Persönlichkeitsverletzungen im Internet: Sind Personen verschiedener Nationalität beteiligt, kann die Wahl des Gerichtsstands zur Kardinalfrage werden
Von Dr. Christoph von Burgsdorff, LL.M. (Exeter)
Und wo soll ich jetzt klagen? Es häufen sich zunehmend Fälle, in denen es durch eine Veröffentlichung im Internet zu Persönlichkeitsbeeinträchtigungen kommt und es sich bei Geschädigtem und Schädiger um Personen unterschiedlicher Staatsangehörigkeit handelt. Hierbei stellt sich die Frage, welches Gericht im Streitfall zuständig ist. Denn die Wahl des (internationalen) Gerichtsstands ist von erheblicher Bedeutung für den Kläger: Zum einen wird dadurch bestimmt, welche Rechtsordnung angewendet wird. Zum anderen ist es auch für die Rehabilitation des Klägers bedeutend, dass sich der Gerichtsstand möglichst in seinem Heimatland befindet.
Grundsätzlich liegt dem europäischen und deutschen Zivilprozessrecht der Gedanke des Beklagtenschutzes zugrunde. Beide beziehen sich auf folgenden allgemeinen Grundsatz: Ein Beklagter darf regelmäßig darauf vertrauen, an seinem Wohnsitz als seinem allgemeinen Gerichtsstand verklagt zu werden.
Beklagtenschutz als Grundgedanke
Der Hintergrund: Natürliche Personen nehmen regelmäßig an ihrem Wohnsitz ihre rechtlich relevanten Angelegenheiten wahr und verwalten dort üblicherweise auch ihr Vermögen. Aus diesem Grund soll dem Beklagten, der gegen seinen Willen mit einer Klage überzogen wird, mit dem allgemeinen Gerichtsstand des Wohnorts die Prozessführung erleichtert werden. Er soll davor geschützt werden, den Prozess vor einem auswärtigen Gericht führen zu müssen.
Dieser Vorrang des Beklagteninteresses muss gerade bei der internationalen Zuständigkeit in besonderem Maße gelten. So lautet die Rechtsprechung des BGH etwa sinngemäß: Es sei im Interesse jedes Staatsbürgers, dass die Sache vor seinem Heimatgericht verhandelt werde, weil er mit der Organisation und Funktionsweise seines Staates vertraut sei und dessen Sprache spreche. Dieser Gerichtsstand ist jedoch in den meisten Fällen für den Geschädigten nicht besonders attraktiv, wenn er sich nicht auch zufällig in dessen Umfeld befindet. Aus diesem Grund ist die Möglichkeit des zusätzlichen Gerichtsstands des Orts der unerlaubten Handlung von besonderem Interesse für den Kläger.
Hiernach kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaats hat, vor dem Gericht desjenigen Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, verklagt werden. Nach dem EuGH können als Ort des schädigenden Ereignisses sowohl der Ort der ursächlichen Handlung, der sogenannte Handlungsort, als auch der Ort des Schadeneintritts, der sogenannte Erfolgsort, in Betracht kommen. Auch wenn diese Orte auseinanderfallen, könne an beiden Orten geklagt werden, weil bei beiden eine besondere Nähe zum Streitgegenstand existiere.
Umgang mit Streudelikten
Der Handlungsort wird sich regelmäßig auf einen bestimmten Ort, an dem das schädigende Ereignis seinen Ursprung hatte, eingrenzen lassen. Problematisch ist die rechtliche Beurteilung allerdings dann, wenn eine Vielzahl von Erfolgsorten existiert, wie es regelmäßig bei sogenannten Streudelikten der Fall ist. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts über das Internet ist hierbei der klassische Fall; dies mit der Folge, dass die sich aus dem Erfolgsort ergebende Zuständigkeit einzuschränken ist.
Doch wie wird dies in der Praxis umgesetzt? Zunächst schränkte der EuGH die sich aus dem Erfolgsort ergebende Zuständigkeit in der „Shevill“-Entscheidung durch die sogenannte Mosaiktheorie ein. In dieser Entscheidung ging es um eine britische Staatsbürgerin, der in einer französischen Tageszeitung die Nähe zu einem Drogenhändlerring unterstellt wurde. Der EuGH entschied: Zum einen seien nur solche Orte, an denen die Zeitung tatsächlich verbreitet wurde, auch Erfolgsorte, wenn der Geschädigte dort bekannt war. Außerdem sollte nur bei dem Gericht des Handlungsorts der gesamte Schaden geltend gemacht werden. Bei den jeweiligen Erfolgsorten grenzte der EuGH die Geltendmachung auf den Schaden ein, der in diesem Staat entstanden war.
