Im Blickpunkt: Bei den Kündigungsfristen könnte es Nachholbedarf geben
Von Dr. Christian Bloth und Ulf C. Lohrum

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Einleitung

§ 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) postuliert als Ziel, unter anderem Benachteiligungen aus Gründen des Alters zu verhindern und zu beseitigen. Dabei heißt dies nicht in erster Linie, dass dieser Schutz nur für Ältere relevant ist, nein, er gilt gerade auch für Jüngere, wenn sie gegenüber Älteren Nachteile hinnehmen müssen. Auch Vorteile für Ältere müssen ihre Rechtfertigung finden.

Dass auch Jüngere sich auf diesen Schutz berufen können, zeigte die Entscheidung „Kücükdeveci/Swedex GmbH“ (EuGH, Urteil vom 19.01.2010 – C-555/07). Danach verstößt die Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach die Beschäftigungsdauer vor Vollendung des

25. Lebensjahres bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht berücksichtigt werden sollte, als direkte Benachteiligung wegen des Alters gegen europäisches Recht. Auch wenn der Gesetzgeber offensichtlich noch keine Gelegenheit fand, diese Regelung aus dem Gesetz zu streichen, ist sie doch nicht mehr anzuwenden. Kernpunkt war hier, dass Personen unterschiedlichen Alters trotz gleich langer Betriebszugehörigkeit im Hinblick auf die Kündigungsfrist unterschiedlich behandelt wurden. Für den, der mit 18 Jahren in den Betrieb eingetreten war und über zehn Jahre Betriebszugehörigkeit verfügte, galt danach eine kürzere Kündigungsfrist als für denjenigen mit gleich langer Betriebszugehörigkeit, der aber erst mit 26 Jahren seine Arbeit aufgenommen hatte.

Nun hatte das Bundesarbeitsgericht Gelegenheit (Urteil vom 18.09.2014 – Az. 6 AZR 636/13), sich zu der erwarteten Rechtsfrage zu äußern, nämlich zu der, ob die Regelung des § 622 Abs. 2 BGB, wonach die Dauer der Betriebszugehörigkeit die Kündigungsfristen nach einer bestimmten Staffelung regelt, nicht indirekt jüngere Mitarbeiter benachteilige. Schließlich, so die Klägerin des Falls, wiesen typischerweise ältere Arbeitnehmer eine längere Kündigungsfrist als jüngere auf.

Sachverhalt und Entscheidung

Die Klägerin war unter Einbeziehung von Ausbildungszeiten seit Juni 2007 bei der Beklagten beschäftigt. Im Dezember 2011 sprach die Beklagte der Klägerin die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses mit einmonatiger Frist aus. Die Klägerin reichte dagegen Klage ein. Weil das Kündigungsschutzgesetz wegen der Betriebsgröße – der Betrieb hatte weniger als elf Arbeitnehmer – keine Anwendung fand, griff die Klägerin die Wirksamkeit der Kündigung nicht an, sondern begehrte die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis nur unter Berücksichtigung einer siebenmonatigen Kündigungsfrist hätte beendet werden können.

Sie begründete ihren Antrag damit, dass eine die Betriebszugehörigkeit berücksichtigende Staffelung der Kündigungsfristen ältere Arbeitnehmer unzulässig begünstige, weil langjährig beschäftigte Arbeitnehmer auch lebensälter seien. Jüngere Arbeitnehmer hingegen würden dadurch unzulässig benachteiligt. Aus diesem Grund sei die längstmögliche, siebenmonatige Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB auf alle Arbeitnehmer unabhängig von der tatsächlichen Dauer der Betriebszugehörigkeit anzuwenden.

Alle drei Instanzen folgten der Argumentation der Klägerin insoweit, als sie zustimmten, dass die Staffelung der Kündigungsfristen eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters darstelle, da beispielsweise eine 28-jährige Arbeitnehmerin nicht in den Genuss der höchstmöglichen Kündigungsfrist von sieben Monaten kommen könne, da diese eine 20-jährige Betriebszugehörigkeit voraussetze. Im Ergebnis gingen die Gerichte jedoch übereinstimmend davon aus, dass eine solche mittelbare Benachteiligung gerechtfertigt sei. Die gesetzliche Verlängerung der Kündigungsfristen verfolge das rechtmäßige Ziel, länger beschäftigten und damit betriebstreuen, typischerweise älteren Arbeitnehmern einen verbesserten Kündigungsschutz zu gewähren, so die BAG-Pressemitteilung (Nr. 44/14). Die nähere Begründung bleibt abzuwarten.

