Im Blickpunkt: Sonderkündigungsschutz von Bewerbern für den Wahlvorstand – Kritik im Internet
Von Dr. Christian Bloth und Rafael Hertz
Im Zusammenhang mit einer Betriebsratswahl kann es unter Umständen hitzig werden, gerade wenn erstmals ein Betriebsrat gewählt werden soll. Für den Unternehmer, der damit konfrontiert wird, ist dies sicherlich ein „gewöhnungsbedürftiger Umstand“. In dieser Phase gilt es für alle Beteiligten, Grenzen des rechtlichen Dürfens abzustecken. Es kann im Zeitalter des Internets nicht ausbleiben, dass die Diskussionen auch unter Zuhilfenahme neuer Kommunikationskanäle geführt werden, womit sie bei Einsatz von Medien wie Facebook, Twitter oder YouTube dann nicht nur innerbetrieblich, sondern auch vor den Augen der Öffentlichkeit geführt werden.
So hatte das BAG (Urteil vom 31.07.2014, Az. 2 AZR 505/13) in dem hier dargestellten Fall zu klären, inwieweit ein Bewerber für den Wahlvorstand im Vorfeld der Betriebsratswahl Kritik an betrieblichen Gegebenheiten auf Portalen wie Facebook und YouTube üben darf. Dabei hatte das BAG auch Gelegenheit, zu der Frage Stellung zu nehmen, die bisher nicht höchstrichterlich entschieden war, ob ein solcher Bewerber Sonderkündigungsschutz im Sinne der §§ 103 BetrVG, 15 KSchG genießt, also eine Kündigung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes oder nach Zustimmung möglich ist.
Sachverhalt
Auf Einladung der Gewerkschaft ver.di fand am 10.02.2012 eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands für eine Betriebsratswahl bei einem Verpackungen herstellenden Unternehmen statt, in dem etwa 210 Mitarbeiter beschäftigt sind. Dass dies im Unternehmen kritisch verfolgt wurde, verwundert nicht. Immerhin würden hier neun Mitglieder eines Betriebsrats gewählt, wovon sogar ein Mitglied freigestellt werden würde. Wie es heißt, nahm die Betriebsversammlung, zu der die Gewerkschaftsvertreter verspätet erschienen, einen „unübersichtlichen Verlauf“. Im Rahmen der vermutlich „chaotisch“ verlaufenen Versammlung wurde einstimmig beschlossen, keinen Betriebsrat zu wählen, womit die Versammlung geschlossen wurde. Die anwesenden Gewerkschaftssekretäre versuchten im Anschluss vergeblich, die Anwesenden zu einer geordneten Wahl des Wahlvorstands zu bewegen.
Am 21.03.2012 wurde auf Antrag von ver.di durch das Arbeitsgericht ein Wahlvorstand bestimmt. Der Kläger, der durch die (auch) antragstellende Gewerkschaft als Kandidat vorgeschlagen worden war, fand bei der Bestellung des Wahlvorstands keine Berücksichtigung. Am 18.02.2012, also kurz nach der Betriebsversammlung, hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen wiederholten Zuspätkommens ordentlich gekündigt.
Kurz nach Aussprache dieser Kündigung nahm der Kläger bei der Gewerkschaft an einer Zusammenkunft der organisierten Mitarbeiter teil. Ver.di erstellte hier zu den Vorgängen um die Bestellung eines Wahlvorstands bei der Beklagten eine Videoaufzeichnung, die bei „Streik.TV“ gezeigt wurde. Der Kläger äußerte sich in diesem Video dahingehend, dass es bei der Beklagten Probleme gäbe, unter anderem wegen „Arbeitszeiten und großen Drucks von oben“. Es würden Sicherheitsvorkehrungen an Maschinen, die nicht zu 100% ausgerüstet seien, fehlen. „Das Problem“ sei, „dass keine Fachkräfte vorhanden“ seien „und dass das Beherrschen der Maschinen nicht zu 100% erfüllt“ werde. Das Video war sodann unter anderem bei YouTube zu sehen, und der Kläger selbst verbreitete es über Facebook. Vor diesem Hintergrund kündigte die Beklagte, die am 09.03.2012 von dem Video erfahren hatte, das Arbeitsverhältnis am 15.03.2012 fristlos wegen ihrer Ansicht nach geschäftsschädigender Äußerungen.
Entscheidung
Das BAG war – anders als die Vorinstanzen, so etwa das LAG Hamm – der Ansicht, dass die außerordentliche Kündigung aus dem März unwirksam sei, auch wenn der Kläger keinen besonderen Kündigungsschutz als Bewerber für den Wahlvorstand genieße.