Problematisch an dieser Entscheidung ist, dass der Kläger sich bei Auswahl der Erfolgsorte seinen Schaden kosten- und zeitintensiv mosaikartig bei verschiedenen Gerichtsständen zusammensammeln muss. Dies führt zu einer Zersplitterung des einheitlichen Prozessstoffs, erhöht die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und entwertet zudem die Möglichkeit, an einem Erfolgsort zu klagen. Für den Kläger bliebe faktisch nur die Klage am Handlungsort. Dieser wird aber fast immer mit dem allgemeinen Gerichtsstand zusammenfallen, so dass die Privilegierungsmöglichkeit des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung entfiele.
Interessenmittelpunkt entscheidet
In einer weiteren Entscheidung hat der EuGH verdeutlicht, dass die Kriterien seiner vorherigen Entscheidung in veränderter Form grundsätzlich auch auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen über das Internet anzuwenden seien. Hiernach sei als Erfolgsort jeder Ort anzusehen, wo der ehrverletzende Inhalt über das Internet abrufbar war oder ist. Einer dieser Erfolgsorte sei aber dahingehend zu modifizieren, dass dort der gesamte Schaden eingeklagt werden könne. Hierbei komme es auf den Mittelpunkt der Interessen des Geschädigten an, der zugleich auch meist dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Geschädigten entspreche. Die Gerichte am sogenannten Interessenmittelpunkt seien am besten geeignet, die Auswirkung einer entsprechenden Veröffentlichung über das Internet zu beurteilen.
Der BGH ist dieser Argumentation des EuGH gefolgt. So können deutsche Gerichte international zuständig sein, wenn es im Internet durch Veröffentlichungen eines in einem anderen EU-Mitgliedstaat niedergelas-senen Anbieters zu Persönlichkeitsbeeinträchtigungen kommt. Voraussetzung hierfür: Die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, hat den Mittelpunkt ihrer Interessen in Deutschland.
Die Entscheidung des EuGH zu der Persönlichkeitsverletzung im Internet ist grundsätzlich zu begrüßen. Auch wenn der EuGH die Grundsätze der „Shevill“-Entscheidung auf Persönlichkeitsverletzungen im Internet weiterhin anwendet, ist die Gefahr einer Allzuständigkeit sämtlicher europäischer Gerichte für weltweite Streitigkeiten weitestgehend ausgeschlossen. Aufgrund der Möglichkeit des Klägers, den gesamten Schaden am Mittelpunkt seiner Interessen geltend zu machen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass er in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten klagen wird, um dort seine einzelnen Schadenpositionen separat geltend zu machen. So macht es etwa für einen deutschen Kläger, der keine Berührungspunkte mit Italien hat, wenig Sinn, sich an ein italienisches Gericht zu wenden, wenn eine französische Internetseite einen urheberrechtsverletzenden Beitrag über ihn verbreitet – selbst wenn diese Seite grundsätzlich in Italien abrufbar ist.
Ausgewogene Lösung
Dadurch dürfte die Gefahr, dass ein Kläger mehrere Gerichtsstände auswählt und dadurch sich widersprechende Entscheidungen herbeiführt, nahezu ausgeschlossen sein. Im Übrigen wird der Interessenmittelpunkt oftmals mit dem Wohnort des Klägers zusammenfallen, wodurch faktisch ein Klägergerichtsstand geschaffen wird. Diese Ausnahme vom Grundsatz des Beklagtenschutzes ist auch interessengerecht. Denn durch das Merkmal des Interessenmittelpunkts wird auch bei Streudelikten der Gerichtsstand für den Beklagten wieder vorhersehbar und lässt sich – wie bei anderen Deliktzuständigkeiten – durch die Sach- und Beweisnähe rechtfertigen.
Christoph.von.burgsdorff@luther-lawfirm.com
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