt, dass die Erhebung einer unbezifferten Klage wegen der Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage nur in Ausnahmefällen möglich ist (HK-ZPO/Saenger 7. Aufl., § 256 Rn. 16). Wer seine Ansprüche beziffern kann, muss auf Leistung klagen. Ein unbezifferter Leistungsantrag in Form der Stufenklage ist nur ausnahmsweise zulässig. Voraussetzung dafür ist, dass die Bezifferung lediglich aufgrund solcher Informationen möglich ist, deren Erteilung der Anspruchsinhaber vom Anspruchsgegner beanspruchen kann. Ist die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen (HK-ZPO/Saenger 7. Aufl., § 256­ Rn. 5.), ermöglicht die Rechtsprechung die Erhebung einer Feststellungsklage dagegen normalerweise ohne weiteres (HK-ZPO/Saenger 7. Aufl., § 256 Rn. 16; BGH, NJW-RR 2008, 1520). Auch dann ist eine Bezifferung jedoch nicht immer gleich möglich.

Typische Ausgangsfälle
Insbesondere bei der Geltendmachung von Kartellschadensersatzansprüchen weiß der Geschädigte in der Regel nicht, zu welchen Preissteigerungen das Kartell konkret geführt hat. Deshalb kann er den Schaden, der durch den kartellbedingten Mehrpreis verursacht wurde, normalerweise nicht ohne weiteres beziffern. Hinzu kommt das Problem eines etwaigen Passing-on, also einer etwaigen Weitergabe der Mehrkosten an die eigenen Abnehmer. Beide Fragen lassen sich in der Regel auch nicht durch Auskünfte des Anspruchsgegners klären. Vielmehr ist die Einholung von Sachverständigengutachten erforderlich, die zumeist einen erheblichen Zeit- und Kostenaufwand mit sich bringen. Ein ähnliches Problem tritt auf, wenn man bei Schadensersatzansprüchen wegen unterlassener Kapitalmarkinformationen den Kursdifferenzschaden geltend machen möchte (vgl. BGH Urt. v. 13.12.2011 zu XI ZR 51/10, NJW 2012, 1800 Rn. 67 f.). Den Preis, zu dem man die Aktie bei rechtzeitiger Veröffentlichung der Insiderinformation hätte erwerben können, kann dem Anspruchsteller allenfalls ein Sachverständiger nennen.
Ob der Zeit- und Kostenaufwand, der mit einem Sachverständigengutachten zur Bezifferung von Schadensersatzansprüchen verbunden ist, ausreicht, um die Subsidiarität gegenüber der Leistungsklage zu überwinden und eine Feststellungsklage zulässig zu machen, ist nicht abschließend geklärt (BGH v. 21.01.2000 zu V ZR 387/98, NJW 2000, 626, Rn. 11; BGH v. 15.01.2008 zu VI ZR 53/07, NJW-RR 2008, 1520, Rn. 6; BGH v. 21.02.2017 zu VXI ZR 467/15, NJW 2017, 1823, Rn. 19 m.w.N.; BGH v. 12.07.2005 zu VI ZR 83/04, BGHZ 163, 351 Rn. 57). Der BGH hat dies in der Vergangenheit bereits in verschiedenen Entscheidungen angedeutet. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist es jedoch umstritten, auch wenn die Mehrheit der Obergerichte diese Frage wohl inzwischen bejaht [vgl. OLG Karlsruhe v. 09.11.2016 zu 6 U204/15 Kart (2), NZKart 2016, 595, Rn. 50; s.a. OLG Nürnberg, v. 29.06.2016 zu 14 U 969/15, ZIP 2016, 2155, Rn. 31; OLG Düsseldorf v. 12.06.2015 zu 22 U 17/15, Rn. 46; OLG München v. 22.06.2012 zu 25 U 3343/11, Rn. 31].

Fortwährende Unsicherheit trotz „Grauzementkartell II“

Der Urteilsgegenstand
Eine besondere Stellung zu diesem Thema nimmt das im Sommer 2018 ergangene BGH-Urteil zu „Grauzementkartell II“ ein. In seinem Urteil vom 12.06.2018 (BGH, KZR 56/16, NJW 2018, 2479, Rn. 18 – „Grauzementkartell II“) hat der BGH dort im Rahmen eines Obiter Dictum erwähnt – man möchte schreiben: „dahingesagt“ –, die Notwendigkeit, Ansprüche durch ein zeit- und kostenaufwendiges Sachverständigengutachten zu beziffern, begründe für sich genommen kein Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung einer Feststellungsklage. Der Kläger müsse seine Ansprüche nämlich ohnehin irgendwann einmal beziffern und hierzu ein Gutachten einholen, um sie durchzusetzen. Durch diesen Ausspruch weicht der BGH allerdings nicht nur von seiner früheren Rechtsprechung und der vieler Oberlandesgerichte ab. Er setzt sich auch zu grundsätzlichen Prinzipien des deutschen Rechts im Allgemeinen und des Verjährungsrechts im Besonderen in Widerspruch.

