BAG: Krankenkontrolle durch Videoobservation – Schmerzensgeldanspruch des Arbeitnehmers
Von Dr. Christian Bloth und Rafael Hertz

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Welcher Arbeitgeber kennt das nicht: Ein Arbeitnehmer ist krankgeschrieben, aber so richtig traut der Arbeitgeber der Krankschreibung nicht. In besonderen Situationen möchte er der Sache nachgehen, vielleicht auch, weil die Zusammenarbeit im Übrigen gestört ist und die unberechtigte Krankschreibung eventuell einen handfesten Kündigungsgrund in Form des Betrugs zur Erschleichung der Lohnfortzahlung bietet. Aber wie kann er dies prüfen? Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK)? Wenn es zu einer solchen überhaupt kommt, zeigt die Erfahrung, dass dies häufig lange dauert, insbesondere nicht mehr in der Entgeltfortzahlungsperiode erfolgt. Ein Arbeitgeber in Münster setzte einen Privatdetektiv ein, um seine krankgeschriebene Assistentin überwachen zu lassen. Unter anderem machte der Detektiv Videoaufnahmen. Dass jedoch eine heimliche Videoüberwachung von Arbeitnehmern kritisch ist, dürfte spätestens seit der Mitarbeiterüberwachung unter anderem bei einigen Discountern bekannt sein.
Während bisher die Verwertbarkeit von Beweismitteln, also der Videoaufnahmen, im Kündigungsschutzprozess im Fokus stand (siehe auch BAG, Urteil vom 21.11.2013 – Az. 2 AZR 797/11), hat sich das BAG jetzt, Urteil vom 19.02.2015, Az. 8 AZR 1007/13, mit der Frage beschäftigt, ob Videoaufnahmen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen und, wenn ja, Entschädigungsansprüche begründen können.

Sachverhalt

Die überwachte Arbeitnehmerin war bei der Beklagten seit Mai 2011 als Assistentin der Geschäftsleitung tätig. Am 12.12.2011 kam es zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen der Klägerin und dem Geschäftsführer. Ab dem 27.12.2011 war die Klägerin arbeitsunfähig, zunächst mit Bronchialerkrankungen, was sie dem urlaubsbedingt abwesenden Geschäftsführer mit Fax vom 03.01.2012 mitteilte. Nach dessen Rückkehr teilte sie ihm telefonisch mit, dass sie jetzt wegen eines Bandscheibenvorfalls nicht arbeiten könne. Für die Zeit bis zum 28.02.2012 legte sie sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zuerst vier eines Facharztes für Allgemeinmedizin, dann ab dem 31.01.2012 zwei einer Fachärztin für Orthopädie. Der Geschäftsführer der Beklagten bezweifelte den Bandscheibenvorfall und beauftragte einen Detektiv mit der Observation.
Die Observation erfolgte von Mitte bis Ende Februar 2012 an insgesamt vier Tagen. Der Detektiv beobachtete, dass die Klägerin unter anderem mit Wäsche auf dem Arm einen Waschsalon betrat, sie einen Wäschekorb auf der Höhe der Hüfte und mit ausgestreckten Armen trug, im Hocken eine Waschmaschine füllte und den Kofferraum ihres Autos „mit angehobenem Knie und in Rückenlage“ öffnete. Beobachtet wurde unter anderem auch das Haus der Klägerin, auch wie sie sich zu einem Hund herabbeugte. Der Observationsbericht zeigte elf Bilder, neun davon aus Videosequenzen. Mit Schreiben vom 28.02.2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin fristlos und hilfsweise fristgerecht. Zur Erkrankung der Klägerin lagen den Gerichten Schreiben und Befunde der behandelnden Ärzte vor, aus denen wohl zu schließen war, dass die Klägerin tatsächlich einen Bandscheibenvorfall erlitten hatte.
Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage und erweiterte später die Klage unter anderem um einen Schmerzensgeldanspruch. Die Klägerin führte erhebliche psychische Beeinträchtigungen an, weswegen sie sich in Behandlung befände. Als Schmerzensgeld hielt sie 10.500 Euro, drei Bruttomonatsgehälter, für angemessen. Während das Arbeitsgericht Münster der Ansicht war, dass zwar die Kündigungen nicht gerechtfertigt gewesen seien, die Klägerin aber nicht schwer in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden sei, und so den Antrag auf Zahlung eines Schmerzensgelds abwies, verurteilte das LAG Hamm, Urteil vom 11.07.2013 (Az. 11 Sa 312/13), die Beklagte zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 Euro. Gegen das Urteil des LAG Hamm legten beide Parteien Revision ein. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen nicht aufgelöst worden sei, wurde nicht angegriffen.

