BAG: Die gesetzliche Rente ist Voraussetzung für den Bezug einer Betriebsrente und kann so flexible Altersgrenzen zur Folge haben
Von Sarah-Denise van der Walt, LL.M.

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Das Bundesarbeitsgericht (BAG) setzt mit dieser Entscheidung vom 13.01.2015 (BAG – 3 AZR 894/12) seine Rechtsprechung hinsichtlich der Verknüpfung der gesetzlichen mit der betrieblichen Altersrente bei Auslegungsfragen von Versorgungszusagen in der betrieblichen Altersversorgung konsequent fort.

Bereits mit seiner Entscheidung vom 15.05.2012 (BAG – 3 AZR 11/10) sorgte der Dritte Senat für Aufsehen: Auch wenn der Wortlaut der Versorgungszusage ausdrücklich eine Betriebsrente zum 65. Lebensjahr vorsieht, ist hiermit die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung gemeint, entschieden die obersten Arbeitsrichter. Die Regelaltersgrenze war seit 1916 unverändert das 65. Lebensjahr. Zum 01.01.2008 wurde sie auf das 67. Lebensjahr angehoben.

Diese Rechtsprechung weitet das BAG nun erwartungsgemäß auf den frühestmöglichen Renteneintritt aus, wie es mit seiner 1. Pressemitteilung im Jahr 2015 über die bisher unveröffentlichte Entscheidung bekanntgab.

Demnach kann sich bei einer Versorgungsordnung, die ursprünglich eine feste Altersgrenze für den frühestmöglichen Bezug einer Rente vorsah, diese Altersgrenze analog zur gesetzlichen Rentenversicherung ebenfalls verschieben.

Sachverhalt

Der im Jahr 1959 geborenen Klägerin waren zu Beginn ihrer Tätigkeit 1991 vom Arbeitgeber Leistungen nach den „Regelungen zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung“ (AHV) zugesagt worden. Die AHV ist als Gesamtzusage zu qualifizieren. In der Fassung vom 05.11.1991 sah die AHV eine Altersgrenze zum frühestmöglichen Versorgungsbezug vor, nach der weibliche Mitarbeiter frühestens mit Vollendung des 60. Lebensjahres die Betriebsrente beziehen können, ihre männlichen Kollegen hingegen frühestens mit 63. Scheiden die Arbeitnehmer nach Erreichen der obengenannten Altersgrenze aus den Diensten des Arbeitgebers aus, haben sie einen Anspruch auf die zugesagte Versorgung.

Ferner ist in den AHV bestimmt, dass die Versorgungsbezüge um die Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen gekürzt werden. Letztere Klausel lautet wie folgt: „Versorgungsbezüge und Kinderzulagen werden gekürzt um die Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen […].“

Mit dem Hinweis auf die geänderten Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung teilte der Arbeitgeber im November 2010 sowohl der Klägerin wie auch allen anderen Arbeitnehmern mit, dass sie ab dem Geburtsjahrgang 1952 die Betriebsrente nach den AHV nun frühestens mit Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch nehmen könnten.

Begründet hat der Arbeitgeber dies damit, dass schließlich schon immer der Bezug der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine entscheidende Voraussetzung für den Anspruch auf die betriebliche AHV-Rente gewesen sei.

Die Klägerin war der Auffassung, dass es sich bei der streitgegenständlichen Regelung um eine feste Altersgrenze handele, die unabhängig von der gesetzlichen Rentenversicherung sei, und klagte.

Entscheidung des Gerichts

Die Klägerin errang obsiegende Urteile in erster und zweiter Instanz. Beide Gerichte sahen in der Vereinbarung des 60. Lebensjahres für den frühestmöglichen Renteneintritt eine „feste“ Altersgrenze für den Rentenbezug und verneinten damit auch eine Verknüpfung mit der gesetzlichen Rente aufgrund der Anrechnungsklausel dahingehend, dass die gesetzliche Rente gerade keine Voraussetzung für den Bezug der Betriebsrente sei.

Erst das BAG urteilte nun zu Gunsten des Arbeitgebers. Die AHV sei nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) geltenden Grundsätzen auszulegen. Eine solche Auslegung ergebe nach Ansicht des BAG, dass die hier vorliegende AHV für Frauen gerade keine „feste“, sondern eine „flexible“ Altersgrenze auf das 60. Lebensjahr festlege, da diese den Bezug der gesetzlichen Altersrente voraussetze.

