Liberalisierung, Globalisierung, Technologisierung: weshalb man die Trends im Rechtsmarkt auf dem Radar behalten sollte
Von Dr. Bruno Mascello, LL.M.

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Greifen Ihre Strategien, die Sie am Jahresbeginn definiert hatten? Oft werden diese ja retrospektiv auf der Basis der bekannten Vergangenheit entwickelt. Wichtiger wäre es jedoch, den Blick in die unbekannte Zukunft zu richten, um sich rechtzeitig strategisch richtig zu positionieren. Die laufenden und zu erwartenden Trends sind zu berücksichtigen und im eigenen Umfeld einzuordnen. Denn wie eine kürzlich durchgeführte Untersuchung von deutschen Topkanzleien gezeigt hat, ist eine unklare Positionierung schlechter als eine falsche Positionierung (vgl. Kai-Christian Muchow/Günter Müller-Stewens, Professional service firms and their strategic renewal: Evidence from Germany’s legal advisory industry, in: Die Unternehmung, 69. Jahrgang, Ausgabe 3/2015, S. 279–301.). Die nachfolgenden Ausführungen sollen zeigen, wo welche Bewegungen im Rechtsmarkt vorkommen oder noch zu erwarten sind, damit hieraus die erforderlichen Schlüsse gezogen werden können.

Komplexe Trendpyramide

Verglichen mit den Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten, scheinen heute die Bewegungen im Rechtsmarkt in verschiedener Hinsicht anders zu liegen: Die Veränderungen finden an zahlreichen Fronten gleichzeitig statt, sie sind von einer starken Dynamik und Intensität geprägt, und sie zeichnen sich durch eine strukturelle und nicht zyklische Natur aus. Es handelt sich nun also um ein viel komplexeres Umfeld. Je nachdem, wo man sich gerade im Rechtsmarkt bewegt, sieht die individuelle Welt zwar ein wenig unterschiedlich aus. Gleichwohl darf dies nicht dazu verführen, in eine selektive Wahrnehmung zu verfallen. Denn die Erfahrung zeigt, dass Veränderungen regelmäßig, zum Teil zeitverzögert, bereichsübergreifend erfolgen. Dies ist vergleichbar mit einem Spinnennetz, das sich als Ganzes bewegt, wenn es an einer Stelle berührt wird.

Neben diesen zahlreichen Interdependenzen besteht eine weitere Schwierigkeit darin, die vielen Einflüsse übersichtlich und strukturiert darzustellen, um eine geordnete Diskussion und Strategiearbeit zu erlauben. Nachfolgend werden vier Kernbereiche definiert (der Rechtsmarkt im Allgemeinen, der Anwalt als Einzelperson, die Anwaltskanzlei und die Kunden) und für jeden die drei wesentlichen Entwicklungen besprochen. Im Ergebnis ergibt das eine übersichtliche Trendpyramide, wobei hier die Pyramidenform nur aus praktischen und nicht aus hierarchischen Gründen gewählt wurde. Im Gegenteil: Alle vier dargestellten Bereiche sind als gleichwertig zu betrachten.

Trends im Rechtsmarkt

Der Rechtsmarkt wird im Wesentlichen durch folgende drei Entwicklungen geprägt: Liberalisierung, Globalisierung und Technologisierung.

Im Rechtsmarkt zeigen sich Liberalisierungstendenzen erfahrungsgemäß zwar nur langsam, dennoch sind sie kontinuierlich wahrnehmbar. Beratungsverbote brechen auf, das Anwaltsmonopol wird weiter aufgeweicht, und Markteintrittsschranken fallen weg. Mit dem UK Legal Services Act 2007 wurde in Großbritannien die Möglichkeit geschaffen, sogenannte „Alternative Business Structures (ABS)“ zu bilden. Damit können Juristen mit Nichtjuristen ein Unternehmen führen, Nichtjuristen ein solches mitführen oder Externe sich daran beteiligen. In Deutschland wird mit einer Zunahme von Auslagerungen von juristischen Arbeiten auch zu anderen Anbietern als Anwaltskanzleien gerechnet, die dank niedrigerer Markteintrittsbarrieren generell in einen bisher geschlossenen Markt gelangen können.