Entscheidung des LAG Hamm

Das LAG Hamm war der Ansicht, dass die Rechtswidrigkeit nach § 32 Abs. 1 Bundesdatenschutz (BDSG) zu beurteilen sei. Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG personenbezogene Daten erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis Straftaten begangen hat. Die Umstände hier jedoch, so das LAG, begründeten keinen hinreichenden Verdacht. Es treffe zu, dass ein gesunder Arbeitnehmer, der eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vortäusche und sich so unberechtigt die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sichere, den Straftatbestand des Betruges verwirkliche. Die Filmaufnahmen stellten jedoch eine rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Bei rechtswidriger Verletzung dieses Rechts könne der Betroffene Schmerzensgeld beanspruchen, wenn es sich um eine schwerwiegende Verletzung handele und die Beeinträchtigung nach Art der Verletzung nicht in anderer Weise – etwa Verpflichtung zur Unterlassung, Gegendarstellung oder Widerruf – befriedigend ausgeglichen werden könne. Im vorliegenden Fall sei ein Betrag von 1.000 Euro angemessen. Interessant ist eine Anmerkung des LAG, die an sich hier nicht entscheidungserheblich war, wonach jedoch eine solche Überwachung selbst auch bei gerechtfertigter Kontrolle unzulässig gewesen wäre. Selbst in dieser Situation hätte es ausgereicht, einen Bericht zu erstellen und den Detektiv als Zeugen zu befragen.

Die Einschätzung des BAG

Die Revisionen beider Parteien blieben ohne Erfolg. Der Entscheidung des BAG, die bisher lediglich als Pressemitteilung vorliegt, ist zu entnehmen, dass die Übertragung einer Überwachung auf einen Detektiv hier rechtswidrig war, da der Verdacht einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit nicht auf konkreten Tatsachen beruht habe. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei nicht erschüttert worden, weder durch die Änderung im Krankheitsbild noch dadurch, dass die Bescheinigungen von unterschiedlichen Ärzten stammten. Ob 1.000 Euro eine angemessene Geldentschädigung darstellten, sei revisionsrechtlich nicht zu korrigieren. Ob das BAG jedoch ähnlich wie das LAG Hamm argumentieren wird, bleibt abzuwarten. Interessant ist jedoch, dass das BAG in seiner Pressemitteilung vermerkt, es bleibe ausdrücklich offen, ob dies auch für den Fall der gerechtfertigten Überwachung gelte, was das LAG, ohne dass sich die Frage hier stellte, verneinte. In diesem Punkt hat das BAG dem LAG in gewisser Form Grenzen aufgezeigt.

Praxishinweis

Auch wenn die Begründung des Urteils noch nicht vorliegt, spricht einiges dafür, dass die Hürden für den Arbeitgeber hoch sein werden, wenn er eine Videoüberwachung eines Arbeitnehmers in einer solchen Situation in Auftrag gibt. Selbst wenn dies bei hinreichendem Verdacht geschieht, kann nicht ausgeschlossen werden, dass dies unzulässig ist. Ein konkretisierter Verdacht auf eine Straftat wird sich bei einer Krankschreibung nur in den Fällen begründen lassen, in denen sich an deren Richtigkeit ernsthafte Zweifel ergeben. Das LAG benennt, folgend der Rechtsprechung des BAG, einige Beispiele: Der Arbeitnehmer hat im Rahmen einer Auseinandersetzung am Arbeitsplatz eine nachfolgende Arbeitsunfähigkeit angekündigt oder geht während der Arbeitsunfähigkeit Tätigkeiten nach, die mit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit als nicht vereinbar erscheinen. Ernsthafte Zweifel können sich auch ergeben, wenn der Arbeitnehmer widersprüchliche Angaben zu seiner Arbeitsunfähigkeit macht oder wenn er einer Aufforderung zu einer Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse nicht nachkommt. Zumindest in diesen Fällen ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, und eine weitergehende Überwachung kommt in Frage – aber eventuell sollten Videoüberwachungen unterbleiben.

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