Die Ratio der kurzen Verjährungsfrist
des § 194 BGB
Als der Gesetzgeber im Rahmen der Schuldrechtsreform die allgemeine 30-jährige Verjährungsfrist auf drei Jahre abkürzte, fügte er zugleich für den Beginn der Verjährungsfrist die Kenntnis vom Anspruchsgegner und der anspruchsbegründenden Umstände in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. ein. Diese subjektive Voraussetzung wurde in Anlehnung an § 852 BGB a.F. (vgl. BT-Drs. 14/6040, § 108 zu § 199 Abs. 1) geschaffen. Seit Einführung des BGB und auch schon davor interpretieren die Gerichte dieses Kriterium in der Weise, dass die Verjährungsfrist erst zu laufen beginnt, wenn der Anspruchsinhaber die Tatsachen kennt, die es ihm ermöglichen, den Ablauf der Verjährungsfrist durch Erhebung einer Klage, zumindest in der Form einer Feststellungsklage, unterbrechen oder jetzt hemmen zu können. (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 77. Aufl., § 199, Rn. 28 m.w.N.). Wie bereits das Reichsgericht (RG) in mehreren Entscheidungen klargestellt hat, steht dahinter die Erwägung, dass der Anspruchsverlust nach Ablauf einer – im Vergleich zur damals normalen 30-jährigen – kurzen Verjährungsfrist nur deshalb gerechtfertigt ist, weil der Anspruchsinhaber es versäumt hat, seine Ansprüche durch Klageerhebung durchzusetzen, obwohl er während der gesamten Dauer der Verjährungsfrist imstande war eine Klage zu begründen (vgl. RG v. 04.10.1900 zu VI 196/1900, JW 1900, 764 Nr. 44; v. 29.03.1899 zu V 360/98, JW 1899, 312 Nr. 31; v. 01.11.1894 zu VI 185/94, JW 1894, 593 Nr. 16). Dies setzt die Möglichkeit voraus, ohne weiteres, also ohne ein zeit- und kostenaufwendiges Gutachten einholen zu müssen, auch tatsächlich Klage erheben zu können.
Es ist daher in sich widersprüchlich, wenn man für den Beginn der Verjährung einerseits den Kenntnisstand ausreichen lässt, der zur Erhebung einer Feststellungsklage notwendig ist, eine solche dann jedoch andererseits mangels Bezifferung wegen des Vorrangs der Leistungsklage für unzulässig erklärt.

Fristausschöpfungsprinzip
Zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Verfahrensrechts zählt es, dass eingeräumte Fristen bis zum letzten Moment ausgeschöpft werden dürfen [vgl. Druckenbrodt, NJW 2013, 2390 (2393, Fn. 40 m.w.N.)]. Auch diesem Prinzip läuft es zuwider, wenn man dem Anspruchsinhaber abverlangt, vor der Klageerhebung nicht nur erhebliche Geldmittel, sondern auch Zeit zu investieren, um ein Sachverständigengutachten zur Bezifferung seiner Ansprüche einzuholen. Dementsprechend ist im Zusammenhang mit dem Kriterium der grob fahrlässigen Unkenntnis, mit dem der Gesetzgeber im Rahmen der Schuldrechtsreform die subjektiven Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn ergänzt hat (vgl. BTDrs. 14/6040 § 108 zu § 199 Abs. 1), anerkannt, dass den Anspruchsinhaber nur bei Vorliegen besonderer Umstände eine besondere Ermittlungsobliegenheit trifft. Nur in solchen besonderen Fällen ist er gehalten, den zur Klageerhebung notwendigen Sachverhalt zu ermitteln und hierdurch den Zeitraum, in dem er seine Ansprüche geltend machen kann, zugunsten des Schädigers zu ­verkürzen (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 77. Aufl., § 199, ­Rn. 39; BGH v. 10.11.2009 zu VI ZR 247/08, NJW-RR 2010, 681, Rn. 15).

Das flankierende Kriterium der Prozessökonomie
Dem kann man nicht entgegenhalten, dass auch eine unzulässige Klage die Verjährung hemmt (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 77. Aufl., § 204, Rn. 4). Denn die Erhebung einer zweiten Klage nach einem Prozessurteil, in der auch noch der Anspruchsgrund geklärt werden muss, ist noch unwirtschaftlicher als die bloße Bezifferung eines dem Grunde nach bereits festgestellten Anspruchs im Betragsverfahren. Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit ist jedoch letztlich der einzige Gesichtspunkt, der das Subsidiaritätsprinzip trägt (vgl. HK-ZPO/Saenger, 7. Aufl., § 256, Rn. 16 m.w.N.). Das Kriterium der Verfahrensökonomie muss als ungeschriebener Grundsatz daher schon mangels gesetzlicher Legitimation gegenüber dem in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gesetzlich geregelten subjektiven Kriterium der groben Fahrlässigkeit und dessen Ausgestaltung durch die Rechtsprechung zurücktreten.

Fazit
Unter dem Strich wirkt die Rechtslage zur Verjährungshemmung per Feststellungsklage nach Maßgabe der jüngsten Äußerungen des BGH in höchstem Maße inkonsistent. Weder das Fristausschöpfungsprinzip noch der zentrale Grundsatz der Prozessökonomie sind mit der derzeitigen Rechtslage in Einklang zu bringen. Solange hier nicht Abhilfe geschaffen wird, bewegen sich Betroffene auf einem zentralen Feld des Zivilverfahrensrechts in unschöner Weise auf dünnem Eis.

Michael.weigel@arnoldporter.com

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