Die Wirtschaft wächst und expandiert, die Märkte werden globaler und die Geschäfte internationaler. Wollen Rechtsberater ihren Kunden nützlich sein und einen umfassenden Service bieten, müssen sie organisch oder über Netzwerke mit ihren Kunden in die neuen Märkte hinein- und mitwachsen.

Die Technologie hat längst auch die Rechtsdienstleistung erfasst. Die technischen Möglichkeiten gehen heute weit über die elektronische Korrespondenz per E-Mail hinaus, die insbesondere die Geschwindigkeit der Kommunikation erhöht hat. Auch die Gerichte haben Fortschritte gemacht (vgl. etwa die Entwicklungen im Bereich E-Justice). Die Technologie erledigt bereits einen Teil der administrativen Arbeiten (etwa die Prüfung der Honorarrechnungen) und erlaubt – Stichwort: Zergliederung der Wertschöpfungskette (nach Richard Susskind) – die Übernahme einfacher juristischer Arbeiten (etwa Vertragsgenerierung). Je leistungsfähiger und intelligenter die IT wird, desto mehr wird auch die Ausführung von komplexeren juristischen Arbeiten realistischer werden (künstliche Intelligenz). Die schnell und frei zugänglichen Informationen im Internet haben die Kunden zudem informierter gemacht und erlauben eine Do-it-yourself-Anwendung. Technologiegetriebene Unternehmen im Rechtsmarkt werden daher weiterhin für Innovationen sorgen.

Trends im Anwaltsmarkt

Der Arbeitsmarkt für Anwälte – bekanntlich die (bisher) wichtigste Ressource für Rechtsdienstleister – wird im Wesentlichen durch folgende drei Entwicklungen geprägt: Demographie, War for Talents und Generation Y.

Mit der demographischen Verschiebung der Alterspyramide stehen – im Vergleich zur Generation der Babyboomer –, rein quantitativ gesehen, bereits immer weniger Arbeitnehmer dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Sobald dieser Effekt akuter wird, ist meines Erachtens mit einer (ernsthafteren) Aktivierung der erfahreneren (sprich: älteren) Generationen und der (vorhandenen, aber oftmals nicht richtig integrierten) weiblichen Personalressourcen zu rechnen. Eine Entlastung mag der Umstand bieten, dass das Studium der Rechtswissenschaften – zumindest in unseren Rechtskreisen – bei Jungen noch immer sehr beliebt ist. Wie sich die Studienwahl aber später in der Wahl der Arbeitsstelle niederschlagen wird, hängt nicht zuletzt maßgeblich von der Attraktivität der Optionen ab.

Mit dieser quantitativen Veränderung geht der qualitative Umstand einher, dass zwangsläufig auch weniger qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen wird. Der Kampf um die Talente, die insbesondere im Highendbereich der Rechtsberatung wichtig sind, wird deshalb wohl noch weiter zunehmen.

Schließlich ist zu bedenken, dass schon bald ein Großteil des Personals der Generation Y angehören wird. Es ist deshalb ratsam, sich frühzeitig mit deren Bedürfnissen, Werten und Treibern auseinanderzusetzen, um die Attraktivität als Arbeitgeber zu erhalten. Für diese Generation ist etwa die Work-Life-Balance wichtig, sie wünscht sich alternative Karrieremodelle (kein „up or out“ mehr), flexiblere Arbeits- und Arbeitszeitmodelle sowie Aus- und Weiterbildung.

Trends in der Anwaltskanzlei

Anwaltskanzleien gelten heute noch immer als die wichtigsten externen Anbieter von Rechtsdienstleistungen, weshalb es gerechtfertigt ist, die diesbezüglichen Trends aus ihrer Sicht zu untersuchen. Anwaltskanzleien sehen sich heute an drei Fronten herausgefordert: von einer sich verändernden und gesteigerten Konkurrenz im Rechtsmarkt, von der sinkenden Profitabilität und der Frage nach dem richtigen Geschäftsmodell.

