Praxisbericht, einmal anders: Wie man es besser nicht machen sollte / Wichtig: Alle Handlungsalternativen prüfen und bewerten
Von Dr. Christof Schiller
Ausgangspunkt – zwei Fallbeispiele
Gerade Konzerne stehen oftmals vor der Notwendigkeit, sich von Geschäftsbereichen zu trennen. Gründe hierfür können sein, dass Verluste entstehen oder dass die Geschäftsbereiche nicht mehr in das langfristige Konzept passen. Wenn einmal die Entscheidung getroffen ist, einen Marktaustritt zu vollziehen, so entsteht die Frage, wie dieses Ziel am kostengünstigsten – oder gar mit Gewinn – vollzogen werden kann, ohne dass für den Restkonzern Risiken entstehen. In Betracht kommen im Allgemeinen der Verkauf der Anteile, die Liquidation, unter Umständen nach Verkauf der Assets, und die Insolvenz. Aus unserer Beratungspraxis zwei Beispiele, wie es besser nicht laufen sollte:
Ein international agierender Konzern mit Hauptsitz in den USA fasst den Beschluss, sich von einem Geschäftsbereich europaweit zu trennen und dabei auch eine deutsche Tochtergesellschaft abzustoßen. Die Tochtergesellschaft war über einen Ergebnisabführungsvertrag mit der deutschen Holding verbunden. Dieser wurde im Zuge der Übertragung der Anteile aufgehoben. Der Über-nehmer scheiterte bei dem Versuch, die übernommene Tochtergesellschaft zu integrieren und den Geschäftsbetrieb zu sanieren, und stellte vier Monate nach Übertragung der Geschäftsanteile Insolvenzantrag. Zu diesem Zeitpunkt war der letzte noch dem Ergebnisabführungsvertrag unterliegende Jahresabschluss zwar erstellt, aber noch nicht testiert. Das Insolvenzverfahren wurde eröffnet und der Insolvenzverwalter erstellte den Abschluss neu, und zwar diesmal unter Zerschlagungsgesichtspunkten. Der daraus resultierende Verlust in Höhe von etwa 65 Millionen Euro wurde gegenüber der deutschen Holding als Anspruch aus dem Ergebnisabführungsvertrag geltend
gemacht.
Weiteres Beispiel: Wiederum wollte sich ein international agierender Konzern von einer deutschen Beteiligung trennen. Ein Finanzinvestor war bereit, die Anteile zu übernehmen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die deutsche Tochtergesellschaft Verbindlichkeiten gegenüber der amerikanischen Muttergesellschaft in Höhe von 120 Millionen Euro. Im Zuge der Verhandlungen mit dem Finanzinvestor bestand dieser darauf, dass die Darlehensverbindlichkeit gegenüber der Mutter getilgt wird. Zu diesem Zweck leistete die Muttergesellschaft eine Einlage in das Vermögen der Tochtergesellschaft und zahlte die Darlehensverbindlichkeit zurück. Auch in diesem Fall gelang es dem Übernehmer nicht, das übernommene Geschäft profitabel zu gestalten. Innerhalb von neun Monaten nach der Übernahme stellte die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft Insolvenzantrag. Der Insolvenzverwalter nahm die Muttergesellschaft aus § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO in Anspruch. Nach der Vorschrift sind Rechtshandlungen anfechtbar, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens Befriedigung gewähren, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist. Nach Durchsetzung des Anspruchs belief sich die Insolvenzquote auf 100%.
Diese zugegebenermaßen drastischen Beispiele zeigen, welche Gefahren drohen, wenn ein Marktaustritt erfolgt, bei dem sich die Erwartungen, der Übernehmer könne das Geschäft oder die Gesellschaft fortführen, nicht erfüllten.
Risiken bei Insolvenz der verkauften Beteiligung: Relevante Fallgruppen
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich Fallgruppen bilden, bei denen die „Abnabelung“ einer ungeliebten Tochter nicht ohne Nachwirkungen bleibt, wenn es zur Insolvenz kommt.