Bei der Anrechnungsklausel handelt es sich nach Auffassung des BAG nicht um eine reine Anrechnungsvorschrift, sondern um eine direkte Verknüpfung mit der gesetzlichen Rente. Der Bezug der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist mithin eine echte Voraussetzung für die betriebliche Altersrente.

Die im Jahr 1959 geborene Klägerin kann nach den Änderungen in der Deutschen Rentenversicherung frühestens mit Vollendung ihres 63. Lebensjahres gesetzliche Rente beziehen, weshalb diese Grenze nun auch konsequent durch die Verknüpfung des Rentenbezugs als Leistungsvoraussetzung auf die Betriebsrente durchschlägt. Die AHV-Versorgungsordnung ist demnach für weibliche Mitarbeiter entgegen ihrem Wortlaut so auszulegen, dass diese nicht bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres, sondern frühestens mit Erreichen des frühestmöglichen gesetzlichen Renteneintrittsalters, hier mit 63 Jahren, die Betriebsrente beanspruchen können.

Fazit

Vorbehaltlich der Entscheidungsgründe ist davon auszugehen, dass das BAG mit dieser Entscheidung sein früheres Auslegungsergebnis stärkt, nach dem die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auch grundsätzlich auf die betriebliche Altersversorgung durchschlägt und deren Altersgrenzen aufweicht. Mit dieser Entscheidung weitet es dieses Auslegungsergebnis in Verbindung mit der Anrechnungsklausel auf den frühestmöglichen Bezug der gesetzlichen Rente aus, welcher bei der vorliegenden Gesamtzusage als Altersgrenze auch für die AHV-Betriebsrente gilt.

Die Entscheidung des BAG ist konsequent und auch nachvollziehbar. Während die Urteile der Vorinstanzen noch verneinten, dass der gesetzliche Rentenbezug für die Betriebsrente nach der AHV erforderlich sei, so stellt das BAG folgerichtig auf die gesetzliche Rente als Voraussetzung ab. Schließlich kann der Arbeitgeber auch bei einer Anrechnungsklausel die Betriebsrente nicht korrekt berechnen, da die gesetzliche Rente eine noch unbekannte Größe ist. Mithin ist es nur richtig, auch die Klausel einer Anrechnung der gesetzlichen Rente als Regelung einer echten Voraussetzung anzuerkennen.

Darüber hinaus ist interessant, dass das BAG – vorbehaltlich der noch zu veröffentlichenden Entscheidungsgründe – davon ausgegangen sein muss, dass die Arbeitnehmerin diese Voraussetzung hätte erkennen können. Schließlich sind bei der vom BAG vorgenommenen Auslegung von allgemeinen Geschäftsbedingungen die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders – hier des Arbeitgebers – zugrundezulegen. Die Arbeitnehmerin konnte demzufolge damit rechnen, dass die Altersgrenze für die Betriebsrente nach Anhebung des gesetzlichen Renteneintritts flexibel mit ansteigt.

Auswirkungen für die Praxis

Sollten bestehende Versorgungszusagen nach ihrem Wortlaut eine feste Altersgrenze vorsehen, so zeichnet sich eine Festigung der Rechtsprechung dahingehend ab, dass diese „auslegungsoffen“ und die Altersgrenze damit flexibel ist. Hiermit sollten sich vor allem Arbeitgeber auseinandersetzen, die ihren Arbeitnehmern Gesamtzusagen betrieblicher Altersversorgung erteilt haben und noch erteilen. Im Sinne der Rechtsklarheit sollte für die Arbeitnehmer, beispielweise durch einen Nachtrag zur Versorgungszusage, klargestellt werden, welche Altersgrenze für sie Anwendung findet. Insbesondere Neueintritte könnten sich bei einer Zusage, die nach Erlass dieser Entscheidungen weiterhin feste Altersgrenzen vorsieht, auf eine Bestätigung dieser Altersgrenze stützen, da sich der Arbeitgeber in Kenntnis der Rechtsprechung faktisch an die alten Altersgrenzen bindet.

Sarah-denise.vanderwalt[at]bblaw.com

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