Spricht man heute von „alternativen“ Rechtsdienstleistern, erfolgt das primär in Abgrenzung zur klassischen Anwaltskanzlei, und zwar unabhängig von der Art, der Form oder dem Inhalt der angebotenen Leistungen. Der Wettbewerb spielt sich heute längst nicht mehr nur unter Anwaltskanzleien ab. Das Konkurrenzumfeld ist vielschichtiger und komplexer geworden, weshalb das bestehende Spektrum etwas detaillierter analysiert werden muss. Zunächst nimmt die absolute Zahl der Anwälte konstant weiter zu, was – aus rein quantitativer Sicht – bereits zu einem zunehmenden Wettbewerb führt, weil sich die Nachfrage nach Rechtsdienstleistungen nicht gleich schnell erhöht. Hinzu kommt – wieder – die Konkurrenz durch die juristischen Ableger der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Ferner erbringen auch Finanzdienstleister (v.a. Banken und Versicherungen) gewisse Rechtsberatungsleistungen für ihre Kunden. Schließlich wird der Markt durch Rechtsschutzversicherungen beeinflusst, die die verlangten Leistungen selbst erbringen oder die Konditionen der Anwälte maßgeblich bestimmen. Neu kommen weitere Spielarten dazu, die den Rechtsmarkt formen werden: sogenannte Legal Process Outsourcer (LPOs) erledigen heute – unterstützt durch Prozesse und IT – repetitive und durch Masse gekennzeichnete Arbeiten der juristischen Wertschöpfungskette (etwa Due Diligence, Recherchen) günstiger und effizienter. Andere Dienstleister bieten Tools an, mit welchen Services und Formulare online bezogen werden können, oder stellen Juristen temporär zur Verfügung. Alle diese neuen Anbieter haben eines gemeinsam: Sie nehmen ein Kundenbedürfnis wahr und reagieren auf die Forderungen der Kunden nach „more for less“. Schließlich sorgen die Kunden in verschiedener Hinsicht auch selbst dafür, dass der Rechtsberatungsmarkt sich verändert: durch den Aufbau einer eigenen internen Rechtsabteilung, die bisher ausgelagerte Arbeiten vermehrt wieder selbst erledigt (Insourcing). Werden Rechtsdienstleistungen dennoch extern eingekauft, so erfolgt dies heute differenzierter und professioneller, weshalb auch der Bedarf an Professionalisierung der Anwaltskanzlei steigt, und zwar organisatorisch (etwa: Fach- und Industriegruppen, Business-Development-Abteilungen), prozessmässig (etwa: Kundenbetreuung, Risikomanagement) und technologisch (etwa: Wissensmanagement).

Das bisherige Geschäftsmodell der Großkanzleien orientiert sich (noch) an der Form der Pyramide: viele junge Anwälte unten mit einem übersichtlichen Mittelbau und wenigen Partnern an der Spitze. Auch wenn ein tiefer Leverage-Wert zwischen 1 und 3 (Anzahl der Anwälte pro Partner) im Vergleich zu amerikanischen Verhältnissen noch moderat erscheinen mag, so steht doch dieses Verhältnis angesichts der heutigen Umstände ebenfalls in Frage. Kunden sind nicht mehr bereit, für Arbeiten, die von jungen Anwälten erledigt werden, die bisher in Rechnung gestellten (hohen) Stundensätze zu bezahlen, insbesondere wenn alternative Rechtsdienstleister verfügbar sind, um diese Arbeiten schneller, besser und günstiger zu erledigen. – Um im Bild zu bleiben: Die Pyramide wird zunehmend auf den Kopf gestellt, wir nennen dies das „Diamantmodell“. Ferner scheinen die bisherigen Arbeits- und Arbeitszeitmodelle auch für die kommenden Generationen an Attraktivität verloren zu haben. Dies auch deshalb, weil das bisherige Karrieremodell noch weniger erfolgversprechend ist. Neben dem ohnehin unattraktiven Up-or-out-Modell ist nun auch der Prozess, überhaupt Partner zu werden, ins Stocken geraten. Am Ende werden alle Marktsegmente der Anwaltsbranche von diesen Entwicklungen betroffen sein.