Das BAG hatte Gelegenheit, die in der Literatur streitige und höchstrichterlich nicht entschiedene Frage zu behandeln, ob dem Kandidaten für den Wahlvorstand Sonderkündigungsschutz zukommt. Frage war also, ob der Bewerber für das Amt des Wahlvorstands ein „Wahlbewerber“ im Sinne der §§15 KSchG, 103 BetrVG ist, also eine Kündigung nur aus wichtigem Grund, mit Zustimmung eines Betriebsrats oder aufgrund Gerichtsbeschlusses möglich war. Wie die Vorinstanzen war das BAG der Auffassung, dass Kandidaten für den Wahlvorstand nicht als Wahlbewerber geschützt seien. Dies, so die Gerichte, ergäbe unter anderem die Wortauslegung des § 15 KSchG und § 103 BetrVG, die diesen Personenkreis nicht in seiner Aufzählung erfassten.
Bereits das LAG Hamm hatte mit Urteil vom 15.03.2013 (Az. 13 Sa 6/13) festgestellt, dass aus der präzisen Fassung beider Normen nur der Schluss gezogen werden könne, dass der Gesetzgeber den Bereich des Sonderkündigungsschutzes eines Wahlvorstands erst mit dem Erreichen der Mitgliedschaft in diesem Gremium habe eröffnen wollen. Im Übrigen bestünde eine erhebliche Missbrauchsgefahr, da andernfalls viele Arbeitnehmer womöglich dazu neigen würden, sich durch im Einzelfall undefinierbare Bewerbungen einen besonderen Kündigungsschutz zu verschaffen.
Anders als die Vorinstanzen war das BAG, dessen Urteil erst als Presseverlautbarung vorliegt, jedoch der Auffassung, dass die hier seitens des Arbeitgebers angeführten Gründe, nämlich die Äußerungen des Klägers in dem Video, eine außerordentliche Kündigung nicht trügen. Die Äußerungen des Klägers seien erkennbar darauf gerichtet gewesen, zu verdeutlichen, weshalb der Kläger die Bildung eines Betriebsrats als sinnvoll ansah. In diesem Punkt unterscheidet sich das Urteil des BAG von der Entscheidung des LAG Hamm, das gerade die Äußerung, das „Unternehmen beschäftige keine Fachkräfte“, als geschäftsschädigend bewertete, da nachweislich im Betrieb zahlreiche Facharbeiter verschiedenster Ausbildungsrichtungen tätig waren. Hier, so das LAG, bestünde die Gefahr, dass Dritte den Eindruck vermittelt bekämen, die Produkte würden nicht „hochwertig“ produziert. Zudem erhielten auch Bewerber für offene Stellen den Eindruck, die vorausgesetzte Qualität in der Fertigung gebe es nicht. Das BAG (hier ist jedoch noch die Begründung abzuwarten) meinte, der Kläger habe nicht behaupten wollen, die Beklagte beschäftige überwiegend ungelernte Kräfte, sondern habe ausdrücken wollen, warum er die Bildung eines Betriebsrats für sinnvoll erachte.
Das BAG hat den Rechtsstreit jedoch an das Landesarbeitsgericht zurückverweisen müssen, da dieses noch die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung wegen wiederholten Verspätens prüfen musste.
Bewertung
Die Entscheidung des BAG schafft Klarheit bezüglich des Schutzes des Kandidaten für den Wahlvorstand, was zu begrüßen ist. Das BAG hat sich hier vernünftigerweise vom Wortlaut des Gesetzes leiten lassen und der Versuchung einer „Überinterpretation“ des Textes widerstanden. Im Hinblick auf die Äußerung des Arbeitnehmers verbieten sich generelle Schlüsse, da diese Vorgänge, die Äußerung in ihrem Gesamtkontext, immer einen Einzelfall darstellen. Auch ein anderes Ergebnis ist vertretbar. Die Vorinstanzen bejahten die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung jedenfalls, gerade weil der Kläger bewusst wahrheitswidrig behauptet hatte, im Betrieb der Beklagten seien keine Fachkräfte vorhanden. Abzuwarten bleibt, ob das BAG sich in der Begründung mit dem Umstand auseinandersetzt, dass diese Kritik vor einer breiten Öffentlichkeit und nicht nur betriebsintern geäußert wurde. Ist es ohne weiteres möglich, Betriebsinterna plakativ in einem öffentlichen Forum herauszustellen, obwohl dieses kein erkennbares sachliches Informationsinteresse hat? Dies erscheint als sehr zweifelhaft. Nimmt damit in Zukunft die Öffentlichkeit an Diskussionen im Betrieb teil? Dies wäre in der Tat eine neue Dimension der „innerbetrieblichen Meinungsbildung“.