Ergebnisabführungsverträge
Ein Risiko resultiert aus dem Bestehen von Ergebnisabführungsverträgen. Wie das oben angeführte erste Beispiel zeigt, ist diese Gefahr besonders groß, wenn bei Übertragung der Anteile der Jahresabschluss noch nicht fertiggestellt ist und dann der Insolvenzverwalter einen neuen Abschluss unter Zerschlagungsgesichtspunkten erstellt. Es ist zwar streitig, inwieweit bei der Erstellung dieses Jahresabschlusses die Perspektive der Erstellung maßgeblich ist (so das Institut der Wirtschaftsprüfer [IDW] im IDW PS 270) oder der Erkenntnishorizont zum Bilanzstichtag. In der Rechtsprechung ist die Frage nicht entschieden. Die Frage kann aber für das vorliegende Thema unerörtert bleiben. Es ist festzustellen, dass aus der Auflösung von Ergebnisabführungsverträgen ein Risiko resultiert, wenn eine Insolvenz eintritt und Jahresabschlüsse noch offen sind.
Oftmals werden vor Übertragung der Anteile Ergebnisabführungsverträge durch Aufhebung beendet. Nach § 133 Abs. 2 InsO ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden, anfechtbar, wenn der Vertrag weniger als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen wurde. Die Aufhebung des Ergebnisabführungsvertrags ist ein entgeltlicher Vertrag im Sinne von § 133 Abs. 2 InsO, so dass im Fall der Insolvenz der übertragenen Tochtergesellschaft der Insolvenz-verwalter auch auf den Gedanken kommen könnte, die Aufhebung des Ergebnisabführungsvertrags nach § 133 Abs. 2 InsO anzufechten.
Gesellschafterdarlehen
Auf die Vorschrift des § 135 InsO wurde bereits im Rahmen des oben geschilderten zweiten Beispiels hingewiesen. Wird das Gesellschafterdarlehen innerhalb eines Jahres vor Stellung des Insolvenzantrags zurückgezahlt, so ist die Rückzahlung nach § 135 Abs. 1 InsO anfechtbar und der Insolvenzmasse zu erstatten. Dies gilt nach § 135 Abs. 2 InsO auch dann, wenn der Gesellschafter das Darlehen gegenüber einem Dritten – etwa einer Bank – besichert hat. Wird das Darlehen von der Tochtergesellschaft zurückgezahlt, mit der Folge, dass der Gesellschafter von seinen Verpflichtungen aus der Begebung der Sicherheit befreit wird, so ist die Anfechtungsmöglichkeit gegeben.
Für Aufsehen in diesem Zusammenhang sorgte eine neue Entscheidung des BGH (Urteil vom 05.03.2015 – Aktenzeichen IX ZR 133/14). In dem Fall hatte der Gesellschafter für sein Darlehen an die Tochter einen Rangrücktritt erklärt. Es kam zur Insolvenzreife der Tochtergesellschaft und zur Rückzahlung des Darlehens. Der Insolvenzverwalter focht die Darlehensrückzahlung gegenüber der Muttergesellschaft an. Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass eine trotz eines qualifizierten Rang-rücktritts im Stadium der Insolvenzreife bewirkte Zahlung als unentgeltliche Leistung nach § 134 InsO angefochten werden kann. Demnach ist eine unentgeltliche Leistung des Schuldners anfechtbar, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden. Damit wird in diesen Konstellationen die Frist nochmals verlängert, innerhalb der sich bei nachfolgender Insolvenz der verkauften Gesellschaft ein Risiko realisieren kann.
Cashpool
Problematisch kann auch die Teilnahme einer verkauften Tochtergesellschaft an einem Cashpool sein. Oftmals wird es dabei so sein, dass gerade bei einer Krise der Tochtergesellschaft über das Cashpooling sogenannte Downstream-Darlehen von der Muttergesellschaft an die Tochter-gesellschaft entstehen. Kommt es dabei innerhalb des Cashpools zu einer Rückführung von Darlehen
an verbundene Unternehmen, so kann dies im Falle der Insolvenz nach § 135 Abs. 1 InsO angefochten werden, wenn es innerhalb von einem Jahr zur Insolvenz kommt.
Zwischenfazit
Die Darstellung zeigt, dass je nachdem, wann der Insolvenzantrag bei der verkauften Tochter-gesellschaft gestellt wird, Restrisiken bei der ehemaligen Muttergesellschaft oder verbundenen Gesellschaft verbleiben. Abhängig von der Fallkonstellation können diese Risiken erst nach einem Jahr, nach zwei Jahren oder nach vier Jahren als erledigt betrachtet werden.