Das Arbeitsgericht Gießen (Urteil vom 08.03.2012, Az. 4 Ca 6/12) stellte darauf ab, dass die Diskriminierung nicht „wegen des Alters“ erfolge, sondern an die persönliche Bindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber anknüpfe, die mit zunehmender Beschäftigungsdauer immer enger werde und deshalb eine immer längere „Vorwarnfrist“ im Fall einer Kündigung erfordere. Das Hessische LAG (Urteil vom 13.05.2013, Az. 7 Sa 511/12) schloss sich der Begründung des Arbeitsgerichts an und benannte weitere Argumente, welche die mit der Staffelung verfolgten und in Nr. 25 der Richtlinie 2000/78/EG als rechtmäßig anerkannten Ziele aus den Bereichen der Beschäftigungspolitik und des Arbeitsmarkts veranschaulichten. Diese Ziele hätten auch in § 10 Satz 1 und Satz 3 Nr. 1 AGG Berücksichtigung gefunden.

Diese beruhten auf dem Grundgedanken, dass, je länger sich ein Arbeitnehmer in einem bestimmten Arbeitsverhältnis befinde, er sein soziales Leben maßgeblich daran ausrichte und nicht zuletzt aufgrund des sicher geglaubten Arbeitseinkommens zunehmend langfristige Dispositionen treffe. Solche Dispositionen können sich typischerweise in familiären Entscheidungen oder insbesondere auch in dem Erwerb einer Immobilie unter Einsatz hoher finanzieller Mittel widerspiegeln.

Dagegen vermochten die Argumente der Klägerin nicht durchzudringen. Diese vertrat die Ansicht, dass jüngere wie ältere Arbeitnehmer gleichermaßen eine ausreichende „Vorwarnfrist“ benötigten, um sich auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren. Das LAG führte weiter an, dass es für jüngere Mitarbeiter sogar ein Einstellungshindernis bedeuten könne, wenn bereits zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses sehr lange Kündigungsfristen gelten würden. Langjährig beschäftigte Arbeitnehmer hingegen benötigten eine längere Zeit zur Wiedereingliederung, was die Ungleichbehandlung rechtfertige.

Fazit

Positiv im Sinne der Rechtspraxis ist es sicher, dass das althergebrachte System der Staffelung der Kündigungsfristen nach Betriebszugehörigkeit „unversehrt“ bleibt. Man mag sich kaum ausdenken, welche Konsequenzen eine andere Entscheidung bei der Vielzahl der jährlich ausgesprochenen Kündigungen gehabt hätte. Mit Interesse wird jedoch zu verfolgen sein, ob und wie sich das BAG mit der Frage auseinandersetzt, die Gegenstand der genannten Entscheidung des EuGH vom 19.01.2010 war. Auch bei der Nichtberücksichtigung der Betriebszugehörigkeit bis zum 25. Lebensjahr bei der Berechnung der Kündigungsfrist ging es um die Wiedereingliederung der gekündigten Arbeitnehmer. Hier wurde seitens der Bundesregierung unter anderem dargelegt, jüngeren Arbeitnehmern falle die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben leichter als Älteren. Dieses Argument wurde hier aber nicht als Rechtfertigung für die Nichteinbeziehung dieses Zeitabschnitts gewertet, sondern die Regelung wurde als „nicht geeignet“ für die von ihr verfolgten arbeitsmarktpolitischen Ziele gewertet.

Insgesamt erscheint der Rechtfertigungsgedanke der Wiedereingliederung für die Staffelung der Kündigungsfristen fraglich. Vielleicht ist die Bestätigung der Regelung eher davon getragen, an Althergebrachtem festhalten zu wollen. Auch ein Arbeitnehmer, der mit 16 Jahren in einen Betrieb eintritt, kann sich bereits im Alter von 38 Jahren eine siebenmonatige Kündigungsfrist „erdient“ haben. Ist er im Hinblick auf die Wiedereingliederung „älterer Arbeitnehmer“ schutzwürdiger als ein Arbeitnehmer, der mit 47 Jahren eintritt und im Alter von 57 Jahren mit einer gesetzlichen Frist von vier Monaten gekündigt wird? Dies nachzuvollziehen fällt schwer. Privilegiert werden nach § 622 BGB ausdrücklich die Betriebszugehörigkeit und nicht das Alter und die gerade daran anknüpfende Problematik der Wiedereingliederung. Geht es bei der Bemessung der Kündigungsfrist also nicht eher um Belohnung für Betriebstreue? Dies wird aber nicht als einer der exemplarisch aufgeführten rechtfertigenden Umstände für eine ungleiche Behandlung in Nr. 25 der Richtlinie genannt. Festzustellen bleibt, dass die gesetzlichen Kündigungsfristen grundsätzlich keine „Rückkoppelung“ zum Lebensalter kennen, sie höchstens indirekt berücksichtigen, wenn das BAG sagt, typischerweise sei der betriebsältere Mitarbeiter auch lebensälter. Er ist es jedoch nicht immer, sondern er mag noch „junger Hüpfer“ sein, aber noch kein „alter Hase“. Das Kündigungsschutzgesetz hingegen kombiniert bei der Sozialauswahl diese Faktoren. Neben das Betriebsalter tritt dort das Lebensalter. Gibt es hier Nachholbedarf im Recht der Kündigungsfristen?

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