Trends beim Kunden

Wie bereits angedeutet finden auch beim Kunden große Veränderungen statt. Dieser wird vor allem mit folgenden Herausforderungen konfrontiert: Zunahme der Rechtsrisiken (legal Risks), Zwang zur Effizienzsteigerung und Optimierung der operativen Rahmenbedingungen (Operations).

Die zunehmende Verrechtlichung des Geschäftslebens und die steigende Regulierung verlangen einerseits Rechtsberater mit einem Sinn für das ganze Spektrum der Rechtsfragen (Generalisten), andererseits braucht die Verarbeitung der großen Informationsmengen immer mehr Spezialisten. Neue Themen müssen adressiert werden (etwa Compliance, Risikomanagement und Corporate Governance). Und mit der Globalisierung gehen weitere Gefahren einher (siehe etwa die Tendenz zu immer höheren Geldstrafen für Unternehmen), die nach Kontrolle und rechtlicher Absicherung verlangen. Als Folge davon hat die Bedeutung der Rechtsabteilung zugenommen, und der General Counsel ist in die zweite Führungsebene berufen worden.

Trotz der Zunahme rechtlicher Gefahren und des entsprechend gewachsenen Budgets für Rechtsausgaben steigt beim General Counsel der Kostendruck und der Zwang zur Effizienzsteigerung an und verlangt ein effektives Kostenmanagement. Das bedeutet am Ende, mit gleichen Ressourcen mehr Leistung erbringen zu müssen (more for less), und dies sogar noch besser, schneller und billiger (better, faster, cheaper) als bisher. Dieser Druck wird natürlich auch an die externen Rechtsdienstleister weitergereicht.

Als Folge der geforderten Effizienzsteigerung erfolgt eine Separierung zwischen der eigentlichen Erstellung der rechtlichen Leistungen und der Bereitstellung des hierfür erforderlichen operativen Apparats (Backoffice Operations). Letzterer wird professionalisiert und die Verantwortung dafür zum Teil an geeignete Nichtjuristen übertragen. Die Organisation der Rechtsabteilung erfolgt entlang der Wertschöpfungskette und der entsprechenden Prozesse des Unternehmens. Es wird laufend beurteilt, was man intern selbst erledigen kann (make) und was eingekauft (buy) werden soll. Die Tendenz zu wachsenden Rechtsabteilungen (Insourcing) sagt unter anderem aus, dass der Kunde gewisse Arbeiten offenbar selbst besser oder billiger übernehmen kann bzw. dieses Vorgehen aus anderen Gründen bevorzugt (etwa um das Know-how intern zu sichern). Darüber hinaus werden der Einkauf professionalisiert (etwa Einbeziehung der Einkaufsabteilung, Durchführung von Ausschreibungen, Konsolidierung der Anbieter in Panels) und Alternativen zu Anwaltskanzleien geprüft.

Fazit

Der Rechtsmarkt ist laufend und schneller als bisher in Bewegung. Unabhängig davon, ob man gewisse Entwicklungen begrüßt, negiert oder anders einschätzt: Auf jeden Fall ist zu empfehlen, sie zu kennen und in der eigenen Strategiearbeit zu berücksichtigen. Die eingangs genannte Untersuchung hat nämlich auch gezeigt, dass Kanzleien, die sich den Herausforderungen stellen und offen dafür sind, besser auf Veränderungen vorbereitet sind. Ein Wait-and-see-Ansatz scheint langfristig jedenfalls keine erfolgversprechende Strategie darzustellen.

bruno.mascello@unisg.ch

Hinweis der Redaktion: Für weiterführende Literaturhinweise zum vorliegenden Thema vgl. Bruno Mascello, Innovation als Strategie bei Rechtsmarktveränderungen, in: Anwaltsrevue 2/2015, S. 57–68; ders., Beschaffung von Rechtsdienstleistungen und Management externer Anwälte, Schulthess Verlag, Zürich 2015. (tw)

 

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