Dabei hat die Abspaltung der Tochtergesellschaft in aller Regel zur Folge, dass die Muttergesellschaft oder der Restkonzern jede Kontrolle verliert. Der mit dem verbleibenden Risiko behaftete Konzern ist weder in der Lage, die Restrukturierung der Tochtergesellschaft zu bestimmen, noch hat er Einfluss auf die Geschäftsführung. Häufig sind auch Konstellationen anzutreffen, wo nach einer Übertragung und nach Zahlung eines negativen Kaufpreises der neue Gesellschafter mit dem Hinweis auf die bestehenden Insolvenzrisiken weitere Zahlungen vom Verkäufer beansprucht.
Liquidation
Bei der Liquidation müssen grundsätzlich alle Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft beglichen werden, es sei denn, es gelingt, mit Gläubigern Vergleiche zu verhandeln. Ein großer Vorteil der Liquidation ist allerdings, dass der Gesellschafter die Kontrolle über das Verfahren behält.
Die Formalien der Liquidation sind dem GmbH-Recht zu entnehmen. Demnach ist auf den Zeitpunkt der Einleitung der Liquidation eine Liquidationseröffnungsbilanz zu erstellen. In aller Regel empfiehlt es sich deshalb, die Liquidation mit dem Bilanzstichtag einzuleiten, um einen Zwischenabschluss und die damit einhergehenden Kosten zu vermeiden. Es ist ein Liquidator zu bestellen, wenn nicht der Geschäftsführer als geborener Liquidator im Amt bleibt.
Eine steuerliche Erleichterung besteht bei Körperschaften darin, dass Besteuerungszeitraum nicht das Wirtschaftsjahr ist, sondern der Liquidationszeitraum. Dieser soll nach § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG nicht länger als drei Jahre dauern. Nach Abschluss der Liquidation ist dem Handelsregister die Beendigung der Liquidation anzuzeigen, und die Gesellschaft kann mit Zustimmung des Finanzamts gelöscht werden, wobei diese Zustimmung oftmals lange auf sich warten lässt.
Größter Hemmschuh bei der Liquidation sind zumeist die Kosten. Wie eingangs geschildert, müssen grundsätzlich sämtliche Verbindlichkeiten der Gesellschaft bezahlt werden. Kommt es im Zuge der Liquidation zu einem Personalabbau, so können erhebliche Kosten entstehen. Die Höchstgrenzen der Insolvenzordnung für Sozialpläne gelten bei der Liquidation nicht. Ist ein Verkauf des Geschäftsbetriebs möglich, kann ein Asset-Deal mit nachfolgender Liquidation die Kosten für den Personalabbau reduzieren, wenn Mitarbeiter übernommen werden, und gleichzeitig die Liquidation finanzieren. Insbesondere die Möglichkeit, das Liquidationsverfahren weiter zu kontrollieren, kann einen erheblichen Vorteil bieten.
Insolvenz
Schließlich kann der Marktaustritt auch durch eine Insolvenz bewirkt werden. Naturgemäß gelten dann die eingangs geschilderten Risiken ebenfalls. Es ist sehr intensiv abzuwägen, inwieweit eine Insolvenz Zahlungsverpflichtungen auslöst, die den Restkonzern belasten. Oftmals sind auch die Risiken der Insolvenz schwer abschätzbar, da man die „Phantasie der Insolvenzverwalter“ unterschätzt.
Neben den rein monetären Gesichtspunkten liegt ein weiteres Risiko im Reputationsverlust. Kunden und Lieferanten werden oftmals nicht zwischen der insolventen Gesellschaft und dem Restkonzern differenzieren. Zudem wird die Insolvenz einer Tochtergesellschaft in vielen Fällen als Hinweis auf Probleme der Gruppe insgesamt verstanden, so dass daraus erhebliche negative Folgen entstehen können. Kreditversicherer sind dann geneigt, die Linie zu kürzen, Lieferanten bestehen auf Vorkasse, Kunden springen ab – und anderes mehr.
Fazit: Worauf es in der Praxis ankommt
Die Darstellung zeigt, dass der Marktaustritt in jeder Konstellation mit zum Teil erheblichen Risiken verbunden ist. Ist ein Marktaustritt geplant, so müssen die Handlungsalternativen sehr intensiv untersucht und die Auswirkungen quantifiziert werden. Auch wenn bei dieser Analyse endgültige Sicherheit nicht zu erreichen sein wird, so ist diese doch unbedingt erforderlich, um die Handlungsvariante auszuwählen, bei der die Risiken am geringsten sind.
christof.schiller[at]anchor.eu